Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Plottnitz: Klar und Mohnhaupt distanzieren sich von ihren Taten

Ex-RAF-Anwalt Rupert von Plottnitz hat sich skeptisch zu Forderungen nach öffentlichen Entschuldigungen inhaftierter Terroristen geäußert. Er wisse nicht, ob eine solche Entschuldigung, nicht einen "Ritualcharakter" hätte, der der Schuld überhaupt nicht gerecht werden könne, sagte Plottnitz in der Debatte um die mögliche Haftentlassung der RAF-Terroristen Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar.

Moderation: Jochen Spengler | 23.01.2007
    Jochen Spengler: Wir kommen zu einem anderen Thema, das seit zwei Tagen die Gemüter erhitzt. Sollen ehemalige Terroristen der Rote Armee Fraktion vorzeitig aus der Haft entlassen werden oder nicht? Die Debatte darüber weitet sich aus.

    Am Telefon begrüße ich nun Rupert von Plottnitz. Er ist Jurist und Bürgerrechtler. Er war in den 70er Jahren Strafverteidiger des RAF-Terroristen Jan-Carl Raspe. Später war er Politiker der Grünen, und er ist ehemaliger Justizminister in Hessen. Guten Tag Herr von Plottnitz!

    Rupert von Plottnitz: Hallo, guten Tag!

    Spengler: Wir haben das eben gehört: Hans-Jochen Vogel und nicht nur er fordern, dass man die RAF-Strafgefangenen nicht besser und schlechter behandelt wie andee auch, also wie andere normale Kriminelle, auch wenn sich diese selbst immer als politische Gefangene betrachtet haben. Was meinen Sie?

    Plottnitz: Erst einmal weiß ich nicht, ob die Betroffenen sich heute noch so wie früher als politische Gefangene bezeichnen oder bezeichnen würden, aber es geht ja in den Fällen, die jetzt diskutiert werden, nicht um Sonderrechte. Die bewährungsbedingte Entlassung ist ja auch im Recht der Bundesrepublik für lebenslang Verurteilte spätestens seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1977 vorgesehen. Genauso ist vorgesehen im Recht der Bundesrepublik die Gnadenentscheidung. Die ist auch in der Bundesrepublik nicht verboten.

    Spengler: Das wollen wir noch ein bisschen vertiefen. Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, lebenslang ist in Deutschland nicht lebenslang?

    Plottnitz: So ist es. Insofern haben wir ohnedies die paradoxe Situation, dass die lebenslange Freiheitsstrafe noch im Gesetz steht, im Strafgesetzbuch, in der Praxis aber spätestens mit dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes obsolet ist, weil nach der Entscheidung jeder zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Strafgefangene die Chance haben muss, auch wieder auf freien Fuß zu kommen, und zwar deswegen, weil ansonsten das Würdegebot des Grundgesetzes nicht beachtet werden würde.

    Spengler: Herr von Plottnitz, zum Fall Mohnhaupt. Sie wird Ende März nach 24 Jahren Haft nur dann nicht entlassen, wenn denn das Oberlandesgericht zum Schluss kommt, dass sie noch gefährlich sein könnte. Wieso geht es in diesem Fall nicht um Entschuldigung oder Reue?

    Plottnitz: Weil in den einschlägigen rechtlichen Vorschriften, mit denen wir es zu tun haben und die wie gesagt nicht nur im Falle Mohnhaupt, sondern in allen einschlägigen Fällen eine Rolle spielen, das maßgebliche Kriterium das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit, so heißt es im Gesetz, darstellt. Insofern wird zunächst mal darauf geachtet oder wird zunächst mal mit Prognosegutachten, mit Stellungnahmen der JVA, in der die Gefangene einsitzt, und ähnlichen Stellungnahmen festgestellt, gibt es noch Risiken, kriminalrechtliche Risiken, die von einer Gefangenen dieser Art ausgehen, oder nicht? Das ist ein wichtiger Aspekt.

    Zu der Frage aber Reue und Entschuldigung lassen Sie mich eins sagen: Wer wie ich in der Vergangenheit als Strafverteidiger an den Hauptverhandlungen in solchen Verfahren beteiligt war, der weiß, allein die Stellung eines Antrages, bewährungsbedingt aus der Strafhaft entlassen zu werden, so ein Antrag muss ja begründet werden und in dem Antrag muss ja auch etwas gesagt werden zu der Haltung, die man heute gegenüber den früheren Straftaten, die zur Verurteilung geführt haben, einnimmt , allein ein solcher Antrag zeigt ja schon, dass es eine Abkehr von der Vergangenheit gibt. Sonst würde er nicht gestellt werden, gerade nicht von Gefangenen dieser Art. Das gleiche gilt auch für den Umstand, dass im Falle Klar ein Gnadenantrag gestellt worden ist.

    Spengler: Doch nicht nur die Angehörigen stört, dass es bis heute keine Klarheit gibt, wer eigentlich genau Siegfried Bubak oder auch Hanns-Martin Schleyer ermordet hat, also wer geschossen hat. Müsste das nicht eigentlich auch in so eine Entscheidung einfließen?

    Plottnitz: Es gibt ja gerichtliche Urteile, in denen zu der Frage, wer im Zusammenhang mit diesen Tötungsdelikten Schuld auf sich geladen hat oder nicht, sehr präzise Feststellungen enthalten sind. Insofern glaube ich, dass man sich getreulich stützen kann auf das, was die Gerichte der Bundesrepublik zu solchen Fällen festgestellt haben und wem sie dort strafrechtliche Schuld angelastet haben. Da würde ich das geringste Problem sehen.

    Zu der Forderung nach Entschuldigung, das spielt ja immer eine große Rolle. Ich weiß auch gar nicht, ob eine solche Entschuldigung, wenn sie denn öffentlich zelebriert werden würde – in Anführungsstrichen - , einen Ritualcharakter hätte, der der Schuld, die dort eine Rolle spielt und die aus Sicht der Angehörigen der Opfer ganz sicherlich zu Recht hervorgehoben wird, überhaupt gerecht werden kann.

    Spengler: Aber es muss doch keinen Ritualcharakter haben, wenn einer, sagen wir mal in einem Nebensatz, sagt es tut mir leid?

    Plottnitz: Ich kann mir nicht vorstellen, dass zum Beispiel in den Gnadenanträgen, die jetzt in Berlin beim Bundespräsidenten eine Rolle spielen, oder auch in den Anträgen, die vorm Oberlandesgericht in Stuttgart eine Rolle spielen, nicht auch Bekundungen des Bedauerns enthalten sind, weil jemand, der solche Anträge stellt und in diesen Anträgen den Eindruck erweckt, dass er das alles prima fand, was da in der Vergangenheit zu seiner Verurteilung geführt hat, der, glaube ich, würde nicht auf den Gedanken kommen wird, erfolgreich solche Anträge stellen zu können.

    Spengler: So einen Antrag auf Gnadengesuch hat Christian Klar gestellt. Seine Haftzeit liefe in zwei Jahren erst aus. Darüber muss nun der Bundespräsident entscheiden. Sehen Sie diesen Fall anders als den Fall Brigitte Mohnhaupt?

    Plottnitz: Er ist rechtlich völlig anders, weil: In einem Fall haben wir es mit einem Gnadenverfahren zu tun, in dem Berliner Fall, und im Fall in Stuttgart haben wir es mit einem regulären Verfahren zu tun, gerichtet auf bewährungsbedingte Entlassung aus lebenslanger Haft. Insofern haben wir es mit rechtlich zwei verschiedenen paar Schuhen zu tun. Im Falle in Berlin spielt sicherlich allerdings dann für die Gnadenentscheidung eine Rolle, dass es kaum einen Gefangenen in der Bundesrepublik geben dürfte, der so lange in Strafhaft verbracht hat wie der Antragsteller Klar. Ich habe gerade jetzt irgendwelche Zeitungsberichte gelesen. Ich glaube, der hat fast die Hälfte seines Lebens - und zwar seiner gesamten Lebenszeit - im Gefängnis verbracht.

    Spengler: Das war Rupert von Plottnitz, ehemals Justizminister in Hessen. Herr von Plottnitz, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Plottnitz: Ich bedanke mich.