Klimakrise in den USA

Alaska taut auf

24:28 Minuten
Eine Holzhütte in Alaska ist auf dem aufgetauten Boden in sich zusammengefallen und nicht mehr bewohnbar.
Folgen des Klimawandels in Alaska: Die Permafrostböden tauen auf und Hütten und Häuser stürzen ein. © picture alliance / Global Warming Images / Ashley Cooper
Von Doris Simon · 25.10.2022
Audio herunterladen
Die USA gehören zu den größten Klimasündern weltweit. Doch die US-Öl- und Gasindustrie sind mächtig. Auch in Alaska, wo die Menschen jahrzehntelang viel Geld verdienten - aber jetzt die negativen Folgen der globalen Erwärmung zu spüren bekommen.
Die Spur ist breit, der Asphalt sieht frisch aus, trotzdem muss man beim Fahren aufpassen wie ein Luchs: Risse in der Straße und Schlaglöcher, an manchen Stellen ist an der Seite der Asphalt abgesackt.
Willkommen im Klimawandel, sagt Geophysiker Matthew Sturm. Er forscht an der Universität von Alaska in Fairbanks, Schwerpunkt Schnee, Gletscher und Permafrost.
"Jeder, der in Alaska auf den Straßen unterwegs ist, hat mitbekommen, dass es in den letzten 30 Jahren immer schlimmer geworden sind. Die sind ein einziges Chaos, weil sie auf dem Permafrostboden liegen. Wie Achterbahnen, mit Schlaglöchern und allem drum und dran. Es wird immer schwieriger, den Klimawandel zu leugnen. Das heißt zwar nicht, dass alle Menschen finden, man müsse etwas dagegen unternehmen, aber es ist schwieriger, ihn zu leugnen."

CO2 und Methan aus dem Permafrostboden

Permafrost ist ein mindestens zwei Jahre dauerhaft gefrorener Boden, der 80 Prozent der Fläche Alaskas bedeckt und in der Arktis bis zu 600 Meter dick sein kann. Doch der Dauerfrost taut – tiefe Löcher und ständige Schäden an der Infrastruktur sind die Folge. Manchmal verschwindet auch ein ganzes Haus.

In dieser Folge des Weltzeit-Podcast hören Sie auch ein Interview mit dem 17-jährigen Keanu Arpeals-Josiah aus New York, der sich bei Fridays for Future in den USA engagiert und US-Präsident Joe Biden ein Versagen in der Klimapolitik vorwirft: "Ich habe auf Biden gehofft. Die USA sind in der Weltgeschichte die größten CO2-Emittenten. Aber die USA versagen in der Klimakrise. Wir müssen etwas tun. Die USA müssen ein Anführer bei der Klimarettung sein."

Geophysiker Sturm beschreibt die Ausgangslage in Alaska. Es sei: "Ein Land oder eine Landschaft, die sozusagen zementiert ist mit Eis. Eis im Boden. Eis unter dem Boden. Eis über dem Meer. Eis und Gletscher. Und dann erwärmt man das. Da ist es keine Überraschung, dass langsam alles zusammenbricht."
Tauende Permafrostböden verursachen aber nicht nur Infrastrukturschäden. Sie setzen Kohlendioxide und Methan frei, die seit Jahrtausenden im Eis gespeichert waren, und heizen so die Temperaturen und den Treibhausgaseffekt an. Das führt zur Versauerung von Meeren und hat Auswirkungen auf Flüsse und den Fischbestand.

Lachsbestand nimmt deutlich ab

In manchen Teilen Alaskas ist der Lachsbestand trotz strengen Fangmanagements dramatisch zurückgegangen. Mary Peltola führte die Fischkommission mehrerer Stämme am Kuskokwim-Fluss im Westen Alaskas. Diese legt fest, wie viel jedes Mitglied fischen darf. Früher sei der Fluss so voller Lachse gewesen, dass sie ständig an das Boot gestoßen seien, erinnert sich Peltola, die heute Alaska im US-Repräsentantenhaus vertritt:
"Ich erinnere mich, wie ich als Sechsjährige beim kommerziellen Fischen Angst hatte, dass unser Boot überlaufen würde, weil es so voll mit Fischen war. Das ganze Boot hatte einfach keinen Platz mehr für einen weiteren Fisch, und man hatte Angst, dass die Wellen kommen und das Boot überschwemmen würden. Und wissen Sie, selbst im Jahr 2009 war die größte Angst meines Mannes und von mir, als wir unser Netz überprüfen wollten, dass wir zu viele Fische haben würden, um sie selbst zu verarbeiten."
Dabei ist Lachs in Alaska kein Luxus, sondern ein Grundnahrungsmittel, auf das die Landbevölkerung angewiesen ist. Der Verkauf ist zudem eine der wenigen Möglichkeiten, um Geld zu verdienen.
"Jetzt fangen wir eine einstellige Zahl von Fischen, und natürlich sind wir für diese Fische dankbar. Aber acht Fische, wenn man es gewohnt ist, 80 oder 100 zu fangen, das ist schon sehr, sehr besorgniserregend. Und das hat zu einer Menge Ernährungsunsicherheit geführt und zu einer Kaskade von Problemen."
Auch in diesem Jahr mussten mehrere Stämme in Alaska wieder mit Lachs von weit weg versorgt werden. Das empfinden die Menschen, die sich ihr Leben lang selbstversorgt haben, als Ohnmacht und als entwürdigend. Es gibt für sie keine Alternativen, sich anders mit Protein zu versorgen.
Für den entsprechenden Einkauf im Supermarket fehlt fast allen das Geld. Ohne die organisierte Unterstützung und den Lachs aus anderen Gegenden müssten viele Betroffene in der Region im Zentrum Alaskas hungern. Auch diejenigen Ureinwohner, die nicht betroffen sind, verfolgen die Entwicklung sehr genau.
Penny Gage lebt mit ihrem Mann Zack und ihrer kleinen Tochter in Anchorage, ein Haus mit Garten und einem gut gefüllten Vorratskeller.
Zack öffnet den Tiefkühler und Schränke: Überall Lachs – eingefroren, geräuchert, eingeweckt. Jeden Sommer fährt die Familie zu Pennys Eltern nach Sitka im Süden Alaskas. Als Mitglied des Tlingit-Stammes hat Penny dort das Recht, Lachs für den Eigenbedarf zu angeln. Dieses Jahr waren es maximal 25, das reicht für die Familie bis ins nächste Frühjahr.
Die Familie ist auf den Fisch nicht angewiesen zum Überleben, aber er erlaubt ihnen Extras an anderer Stelle. Der jährliche Lachs sei nicht mehr so selbstverständlich wie früher, erzählt Penny: 
"Im Sommer 2019 hatten wir über 30 Grad in Alaska. In den Flüssen starben die Fische, als sie zum Laichen hochkamen. Die befruchteten Eier konnten der Hitze nicht standhalten. Das extreme Klima wirkt sich auf den Lachs aus. Dieses Jahr haben wir großes Glück, aber ich glaube, die Menschen vergessen bei all der Freude über den Fisch, dass man nicht mehr davon ausgehen kann, dass es ihn immer geben wird."

Arktis erwärmt sich viermal schneller

Ganz im Norden Alaskas sind die Folgen des Klimawandels besonders deutlich zu spüren: Die Arktis erwärmt sich viermal schneller als der Rest des Landes. Auch hier taut der Permafrost, im Sommer gibt es heftige Regenfälle und Stürme. Eis bedeckt das Meer jedes Jahr später und schmilzt im Frühjahr früher. Mit Folgen für die Nahrungsmittelsicherheit.
Der Meteorologe Rick Thoman konzentriert sich deshalb auf detaillierte Informationen für Menschen in abgelegenen Gebieten im Norden und Westen Alaskas, etwa an der Beringstraße, der Meerenge zwischen Sibirien und Alaska. Für die Ureinwohner dort ist der Abgleich der Vorhersagen des Meteorologen mit der Erfahrung ihrer Stammesältesten überlebenswichtig.
Zwei Personen stehen in Alaska in einem Boot und halten gefangene Fische hoch.
Für die indigenen Volksgruppen der Yupik ist der Fischfang in Alaska überlebenswichtig. © picture alliance / Design Pics / Kevin G. Smith
"In der Region der Beringstraße leben vor allem Inupiaq oder sibirische Yupik-Gemeinschaften. Sie jagen und fischen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dort kommt fast alles, was die Menschen essen, aus dem Meer. Und das Meereis ist nicht nur eine Arbeitsplattform, sondern viele der Meeressäugetiere, die als Nahrung für die Gemeinschaft gejagt werden, bewegen sich mit dem Meereis.
Wenn also das Meereis drei Wochen später als erwartet eintrifft, bedeutet das, dass drei Wochen lang kein Eis vorhanden ist. Das bedeutet, dass es drei Wochen lang keine Nahrung gibt, mit der man rechnen kann. Die Entwicklung des Meereises hat also einen großen Einfluss darauf, was Sie und Ihre Familie zu Abend essen werden."

Gletscher gehen zurück

Alaska hat mehr als 100.000 Gletscher. Ein spektakulärer Anblick, manche Gebirgszüge ziehen sich über Hunderte von Kilometer hin. Aber Alaskas Gletscher haben ein massives Problem: 95 Prozent von ihnen stagnieren oder ziehen sich zurück. So deutlich, dass man es mit dem Auge sehen kann, wenn man regelmäßig vor Ort ist wie Corey, Wander- und Kayakführer im Chugach National Forest.
20 Gletscher gibt es hier in Amerikas zweitgrößtem Nationalwald. Corey kann stundenlang über das Schmelzen der Gletscher sprechen, aber das Wort Klimawandel nimmt er gegenüber seinen Tourgästen nicht in den Mund. Auch wenn gerade die Gäste aus anderen US-Bundesstaaten ihn regelmäßig fragen, ob er denn diese These von der globalen Erwärmung wirklich glaube:
"Die Leute fragen mich ständig, ob ich an die globale Erwärmung glaube, und ich muss vorsichtig sein, weil es für viele Menschen ein so kontroverses Thema ist."

Konfrontation mit der Realität

Der Ausdruck "Klimawandel" sei zu kontrovers für viele seiner amerikanischen Gäste, sagt der Wanderführer. Sie würden ihm dann nicht mehr zuhören. Deshalb versuche er, sie anders mit der Realität zu konfrontieren. Corey führt die Klimawandel-Zweifler zum Spencer-Gletscher und zeigt ihnen dort die Fotos, die er seit 14 Jahren jedes Jahr an derselben Stelle aufnimmt.
"In den 14 Jahren, die ich hier bin, ist der Gletscher etwa 750 Meter zurückgegangen. Mit den Fotos habe ich die Veränderungen dieses Gletschers dokumentiert. Das ist für mich persönlich sehr wichtig. Es soll den Leuten die Augen öffnen für das, was hier passiert."
Gut 150 Kilometer westlich fährt Gart Touristen und Einheimische mit seinem Wassertaxi über die Kachemak Bay. Auf der anderen Seite der Bay beginnt der Kenai National Park, mit seinen schneebedeckten Gletscherspitzen in der Ferne, die Aussicht ist gigantisch. Gart macht sich ernsthaft Sorgen, was aus Alaska wird, wenn die Temperaturen weiter steigen. Es macht ihm auch persönlich zu schaffen, wenn er an seinen Bootsantrieb denkt:
"Da fahren wir nun, und was verbrauchen wir gerade? 50 Liter pro Stunde. Das ist nicht gerade Null-Fußabdruck, das Boot braucht eine Menge Treibstoff. Ich versuche, so effizient wie möglich zu arbeiten, ich habe die sparsamsten Motoren, die es gibt und schaue, dass ich so viele Leute wie möglich auf das Boot bekomme.
Es wäre trotzdem gut, wenn man es anders machen könnte. Aber ich glaube, dass solche Touren schon wichtig sind, damit die Leute verstehen, worum es geht. Dass sie einen Gletscher sehen und Gletschereis. Das ist halt eine ganz andere Erfahrung – und man kommt nur so dorthin. Aber ja, ich stehe da in einem ständigen inneren Konflikt."

Ölförderung in Alaska seit 1957

Alaska leidet besonders unter dem Klimawandel. Der nördlichste US-Bundesstaat trägt aber auch selber dazu bei. Die Entdeckung gigantischer Ölvorkommen in der Arktis 1957 führte zu einem Förderboom und füllte Alaskas Staatskasse. Wegen der hohen Förderkosten in der Arktis wird zwar weniger gefördert als vor 40 Jahren.
Aber weiterhin zahlt der Öl- und Gasgespeiste Dauerfonds von Alaska jedem Bürger, der mindestens ein Jahr im Bundesstaat gelebt hat, eine jährliche Summe. In diesem Jahr liegt die Ausschüttung bei 3284 Dollar, außergewöhnlich viel wegen des aktuell hohen Ölpreises.
Die Trans-Alaska-Pipeline schlängelt sich kilometerlang durch eine karge Naturlandschaft in Alaska.
Die Trans-Alaska-Pipeline: "Niemand ist besorgt darüber, dass Biden die Ölfelder abschaltet."© imago images / Joseph Sohm / Joseph Sohm via www.imago-images
Ron zweifelt nicht am Klimawandel. So warme Sommer und so viele Waldbrände wie zuletzt habe es früher nicht gegeben, sagt der Trump-Wähler, der vor über 30 Jahren wegen der Natur und der Freiheit nach Alaska gekommen ist. Das sei ein Problem, findet Ron. Aber anderes sei wichtiger:
"Niemand ist besorgt darüber, dass Biden die Ölfelder abschaltet. Niemand ist besorgt über die fehlende Ölproduktion. Ein Teil unseres Geldes für diesen Staat stammt daraus. Und wenn Biden oder irgendjemand anders eingreift und die Förderung einstellt, dann verlieren wir Einnahmen. Wir verlieren staatliche Mittel, wir verlieren Arbeitsplätze, wir verlieren Geld."

Viele Arbeitsplätze durch Ölförderung

Die meisten Ureinwohner der Ölförderregion in der Arktis sind zusätzlich über ihre Genossenschaften an den Einnahmen beteiligt, viele arbeiten in der Ölförderung und ölnahen Branchen. Gleichzeitig sind hier im arktischen Norden die Auswirkungen des Klimawandels deutlich zu spüren.
Siqnig Maupins Familie kommt aus Nuuqsit, einem Dorf nahe der arktischen Beaufortsee, dessen Bewohner zum größten Teil vom Fischen und Jagen leben. Sie hat eine Umweltinitiative gegründet, die gegen die Erschließung weiterer Ölquellen in der ökologisch empfindlichen Arktisregion kämpft. Doch das versteht längst nicht jeder dort:
"Wir können direkt vor unseren Augen sehen, wie sich das Klima verändert, und es wird immer gefährlicher, Subsistenzwirtschaft zu betreiben, wie zum Beispiel Walfang. Wenn man einen Wal auf das Eis zieht und es bricht, dann kann das Menschen töten und der Wal ist verloren und fällt ins Meer zurück. Und wir sehen, wie die Verantwortlichen diese Bedenken abtun und behaupten, Klimawandel sei natürlich und dass sich Natur und Tiere wieder erholen und an ihre Umgebung anpassen können. Dabei sehen wir, dass das nicht der Fall ist."
Das Auseinanderklaffen von Wissen und Erfahrung auf der einen und dem eigenen Verhalten auf der anderen Seite nennt Meteorologe Rick Thoman eine faszinierende Studie über kognitive Dissonanz:
"Das, was sicherlich nicht nur in Alaska der Fall ist, dass die Menschen sich aktiv anpassen. An das, was auf individueller und gemeinschaftlicher Ebene geschieht, während man gleichzeitig leugnet, dass es notwendig ist, irgendwelche Veränderungen vorzunehmen."

Alternative Energie aus Vulkanen und Geothermie

Doch die Zeiten ändern sich auch in Alaska. Wäre es früher Selbstmord für einen Politiker gewesen, ernsthaft über Alternativen zu Öl und Gas nachzudenken, lud Alaskas republikanischer Gouverneur im Mai zu einer dreitägigen Konferenz für nachhaltige Energie ein. Wie viele fordert auch Scott Kendall, ein Berater von Alaskas republikanischer Senatorin Lisa Murkowski: Umsteuern – aber nicht ohne Öl und Gas.
"Sind wir besser dran, wenn diese Million Barrel an der North Slope in Alaska oder in Saudi-Arabien gefördert wird? Ich finde es besser hier, denn es werden Arbeitsplätze geschaffen und es werden Einnahmen erzielt. Und wir können dieses Geld nutzen, um unseren Staat weiter in eine Wirtschaft der erneuerbaren Energien zu verwandeln. Wir haben Windkraft, Vulkane, Geothermie. Aber wir brauchen auch diesen Reichtum."

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Praktisch jeder in Alaska liebe den Bundesstaat wegen der Weite und der unberührten Natur, sagt Klimaforscher Matthew Sturm. Er selber verbringt seine Freizeit am liebsten mit seiner Frau in einer Hütte abseits vom Straßennetz und ohne fließend Wasser. So wie viele Alaskaner ist er auf ein Motorboot angewiesen, um die Hütte zu erreichen – oder auf ein Schneemobil, wenn im Winter der Boden vereist ist.
Sturm hält nichts davon, den Gebrauch von Autos oder auch Flugzeugen pauschal zu verdammen in einem Bundesstaat, in dem viele Orte anders nicht zu erreichen seien. Die Erwärmung in Alaska werde ja nicht allein vor Ort verursacht. Aber der Klimaforscher warnt davor, sich die Lage schön zu reden:
"Die Natur in Alaska ist nicht unendlich und unverwüstlich. Man muss sehr vorsichtig sein. Man kann sie nicht beliebig reproduzieren. Unberührte Wildnis ist eine einmalige Ressource. Man bekommt sie nicht zurück."
Mehr zum Thema