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Rückzug von Andrea Nahles
Das GroKo-Aus wäre das Ende wichtiger Projekte

Der Rückzug der SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles lässt die GroKo wackeln. Doch was passiert mit der Grundrente, den Verbesserungen bei der Pflege, dem Klimaschutzgesetz und dem Ausstieg aus der Kohle? Wichtige Vorhaben, die so einfach nicht aufs Spiel gesetzt werden sollen.

Von Panajotis Gavrilis | 03.06.2019
Klausurtagung des Bundeskabinetts in Meseberg
Die Führungskrise der SPD wirkt sich auf die Regierungsgeschäfte aus (dpa-Bildfunk / AP / Michael Sohn)
Platzt die Koalition zwischen Union und SPD, dann platzen auch zentrale Vorhaben. Die Liste ist lang, die Themen zu wichtig, um das Bündnis voreilig zu beenden, das weiß auch Bundeskanzlerin Angela Merkel:
"Wir werden die Regierungsarbeit fortsetzen. Mit aller Ernsthaftigkeit. Und vor allen Dingen mit großem Verantwortungsbewusstsein. Denn die Themen, die wir zu lösen haben, liegen auf dem Tisch. Sowohl in der Bundesrepublik Deutschland, hier bei uns zuhause, als auch in Europa als auch natürlich, wenn ich an die Situation in der Welt denke."
Grundrente war Anliegen der SPD
Innenpolitisch wäre zum einen das Thema Grundrente zu nennen. Die SPD will sie ohne Bedürftigkeitsprüfung, die Union nur mit. Es war und ist eines der Kernanliegen der Sozialdemokraten, auch die mittlerweile zurückgetretene SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles wurde nicht müde, dies zu betonen:
"Eine echte Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung ist eine Frage von Respekt und Anerkennung für erbrachte Leistungen. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle klar sagen, dass jedenfalls die Durchsetzung der Grundrente für uns vor Steuerentlastungen für Konzerne steht und auch vor einer 100-Prozent Abschaffung des Soli."
Denn die Abschaffung des Soli ist weiterer Streitpunkt innerhalb der Koalition. Und noch vor der Europawahl hatten Finanzminister Olaf Scholz und Arbeitsminister Hubertus Heil ihr Grundrentenmodell vorgestellt und damit den Ärger des Koalitionspartners auf sich gezogen. Zu teuer, nicht finanzierbar, mit der Union schlicht nicht zu machen. Dieser Ansicht ist auch nach wie vor Tobias Hans, Ministerpräsident des Saarlandes.
"Ein weiter so in dieser Regierung nach dem Motto, es werden Projekte von der SPD auf den Tisch gelegt, die nicht im Koalitionsvertrag vereinbart sind, das wird es mit der Union nicht geben. Bei der Respektrente in etwa, wo das Thema Bedürftigkeitsprüfung zur Debatte steht, da werden wir ganz klar hart bleiben.
Bloß keine Neuwahlen
Sein Parteikollege und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sieht in möglichen Neuwahlen einen Stillstand. Er appelliert beim Thema Grundrente:
"Das kann man doch jetzt nicht so liegen lassen. Sondern jetzt braucht es eine Lösung. Wir können ja nicht stehen bleiben."
Und wie steht es mit dem Klima? Bei vielen Wählerinnen und Wählern war es das zentrale Thema bei der Europawahl. Bis zum Ende dieses Jahres will die Bundesregierung ein Klimaschutzgesetz vorlegen.
"Es ist ganz klar, dass es dieses Jahr ein Klimaschutzgesetz geben wird."
Ist sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz sicher. In der Fernsehsendung "Anne Will" gab er das Versprechen ab: Im September werde die Koalition konkrete Maßnahmen vorstellen, um die CO2-Emmissionen zu begrenzen.
"Ich verspreche es fest. Das ist Koalitionsvereinbarung und ohne diese Beschlüsse wird das auch nicht gehen. Das ist das Jahr, in dem diese Entscheidungen fallen werden und ich bestehe darauf, dass sie dieses Jahr auch fallen.
Das dauere zu lang und führe nicht dazu, die verbindlichen Klimaziele einzuhalten, entgegnen Grüne und Umweltaktivistinnen zugleich.
GroKo hat noch einiges zu erledigen
Und da wäre noch der Ausstieg aus der Kohleförderung bis 2038 und die damit verbundenen Strukturhilfen von insgesamt 40 Milliarden Euro für die Braunkohle-Bundesländer. Ein schnelles Ende der Koalition würde dieses ohnehin schwierige Gesetzesvorhaben ins Wanken bringen. Bei einem plötzlichen Ende wäre aber auch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das aktuell im Bundestag verhandelt wird, in Frage gestellt. Aber auch kleinere Projekte wie die geplante Wohngelderhöhung oder die angestrebten Verbesserungen bei der Pflege – all das würde wohl auf der Strecke bleiben.
Außerdem gibt es dringenden Handlungsbedarf bei der Grundsteuer. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Frist gesetzt: Bis zum Ende des Jahres muss ein neues Gesetz her. Ansonsten darf 2020 keine Grundsteuer erhoben werden. Den Kommunen würden somit Einnahmen von knapp 14 Milliarden Euro entgehen. Der Plan von Finanzminister Scholz sieht unter anderem vor, die Nettokaltmieten, das Alter der Gebäude und den Wert der Grundstücke künftig in die Berechnung der Steuer mit einfließen zu lassen. Auf Landesebene gibt es jedoch Widerstand. Vor allem Bayern stellt sich quer. Zu bürokratisch kritisiert Ministerpräsident Markus Söder, der ein sogenanntes Flächenmodell bevorzugt. Die Große Koalition sei kein Selbstzweck, sagt der CSU-Chef Markus Söder. Aber:
"Wir haben Interesse, diese Koalition fortzusetzen. Der Koalitionsvertrag selber ist noch nicht annähernd abgearbeitet."
In der Tat: Es ist der Koalitionsvertrag, der im Titel den Satz 'Ein neuer Aufbruch für Europa' stehen hat. Deutschland übernimmt im zweiten Halbjahr 2020 die EU-Ratspräsidentschaft.
Fest steht: Egal wie lange diese Koalition zwischen CDU, CSU und SPD hält: Genug zu tun, gibt es allemal.