Dienstag, 30. April 2024

Archiv

Rechte Ideologien im Schulunterricht
"Modernen Rechtsextremismus deuten lernen"

Was die Aufarbeitung der NS-Zeit betrifft, gebe es an den meisten Schulen fast schon eine Übersättigung, sagte Michael Hammerbacher vom Verein Demokratie und Vielfalt im Dlf. Nachholbedarf gebe es jedoch beim Erlernen der Deutung von aktuellen rechten Symbolen und Tendenzen sowie bei der Prävention.

Michael Hammerbacher im Gespräch mit Stephanie Gebert | 11.07.2018
    Identitäre Bewegung, Demo am 4.3.2017 in Berlin.
    Springerstiefel sind heute kein verlässliches Kennzeichen von Mitgliedern rechtsextremer Gruppen. (imago / IPON)
    Stephanie Gebert: Gerade ist das Urteil gefallen in einem der größten juristischen Prozesse der deutschen Geschichte. Vor dem Münchner Oberlandesgericht saßen die Hauptangeklagte Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer und Unterstützer der rechtsradikalen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" auf der Anklagebank. Ihnen werden rassistisch motivierte Morde sowie mehrere Bombenanschläge zur Last gelegt.
    Der Prozess könnte einer von vielen Anknüpfungspunkten sein für Lehrkräfte, um mit ihren Klassen über Rechtsradikalismus in Deutschland zu sprechen und die Ausprägungen heute. Aber tun sie das auch? Oder hören Schüler diesen Begriff vor allem im Geschichtsunterricht – im Kapitel über die NS-Zeit. Über seine Erfahrungen dazu wird uns Michael Hammerbacher vom Verein Demokratie und Vielfalt in Schulen berichten. Er geht als Coach an Schulen in Hamburg, Berlin und Bremen. Rechtsextremismus – das war in Deutschland von 1933 bis 1945 – ist also ein abgeschlossenes Kapitel. Könnten Schülerinnen und Schüler nach dem Geschichtsunterricht an unseren Schulen diesen Eindruck bekommen?
    Michael Hammerbacher: Man muss es unterschiedlich sehen. Es ist ja so, das Thema Rechtsextremismus wird nicht nur in Geschichte behandelt, es wird ja auch in vielen anderen Fächern behandelt, auch im Deutschunterricht. Und wenn man sich allein den Geschichtsunterricht anguckt, glaube ich, dass die Lehrerinnen und Lehrer jetzt schon so weit sind und auch soweit geschult sind, dass sie auch Bezüge zur heutigen Situation herstellen.
    Erhöhter Informationsbedarf nach NSU-Skandal
    Stephanie Gebert: Was für Bezüge sind das? Ist das zum Beispiel der NSU-Prozess, der ja heute zu Ende gegangen ist in München?
    Hammerbacher: Na, es kommt auf die Region drauf an. Also, ich glaube, dort, wo auch die Morde stattgefunden haben, dass in diesen Regionen in Schulen das Thema schon eine große Rolle gespielt hat. Aber in anderen Gegenden, wo das Thema praktisch nicht so nahe zu greifen war, dass da das weniger wirkliche Veränderungen gebracht hat. Wir konnten das zum Beispiel entsprechend an der Nachfrage nach Fortbildungen zum Thema Rechtsextremismus/Diskriminierung erfahren und auch nachvollziehen. Und da war es so, dass es vielleicht ein, zwei, drei Monate, nachdem das Ganze öffentlich wurde, zu einer erhöhten Nachfrage, zu einem erhöhten Interesse in den Schulen geführt hat. Aber danach hat sich das dann wieder auf das alte Level zurückentwickelt und auch nicht intensivere Nachfragen dazu kamen.
    Gebert: Höre ich trotzdem bei Ihnen raus, dass es zu wenig Thema im Unterricht ist? Was ist Ihre Erfahrung? Greifen Lehrer das auf oder drücken die sich eher davor?
    Hammerbacher: Nein. Am Anfang haben Sie ja gefragt, wie es bezüglich des Geschichtsunterrichts und der NS-Zeit ist. Und davor drücken sich die Lehrer meiner Ansicht nach nicht. Wir treffen immer eher Schülerinnen und Schüler, die sagen, oh Gott, schon wieder das Thema, das ist jetzt schon das dritte Mal, dass ich das im Unterricht habe. Insbesondere, wo wir auch in der beruflichen Bildung unterwegs sind als Träger und als Projekt, dass da schon eher fast eine Übersättigung an dem Thema stattfindet und dass das Problem eher da liegt, Bezüge zur heutigen gesellschaftlichen Situation zu ziehen. Und wenn man dann guckt, dass die Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet sind, heutige aktuelle Problematiken wahrzunehmen in Bezug auf Rechtsextremismus und auf die Dimension von rechtsextremistischem Denken.
    "Es gibt Lehrer, die Nachholbedarf haben"
    Gebert: Wie gut sind die Lehrer auf solche Sachen vorbereitet? Denn es kann ja durchaus sein, dass dann Diskussionen entstehen, und dann müssen Lehrer, Lehrkräfte auch Haltung haben im Unterricht und Haltung zeigen.
    Hammerbacher: Ich denke, da kann man erstens immer etwas tun, und das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Lehrkräfte, die sehr gut ausgebildet sind, die sehr grundrechtsklar argumentieren können und sehr gut geschult sind, und es gibt welche, die da, so würde ich vorsichtig formulieren, Nachholbedarf haben und sehr fachorientiert arbeiten.
    "Schule insgesamt präventiv aufstellt"
    Gebert: Wenn Sie jetzt mit Ihrer Interventionsarbeit, mit Ihrer Präventionsarbeit an die Schulen gehen, welches Lernziel soll hinten dabei rauskommen?
    Hammerbacher: Die Lernziele sind unterschiedlich. Bei den Lehrerinnen und Lehrern, die da ja eine sehr, sehr zentrale und wichtige Rolle spielen, geht es darum, dass sie eben diese Phänomene wahrnehmen können, dass sie sich also damit auskennen; über den modernen Rechtsextremismus, auch über Symbole, über Argumentationen, dass sie diese Dinge deuten können, also auch einordnen können, und am Ende dann auch wissen, was sie dann machen können, also pädagogisch, wenn dann einer ihrer Schüler entweder in einer rechten Gruppe ist oder solche Dinge sagt. Bei den Schulleitungen geht es darum, dass die wissen, wie man ihre Schule insgesamt präventiv aufstellt und die Demokratie an ihrer Schule fördert. Bei den Eltern geht es darum, dass man mit den Eltern in einen Dialog tritt, dass man eben eine diskriminierungsfreie Schule möchte, dass man da respektvoll umgeht, dass man möglichst einen demokratischen Erziehungsstil pflegt. Und bei den Schülerinnen geht es darum, so ähnlich wie bei den Lehrern, dass man eben argumentativ – und auch im sozialen Bereich – Vielfalt schätzt, wirklich demokratisch miteinander umgeht und auch eben eine gewisse Offenheit, Vielfalt hat. Und dass man auch lernt, von Anfang an, ab der ersten Klasse, möglichst im Kindergarten, dass man sich beteiligen kann, dass man auch diese Partizipationsform von Anfang an lernt und die Erziehrinnen und Lehrer das dann auch können. Und dass die Organisationen oder die Institutionen auch entsprechend von Anfang an so aufgestellt und aufgebaut sind.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.