Cristina Morales: "Leichte Sprache"

Aufschrei gegen Bevormundung

06:17 Minuten
Das Cover des Buches "Leichte Sprache" von Christina Morales zeigt die Illustration einer Frau.
© Matthes & Seitz Berlin

Cristina Morales

Aus dem Spanischen übersetzt von Friederike von Crieger

Leichte SpracheMatthes und Seitz, Berlin 2022

410 Seiten

25,00 Euro

Von Victoria Eglau · 04.05.2022
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In ihrem preisgekrönten Roman erzählt die Spanierin Cristina Morales, wie vier als „geistig behindert“ eingestufte Frauen gegen staatliche Bevormundung rebellieren. Durch den Mund ihrer Figuren übt die Autorin eine weitergehende radikale Systemkritik.  
Angels, Margarita, Patricia und Nati leben in einer betreuten Wohngemeinschaft in Barcelona. Die Frauen sind miteinander verwandt und alle vier gelten als mehr oder minder geistig zurückgeblieben: Angels stottert, Margarita ist Analphabetin, Patricia hat Logorrhoe (Sprechsucht) und Nati leidet unter einer Krankheit, die sie selbst als „Schiebetüren-Syndrom“ bezeichnet. Wenn sie unter Druck steht, wird sie laut und beleidigend – als hätten sich vor ihrem Gesicht Schiebetüren geschlossen.

Vier Frauen und die staatliche "Fürsorgeindustrie"

Die spanische Autorin Cristina Morales, geboren 1985 in Granada, schreibt ihren Roman "Leichte Sprache" aus der Perspektive und mit den Stimmen dieser vier Frauen, um die sich seit ihrer Jugend die staatliche „Fürsorgeindustrie“ kümmert.
Und man wird den Eindruck nicht los, dass Angels, Margarita, Patricia und Nati gar nicht so „behindert“ sind, wie es die Sozialbehörden festgestellt haben, sondern dass sie vielleicht nur durch das Raster gesellschaftlicher Vorstellungen von Normalität fallen.

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In Rückblenden erfahren wir, dass die Frauen aus einer bildungsfernen ländlichen Gegend stammen und als Waisen oder Halbwaisen aufwuchsen. Sozialarbeiterinnen holten die Mädchen aus ihren rückständigen Dörfern und brachten sie ins Heim.
Von ihrer Behindertenrente profitierten Verwandte und die Heimverwaltung, während die „Betreuten“ mit Bastelarbeiten beschäftigt und mit Spritzen und Tabletten ruhiggestellt wurden. Aus diesem perversen System auszubrechen und in die Großstadt zu flüchten, ist der erste Akt der Auflehnung von Angels, Margarita, Patricia und Nati.

Margaritas sexuelle Begegnungen

Im progressiven Barcelona ist die staatliche Bevormundung subtiler. Dort gibt es betreute WGs, „Selbstvertretungsgruppen“ für geistig Behinderte und inklusive Tanzprojekte. Aber auch hier rebellieren die Frauen: Nati wettert gegen „Machos“ und „Faschos“ und das „Heteropatriarchat“.
Margarita wirft sich von einer sexuellen Begegnung in die nächste und schließt sich der „Okupa“-Szene an, um eine Wohnung zu besetzen. Angels beginnt, einen Roman zu schreiben – in „leichter Sprache“, einer Sprache für Menschen mit Lernschwierigkeiten. In dem Maße, wie sie anfängt, die starren Regeln der leichten Sprache zu verletzen, wird ihr Text immer mutiger, kritischer und selbstbewusster.

Kritik am Neoliberalismus

"Leichte Sprache" sei „ein Roman wie ein Aufschrei“, so der spanische Verlag Anagrama. Es ist nicht nur der Aufschrei der vier Frauen,  es ist eine radikale Systemkritik, die Cristina Morales übt: An Kapitalismus und Neoliberalismus, aber durchaus auch an Linkspolitikern und politisch korrekten „Gutmenschen“.
Ihre Kritik macht auch vor anderen Intellektuellen nicht Halt, etwa seziert sie Carolin Emckes Essay "Gegen den Hass".  "Leichte Sprache" ist ganz schön „schwere Kost“, ab und zu kommt der Roman aber tatsächlich leicht daher, etwa bei der humorvollen Schilderung endloser Diskussionen anarchistischer Hausbesetzer.
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