Dienstag, 30. April 2024

Archiv


119 Rundbriefe (1934-1945)

Otto Fenichel wurde 1920 - er war damals 23 Jahre alt und noch Medizinstudent - Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. Zwei Jahre später zog er nach Berlin, in die Stadt, in der die Freudsche Lehre - neben Wien - in der Zwischenkriegszeit ihre zweite bedeutende Filiale hatte. Hier wurde Fenichel zum Initiator einer informellen Gruppe sozialistisch orientierter Psychoanalytiker, die nach der Emigration 1933 aus Deutschland den Kontakt zueinander mit Hilfe von "Rundbriefen" aufrecht erhielten. Diese Briefe lagerten ein halbes Jahrhundert lang unbeachtet in sechs verschiedenen Archiven in den USA, bevor sie Janis Osolin sammelte, der bis vor kurzem dem Stroemfeld Verlag angehörte. Nun liegen diese einzigartigen Dokumente in zwei Bänden von über 2000 Seiten vor. Sie vervollständigen unser Wissen über die Geschichte der Psychoanalyse in der Zeit zwischen 1933 und 1945 auf frappante Weise.

Bernd Nitzschke | 14.02.1999
    1940 blickte Fenichel in einem aus Los Angeles verschickten "Rundbrief" noch einmal auf die Zeit vor Hitlers Regierungsantritt zurück: "Im Jahre 1931, als ich die Redaktion der (Internationalen) `Zeitschrift' (für Psychoanalyse) innehatte, hatte Freud nach Lektüre der Fahnen von (Wilhelm) Reichs Aufsatz `Der masochistische Charakter' angeordnet, daß dieser Aufsatz nur mit einer von ihm (Freud) verfaßten Fußnote erscheinen dürfte, deren Publikation allen sozialistischen Analytikern höchst unwillkommen gewesen wäre. Aus diesem Anlaß berief ich die `linken' Analytiker Berlins zusammen, um mit ihnen zu beraten, was zu tun sei."

    Der große Ratschlag hatte - zunächst - Erfolg: Die Linksfreudianer konnten das Erscheinen der Fußnote Freuds verhindern, in der Wilhelm Reich vorgeworfen werden sollte, mehr als der wissenschaftlichen Wahrheit der Parteidoktrin der KPD zu gehorchen. Diesem ersten Treffen schlossen sich weitere Zusammenkünfte der Gruppe an. Dazu schreibt Fenichel: "Wir kamen bei Reich zur Diskussion marxistisch-analytischer Fragen zusammen, und besonders die beiden Abende über `Psychoanalyse und Religion' und `Psychoanalyse und Pädagogik' habe ich in sehr guter Erinnerung, weil sie die Fehler der üblichen `bürgerlich-analytischen Auffassung' klärten. Diese erste Zeit unserer Arbeit fand ein Ende mit Hitlers Machtantritt. Die Berliner Kollegen zerstreuten sich über die ganze Welt. Wir sehnten uns nacheinander und hatten gleichzeitig ... den Eindruck, daß eine Einflußnahme auf die vom Faschismus auch innerlich bedrohte psychoanalytische Bewegung nötiger war als je. Im Frühjahr 1934 sandte ich den ersten `Rundbrief' in die Welt ..."

    Mehr als hundert weitere "Rundbriefe" folgten. Sie gingen in alle Welt: an Barabara Lantos und Käthe Frankl, die nach 1933 in England Zuflucht gefunden hatten; an Samuel Goldschein, der nun in Palästina das pädagogische Konzept der Kibbuzerziehung begleitete; an Edith Glück, die nach Ceylon ausgewandert war und sich dort einer trotzkistischen Gruppe angeschlossen hatte; an Georg Gerö, der nach der Besetzung Dänemarks über Schweden, Finnland, Rußland und Japan in die USA gelangte, wo sich bereits Edith Jacobson, die aus der Gestapohaft hatte fliehen können, und Annie Reich aufhielten. Zu diesem engeren Kreis der "Rundbrief"-Empfänger gesellten sich im Laufe der Jahre dann weitere Psychoanalytiker, die - wie Fenichel und seine Anhänger - die Libidotheorie Freuds gegen alle Revisionsversuche verteidigten, weil sie meinten, daß sich die dialektische Beziehung zwischen gesellschaftlichen Prozessen und individuellen psychischen Strukturen mit Rückgriff auf dieses theoretische Bindeglied am besten verstehen ließe. Nur Wilhelm Reich, dessen Artikel Anlaß der Gründung der Gruppe war, und Nic Hoel, eine Sympatisantin Reichs, die 1943 wegen Teilnahme am antifaschistischen Widerstand in Norwegen verhaftet wurde, gehörten nicht mehr zu den "Rundbrief"-Empfängern, als Fenichel 1940 Rückschau auf die Gründungsphase hielt. Fenichel hatte sich mit diesen beiden langjährigen Weggefährten zerstritten. Dieser Streit kulminierte in den Jahren 1934 und 1935. Wilhelm Reich trat damals für ein öffentliches Bekenntnis der Psychoanalytiker gegen den Faschismus ein, während Fenichel für verdeckten Widerstand innerhalb der psychoanalytischen Organisationen plädierte.

    Reichs Standpunkt war denn auch der Grund für seinen Ausschluß aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Über die Hintergründe dieses Ausschlusses, der 1934 auf Veranlassung Freuds erfolgte und in der psychoanalytischen Vereinsgeschichtsschreibung nach 1945 fälschlich als freiwilliger Austritt Reichs dargestellt wurde, informieren nun die wiederaufgefundenen Dokumente im Detail. Im 8. "Rundbrief" bemerkt Fenichel, man habe Reich "weder seine von Freud abweichenden Ansichten ... noch seine politischen Ansichten" vorgeworfen, vielmehr die "spezifische Art", in der Reich beides miteinander verbinden wollte. Da Reich die Meinung vertrat, Psychoanalytiker hätten "mit unbedingter Notwendigkeit eine gewisse politische Tätigkeit als Konsequenz" ihrer Wissenschaft zu vertreten - nämlich den offenen Kampf gegen den Faschismus an der Seite der Linksparteien -, hätte das "Publikum" - gemeint waren die Machthaber in Deutschland - nicht mehr unterscheiden können, "mit welchen Äußerungen des Psychoanalytikers Reich seine psychoanalytische Organisation einverstanden sei, mit welchen nicht". Mit Reichs 1933 im Exil erschienener Schrift "Massenpsychologie des Faschismus" waren die psychoanalytischen Funktionäre nun aber ganz und gar nicht mehr einverstanden. Denn ein Bekenntnis zu dieser Schrift hätte ein sofortiges Verbot der Psychoanalyse in Nazi-Deutschland nach sich gezogen. Ein solches Verbot wollten die Funktionäre der deutschen und der internationalen psychoanalytischen Organisationen nun aber um jeden Preis verhindern. Und dieser Preis war hoch: Er bestand in der sukzessiven Selbstgleichschaltung der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft im NS-Staat.

    Anders als der kompromißlose Reich, der sich nach seinem Ausschluß aus den psychoanalytischen Organisationen in orgontheoretischen Spekulationen über die Welt- und Heilsgeschichte verlor, blieb der kompromißbreite Fenichel weiterhin Mitglied der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Doch dafür bezahlte auch er einen hohen Preis: Seine Hoffnung, der internationale Verband werde die angepaßten deutschen Psychoanalytiker ausschließen, nachdem diese ihre jüdischen Kollgen 1936 ausgegrenzt hatten und - auf Hitlers "Mein Kampf" eingeschworen - einem NS-Institut beigetreten waren, wurde enttäuscht. Die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft wurde nach ihrer vollständigen "Arisierung" nicht ausgeschlossen, sondern vom internationalen Verband sogar noch einmal ausdrücklich als Zweigvereinigung anerkannt.

    1938, nach der Besetzung Österreichs, verließ Fenichel Europa. Bis dahin hatte er in Prag ausgeharrt und die dortige Gruppe der Psychoanalytiker geleitet. Im ersten "Rundbrief", den er aus den USA verschickte, zitiert Fenichel seine Abschiedsworte an die in Prag zurückgebliebenen Kollegen: "Der Ratio ist der Krieg angesagt. Düster ist es geworden. Viele sind bedrängt, viele in Not, und gefährdet ist, wer denkt. In die Vernunft hat sich die rohe Dummheit eingemengt, vorbei ist, was einst war. Der Fortinbras ist da. Doch weil sich wahre Redlichkeit niemals besiegen läßt ..., so kann sie warten. Wo sie die Wahrheit hat, da wird sie sie bewahren - und wenn sie dazu weit wegfahren müßte. Es gibt - in Trauer - Hoffnung in Amerika." Dort angekommen, wurden Fenichels Hoffnungen weiter enttäuscht. Denn in den USA hatten zwar die Freudianer Zuflucht gefunden, nicht jedoch die Psychoanalyse, die Fenichel und die "Rundbrief"-Empfänger vertraten.


    Das hätte Fenichel eigentlich voraussehen müssen, hatte er doch selbst, als er noch in Europa lebte, einen Bericht über die in den USA vorherrschende Auffassung der Psychoanalyse erhalten, den er so kommentierte: "Wer über Amerika noch Illusionen hat, lese folgenden Bericht". Darin hieß es, in den USA gelte für die Psychoanalytiker "ein einziges Prinzip, und das heißt: `Anpassung an die gegebene (gesellschaftliche) Realität' ... Als selbstverständlich wird erklärt, daß die Analyse brave Bürger zu erziehen habe, und immer wieder wird versichert, wie geschickt die Analyse dem Patienten den Triebverzicht beizubringen weiß. Es wird immer mehr ein psychotherapeutisches Instrument für Pastoren daraus." Fenichel gab dennoch nicht auf. Er kämpfte weiter - für den Zusammenhalt der Linksfreudianer und für die "psychoanalytische Wissenschaft", die er gegen alle Versuche verteidigen wollte, sie auf eine bloße "Unterabteilung der `Psychotherapie'" zu reduzuieren.

    Und deshalb kämpfte Fenichel in den USA auch gegen das Verbot der sogenannten Laienanalyse. Als "Laien" wurden damals Nicht-Mediziner bezeichnet - Psychologen, Soziologen, Philosophen und andere Wissenschaftler -, die als Psychoanalytiker arbeiten, die Psychoanalyse jedoch nicht kurzschlüssig mit ihrer therapeutischen Anwendung gleichsetzen wollten. Sie durften nun aber keine ordentlichen Mitglieder der Amerikanischen Psychoanalytischen Vereinigung werden. Der "Hauptgegensatz", so schrieb Fenichel deshalb, entzünde sich derzeit an der "Laienfrage, hinter der sich eben die verschiedene Auffassung der Analyse als eines Teils der Psychiatrie oder (als) einer neuen Wissenschaft vom Menschen verbirgt".

    Die Psychoanalyse sollte mehr und anderes leisten, als die Wiederanpassung psychisch Kranker an die gegebene gesellschaftliche Realität zu befördern, meinte Fenichel. Doch die Ideologie der Machbarkeit der Welt und des Menschen und die Forderung der Militärpsychiater nach einer effektiven Kurzpsychotherapie, mit deren Hilfe die sogenannten Kriegsneurotiker so rasch wie möglich wieder fit gemacht werden sollten für den Fronteinsatz, fanden immer mehr Anhänger - nicht nur unter den im NS-Staat verbliebenen, sondern auch unter den amerikanischen Psychoanalytikern. Fenichel hat in den "Rundbriefen" den Vergleich zwischen beiden Gruppen mehrfach gezogen.

    Das gesellschaftskritische Potential der Psychoanalyse war für derartige Revisionen allerdings hinderlich. Also wurde es zunehmend verdrängt. Diesen Prozeß der "Verdrängung der Psychoanalyse" durch die Psychoanalytiker selbst charakterisierte der amerikanische Historiker Russell Jacoby, der bereits in den 80er Jahren Zugang zu den - damals noch unveröffentlichten - "Rundbriefen" hatte, als "Triumph des Konformismus". Damit resümierte Jacoby eine Einschätzung, die Fenichel im "Rundbrief" vom 25. November 1940 gab. Fenichel schrieb damals: "Ich habe bis jetzt unsere gegenwärtige Situation in Amerika mit der Lage unserer Gruppe beim Luzerner Kongreß (bei dem Wilhelm Reich ausgeschlossen wurde) verglichen. Wir waren zwar damals `in Opposition', aber dennoch davon überzeugt, daß die Opposition nur innerhalb der Organisation aussichtsreich sein könnte. Dasselbe habe ich bisher für unser Verhältnis zur Amerikanischen Psychoanalytischen Vereinigung angenommen. Die Psychoanalyse, schien mir, steht immer noch so vereinsamt und verhaßt in der Welt, daß sie ohne feste Organisation ihrer Anhänger zerflattern und untergehen müßte. - Aber verschiedene Vorkommnisse der letzten Zeit haben mich nachdenklich gemacht. Ist es nicht vielleicht schon so, daß heute die (psychoanalytische) Organisation mit ihrer starren `medizinischen' Orientierung, die wissenschaftliche Entwicklung mehr blockt als der allgemeine Widerstand der Welt?"

    Je länger Fenichel die weitere Entwicklung der Psychoanalyse in den USA verfolgte, desto resignierter wurde er. Am 14. Juli 1945 verschickte er seinen letzten und kürzesten "Rundbrief". Er trägt die Nummer 119. Darin beschreibt Fenichel Gespräche mit alten Weggefährten in New York: "Ich war gespannt, ob irgend jemand ein Treffen unserer `Fraktion' vorschlagen würde. Heimlich dachte ich, daß ein derartiger Vorschlag ein Zeichen dafür wäre, daß die `Rundbriefe' noch einen Sinn haben ... Niemand schlug ein Treffen vor, keiner erwähnte die Existenz der `Rundbriefe'." Fenichel stellte daraufhin den weiteren Versand der Briefe ein. Ein halbes Jahr später, am 22. Januar 1946, stirbt er im Alter von 48 Jahren - mitten in der Arbeit, die der als Hospitant in einer US-Klinik verrichtete, um endlich die Anerkennung seines in Europa absolvierten Medizinstudiums zu erhalten. Und damit senkte sich - fürs erste - der Schleier des Vergessens über diesen Polyhistor der Psychoanalyse.

    Es sollten Jahrzehnte vergehen, bevor man sich - im Kontext der 68er Bewegung - in Deutschland endlich wieder an Otto Fenichel und an dessen langjährigen Kampfgenossen Wilhelm Reich erinnerte, mit dem ihn eine Freundschaft und schließlich ein tragischer Konflikt verbanden, der das Dilemma der aus Europa vertriebenen Linksfreudianer symbolisiert, die das gesellschaftskritische Potential der Freudschen Psychoanalyse über eine dunkle Zeit hinwegretten wollten. 1972 erschien dann erstmals nach dem Ende des Krieges hierzulande wieder eine Aufsatzsammlung Fenichels - unter dem programmatischen Titel "Psychoanalyse und Gesellschaft", herausgegeben von "Christian Rot", Pseudonym eines der Psychoanalyse kritisch verbundenen "Laien", des Soziologen Helmut Dahmer. Und dann mußten noch einmal fünfundzwanzig Jahre ins Land gehen, bevor die "Rundbriefe" erscheinen konnten. Damit haben sich nun aber jene prophetischen Worte erfüllt, die einst Fenichel anläßlich seines Abschieds aus Europa formulierte: "Doch weil sich wahre Redlichkeit niemals besiegen läßt, ...kann sie warten. Wo sie die Wahrheit hat, da wird sie sie bewahren ..."

    Nun sind die "Rundbriefe" also wieder in jenes Land zurückgekehrt, aus dem Fenichel emigrieren mußte. Und hier können sie zur Erinnerungsarbeit beitragen. Allerdings ist dies nicht ohne weiteren Kommentar möglich, denn die "Rundbriefe" sind keine Briefe im üblichen Sinn, vielmehr bestehen sie aus einem Materialsteinbruch, aus Beschreibungen der Situation der Psychoanalyse im NS-Staat und in anderen Ländern, aus Rezensionen psychoanalytischer Publikationen, aus Bruchstücken der Korrespondenz Fenichels und aus Berichten, die ihm von anderen Kollegen zugeschickt worden sind. Diese Vielschichtigkeit sowie die Tatsache, daß die "Rundbriefe" für einen Kreis von Eingeweihten geschrieben wurden, die über die jeweiligen Personen und Sachverhalte gut informiert waren, hätten deshalb eine besonders sorgfältige Editionsarbeit erfordert. Die heutigen Leser verfügen längst nicht mehr über jene Kenntnisse, die den ursprünglichen Lesern vertraut waren. Diese wußten zum Beispiel noch, was Fenichel meinte, als er Franz Alexander als "psychoanalytic Vansittard" charakterisierte. Wer versteht das aber heute noch? Die Herausgeber der "Rundbriefe" - Elke Mühlleitner und Johannes Reichmayr - lassen nun aber diese und allzu viele andere Bemerkungen Fenichels unkommentiert. Damit unterschreiten sie die Standards, die durch die vorzüglichen Editionen der Freud-Fließ-, Freud-Binswanger- oder Freud-Ferenczi-Briefe vorgegeben worden sind. Dennoch haben flinke Rezensenten den Herausgebern der "Rundbriefe" bereits eine Meisterleistung attestiert. Vielleicht waren sie von der bibliophilen Aufmachung der "Rundbriefe" geblendet, die durch eine CD-Rom ergänzt wird, die der weiteren wissenschaftlichen Arbeit an den Texten entgegenkommt?

    Die Herausgeber rechtfertigen ihre zahlreichen Unterlassungen, die sie in der Einleitung euphemistisch als "sparsame Komnmentierung" umschreiben, mit der angeblich "guten Verständlichkeit" der "Rundbriefe", von denen knapp die Hälfte auf Englisch verfaßt worden ist. Zur weiteren Verständlichkeit tragen sie wenig bei, wenn sie Freud-Zitate pauschal durch Hinweise auf entsprechende Arbeiten belegen - an einer Stelle etwa auf die "Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse", in denen der Leser dann auf etwa 200 Druckseiten nach dem (von Fenichel englisch zitierten) Freud-Satz auf die Suche gehen kann. Auch die Suche nach den von Fenichel im Text erwähnten Personen gleicht einem Lotteriespiel. Nennt Fenichel beispielsweise Silberer und Wälder in einem Satz, so wird der eine in den "biographischen Anmerkungen" ignoriert, der andere aber vorgestellt. Schlimmer wird es noch, wenn die Herausgeber Halbwissen anbieten. So bezieht sich Fenichel einmal auf Freuds Äußerungen über Kriegsneurosen. In einer Anmerkung wird an dieser Stelle auf Freuds Arbeit "Zeitgenössisches über Krieg und Tod" verwiesen, in der das fragliche Thema weder dem Begriff noch dem Inhalt nach abgehandelt wird. Und an einer anderen wichtigen Stelle erläutert Fenichel ein Buch von Karl Teschitz, hinter dessen Namen er in Klammern "Motte" anfügt. Die Herausgeber (und mit ihnen die heutigen - im Unterschied zu den ursprünglichen - Lesern) tappen im Dunkeln. In einer Fußnote heißt es nämlich: "Ob es sich bei dem Wort `Motte' um ein Pseudonym oder um einen Decknamen handelt, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden." Die Herausgeber irrten sich in diesem Fall doppelt: Der Name "Karl Teschitz" ist bereits ein Pseudonym, während "Motte" der Spitzname eines langjährigen Mitstreiters Wilhelm Reichs ist, den Fenichel und die "Rundbrief"-Empfänger kannten: Karl von Motesiczky, der 1943 in Auschwitz umkam. Und so bleibt - nicht nur an dieser Stelle - ein zwiespältiger Eindruck zurück: Fenichels Vermächtnis verdient Aufmerksamkeit. Hoffentlich findet es diese Aufmerksamkeit bei den Lesern, auch wenn die Herausgeber sie nicht im nötigen Umfang aufbrachten.