Rückkehr der Raubtiere

Der deutsche Wolfs-Wahnsinn

Zwei Wölfe im Wildpark Eekholt in Schleswig-Holstein
Zwei Wölfe im Wildpark Eekholt in Schleswig-Holstein © picture alliance / dpa
Von Andreas Rinke |
Er galt als ausgerottet, doch nun ist der Wolf wieder da. Mehrere Landesregierungen unterstützen die Wiederansiedlung des Raubtiers in Deutschland. Unser Autor Andreas Rinke findet diese Bemühungen ein wenig überzogen.
Nun hat es der europäische Wolf sogar über den Atlantik bis ins Wall Street Journal geschafft: Die Wirtschaftszeitung widmete sich einem wahren „Clash of Civilisations“ in Deutschland: Auf der einen Seite das Raubtier Wolf, das sich an wenige Spielregeln hält, auf der anderen Seite der regelfixierte, umweltbewusste Deutsche. Kaum ein Tag, an dem sich Gazetten nicht mit den seit den 90er-Jahren aus Polen immer weiter westwärts wandernden Wölfen beschäftigen.
Dies liegt auch am zwiespältigen Image des grauen Vierbeiners: Einerseits kennt ihn jedes Kind als Oma- und Rotkäppchen-verschlingende Bestie. Andererseits hat sich nach seiner Ausrottung in Deutschland in den siebziger Jahren das Bild in Kinderbüchern radikal verändert: Nach und nach wurden allen Raubtieren die Zähne gezogen – in den Geschichten wimmelt es nun von kuschelnden Eisbären sowie Haien und Wölfen, die lieber spielen als jagen wollen. Auch die Natur wird im konsensbesessenen Deutschland idealisiert.
„Wolf-Erwartungsland“ Schleswig-Holstein
Kein Wunder, dass die Aufnahmebereitschaft für die Vierbeiner bei einigen geradezu überschäumt: In Niedersachsen kommt zum hauptamtlichen Wolfsbeauftragten nun ein Wolfsbüro mit drei Stellen. Schleswig-Holstein hat zwar noch keine eigenen Wölfe, aber bereits ganz offiziell den Status als „Wolf-Erwartungsland“. Die Vorfreude wirkt wie die moralische Wiedergutmachung für die frühere Ausrottung.
Nun ist es richtig, dass der real auftretende Wolf meist menschenscheu ist und keine Großmütter am Stück herunterschluckt wie im Märchen. Aber Zwischenfälle mit gerissenen Schafen häufen sich ebenso wie sogenannte „Nahbegegnungen“ mit Menschen. An der etwas naiven „Wir-wollen-den-Wolf-begrüßen“-Haltung hat sich aber noch nichts geändert. Das sorgt für echte Possen: Als sich ein Wolf etwa einem Waldkindergarten im niedersächsischen Goldenstedt näherte, gab das Umweltministerium in Hannover zunächst nicht etwa die Erlaubnis zum Abschuss oder zur Betäubung, um ihn in andere Gegenden zu bringen.
Nein, erlaubt wurde in schönster Jägersprache zunächst nur, den unter Artenschutz stehenden Wolf zu „vergrämen“ – also ihn zu verschrecken. In Skandinavien, der Hochburg des Glaubens an die alles heilende Kraft der Pädagogik, werden sogar Erziehungsprogramme getestet, um Wölfen klar zu machen, dass sie Menschen nicht zu nahe kommen sollten.
Tiere werden erst angesiedelt, um sie danach zu schützen
Aber auch wenn die meisten Wölfe keine zwangsläufige Bedrohung für Menschen sind: Kommt es zum ersten ernsthaften Zwischenfall, könnte der Traum vom staatlich angeordneten harmonischen Miteinander der Raubtiere Mensch und Wolf im relativ dicht besiedelten Deutschland platzen. Zur Erinnerung: Zoos oder Tierparks sind gerade aus dem Wunsch entstanden, sich auch gefährliche Tiere in Gehegen anschauen zu können – ohne eigene Gefahr.
Ganz nebenbei stellt der Wolf die bisherige Naturschutz-Debatte auf den Kopf: Bisher galt die Sorge um vermeintlich oder tatsächlich seltene Tiere und Pflanzen als berechtigter Bremsfaktor gegen zu große Eingriffe des Menschen in die Natur. Jetzt aber soll die Vergangenheit wiederhergestellt und die Logik umgekehrt werden: Tiere werden erst angesiedelt, um sie danach zu schützen.
Dabei gibt es gar keine Ur-Natur. Deutschland sah zu Zeiten, als es Deutschland noch nicht gab, ganz anders aus als heute. Wie gut, dass sich bisher noch niemand die Zeiten zurückgewünscht hat, als weite Teile Norddeutschlands Sümpfe und Malariagebiet waren – mit einer entsprechenden Mückenvielfalt als heute.
Andreas Rinke, Jahrgang 1961, ist ausgebildeter Historiker und hat über das Schicksal der französischen „Displaced Persons“ im Zweiten Weltkrieg promoviert. Er hat als politischer Beobachter bei der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ und dem „Handelsblatt“ gearbeitet. Heute ist er politischer Chefkorrespondent der internationalen Nachrichtenagentur Reuters in Berlin.
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