Still ruht die Bombe

Von Jürgen Stratmann · 25.12.2005
Nach dem Zweiten Weltkrieg und während des Kalten Krieges war die Atombombe und ihr Zerstörungspotential auch kulturell sehr präsent: Auf die konkrete Bedrohung wurde konkret reagiert. In den 80er Jahren wandelte sich die kulturelle Reaktion in apokalyptische Visionen um. Heute scheint die Bombe nicht mehr en vogue, auch wenn die Gefahr immer noch konkret ist.
Schmetter mein Herz, o Dreifach Gott, denn scheu
Klopfst du erst an und hauchst nur: beßre dich.
Damit ich aufsteh, wirf mich um, zerbrich
Mich ganz und gar, verbrenn und mach mich neu.


Ausgerechnet auf ein religiöses Gedicht aus dem frühen 17. Jahrhundert, auf eine Strophe aus den "Holy Sonetts" des englischen Priester-Poeten John Donne soll jener Name zurückgehen, auf den Josef Oppenheimer seine unheimliche Schöpfung taufte: Trinity - so hieß die erste Atombombe, gezündet am 16. Juli 1945 um 5 Uhr 29 in der Wüste von New Mexico...

Aber angesichts des grellen Explosionsblitzes, hell wie das "Licht von tausend Sonnen", über und über mit grauer Asche bedeckt im Sturm der heißen Druckwelle, habe er spontan aus einem anderen Gedicht zitiert:

Ich wurde zum Tod, zum Zerstörer der Welten...

"...In allen Oppenheimer-Biographien steht, dass Oppenheimer bei der Explosion ein paar Zeilen aus der Bhagawadgita, von dem mächtigen Zerstörer und Erschütterer aller Welten, was auf Shiva bezogen ist, auf den indischen Gott, und das hat er eben dann auf die Atombombe umgemünzt, und das ging auch ganz gut, weil Shiva mit der Sonne assoziiert wird und die Sonnenassoziation in der Frühphase der Metaphorisierung von Atombomben ganz stark war: künstliche Sonnen, das war die Vorstellung, ein neuer Stern und solche Dinge."

Erklärt Thomas Macho, Professor für Kulturgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin. Dieser Sonnenbezug prägte die Metaphorisierung der Bombe bis hinein in die Alltagskultur: 1946 schritt auf einer Pariser Modenschau ein Modell mit einem aus vier Dreiecken zusammengesetzten Badeanzug über den Laufsteg, der nach dem Atoll benannt war, auf dem vier Tage zuvor die bis dahin verheerendsten Test-Explosionen stattgefunden hatten: der Bikini, so heißt es, schlug ein wie eine Bombe.

"Es gab eine metaphysische Aufwertung und es wurde dann auch sexualisiert. Verherrlichung und der Sexualisierung, dass sind die Elemente dieser ersten Periode."

Thomas Macho unterscheidet drei Phasen der kulturellen Auseinandersetzung mit der atomaren Bedrohung. Der ersten Phase der seltsam unbeschwerten Kulturalisierung folgte in den 60ern eine Periode der pazifistischen Kritik.

"Die Kuba Krise! Der Moment, wo es vor der Tür stand, und man dachte, es kann übermorgen losgehen. Ich erinnere mich noch, das war ein etwas düsterer Morgen in Wien, wie mein Vater ins Zimmer kam und dem damals zehnjährigen Sohn sagte: Es wird zu einem neuen Krieg kommen, und das wird der letzte sein. Da ist etwas sichtbar geworden, was vorher nicht sichtbar gewesen war..."

Kurz darauf kam Stanley Kubricks "Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben" in die Kinos...

"Da konnte plötzlich auch Ironie vorkommen, auch die Angst vor Unfällen, die ja in dem Film ´ne große Rolle spielt, in dem Kubrick ja auch real existierende Figuren verarbeitet hat ..."

... wie etwa den Physiker und Erstschlags-Apologeten Edward Teller…

"Teller sagte, wir können einen Atomkrieg führen und wir können ihn auch gewinnen, und mein Gott, wird uns zwar Millionen kosten, aber das können wir doch verkraften..."

Der entsprechende Filmausschnitt:

"Mr President, ich will nicht sagen, dass wir dabei keine Haare lassen müssten, aber das sage ich: nicht mehr als runde 25 Millionen Tote im Höchstfall, ich meine, ist eben reine Glücksache, mmh!"

Der Kulturbetrieb - ob Literatur, Film oder Musik - reagierte auf die konkrete Bedrohung mit konkreter Kritik - das sollte sich in der dritten Phase, in den 80ern, grundlegend ändern.

Ausschnitt aus "The Day after": "Wissen Sie, wir sprechen jetzt nicht mehr über Hiroshima, Hiroshima war dagegen ein Kinderspiel"...

"Da geschahen Stimmen und Donner und Blitze und Erdbeben, und es ward ein Hagel und Feuer mit Blut gemenget und fiel auf die Erde..."

Gleichsam als Amalgam aus der ehrfürchtig staunenden Bomben-Apotheose der frühen Jahre und den schlimmsten Befürchtungen der 60er und 70er geisterte nun das Gespenst der Apokalypse durch den Diskurs - wie in dem Doomsday -Szenario "The Day after"

"...und es ging auf ein Rauch aus dem Brunnen wie ein Rauch eines großen Ofens..."

"Ich hatte damals da Gefühl, dass diese apokalyptischen Ängste, die damals so präsent waren, und teilweise sich umkanalisiert haben auf Tschernobyl, dass diese Ängste mehr mit anderen kulturellen Effekten zu tun haben, als mit einer realen Wahrnehmung von Bedrohung und einer realistischen Prognostik."

Dann kam der Unfall von Tschernobyl:

"Das war ein Glücksfall, nämlich in Bezug der Überführung der Phantasien in die Realität. Andererseits war's aber auch ein Unglücksfall, weil man mit diesen apokalyptischen Phantasien tatsächlich auch so etwas wie ein Weltgericht erwartet hatte."

Ausschnitt "The day after": "...wir danken dir, oh Gott, allmächtiger Gott, dafür, dass du die Zerstörer dieser Welt zerstörst...""...und das war eben nicht damit verbunden..."

... nicht nur, dass die Menschheit ziemlich glimpflich davon kam, auch der kalte Krieg neigte sich dem Ende zu. Damit war die ganze düstere Prophetie als Paranoia diskreditiert, das Thema vom Tisch.

""Auf der anderen Seite hat sicher auch ´ne Rolle gespielt, dass bestimmte Faktoren des kalten Krieges gut in apokalyptische Inszenierungen gepasst haben. Es waren zwei Mächte, und beide waren füreinander das Reich des Bösen."

Ausschnitt "Dr. Seltsam…": "...warte, du verdammter Kommunist, dir werd ich das Handwerk legen...
Lassen sie mich sofort los, sie mit ihren kapitalistischen Methoden!"

Macho: "Und man konnte die ganzen manichäisch dualistischen Dramaturgien von Apokalypse gut auf die Situation beziehen. Heute gibt es eine Vielzahl von Kulturen, die berühmten Schurkenstaaten, die in Frage kommen als Evil Empires, gleichzeitig aber zu schwach sind, um eine Art Antagonismus zu den USA bilden zu können..."

Die Gründe für das Verschwinden der Bombe aus der Kultur haben demnach weniger mit dem Verschwinden des Gefahrenpotenzials zu tun, als vielmehr mit Kriterien und Mechanismen, die dem Bereich der kulturellen Produktion zuzurechnen sind: Die Verhältnisse taugen einfach nicht mehr zum Entwurf dramatischer Szenarien.

"Bedrohungen, wie sie durch die Nuklearisierung der Welt seit den 50ern entstanden sind, sind nicht nur ereignisförmig, sondern auch auf Langzeit angelegt. Und diese Langfristigkeit der Bedrohung ist etwas, die können wir schlecht mit kulturellen Phantasien verbinden - das ist etwas, worauf Günther Anders sehr früh aufmerksam gemacht hat."

Für den Philosophen Günther Anders war der 16. Juli 1945 "die Stunde Null einer neuen Zeitrechnung" - der Anfang vom Atomzeitalter, der letzten Epoche der Menschheit:

"Seine Idee war ja, das Wissen, was wir je erworben haben, können wir nicht mehr vergessen. Das reale Drohpotenzial ist so unabsehbar auf tausendfaches von Overkill-Kapazitäten angewachsen, dass eigentlich keine Vorstellung mehr möglich ist von einem Ende dieser Bedrohung, Dieser Analyse stimme ich nach wie vor zu."

1947 ersannen amerikanische Atomphysiker die "Doomsday Clock" - eine "Atomkriegsuhr", die die Wahrscheinlichkeit einer nuklearen Auseinandersetzung anzeigt. Der Zeiger stand damals auf 7 Minuten vor 12 - da steht er heute wieder.