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Neben der Frage, wie es nach der Schlappe bei der Bundestagswahl inhaltlich bei den Grünen weitergeht, geht es auch darum, wer künftig an der Spitze der Partei stehen wird. Jürgen Trittin, Renate Künast und Claudia Roth sind zurückgetreten, jetzt geht das Gerangel um ihre Nachfolge los.

Von Stefan Maas | 26.09.2013
    "Worüber wollen wir sprechen?" - "Worüber wohl." - "Übers Wetter." - "Was ähnlich schlecht ist, wie die Lage in Ihrer Partei."

    Dienstagnachmittag in Berlin. Der Himmel ist tief wolkenverhangen, es nieselt. Trüb wie das Wetter draußen – ist auch die Stimmung auf der Präsidialebene im Reichstagsgebäude. Am Tag zwei nach der Wahl. Dort treffen sich die Mitglieder der alten grünen Bundestagsfraktion mit denen der neuen – zum einzigen Mal. Wegen des schlechten Wahlergebnisses ist die Fraktion von 68 auf 63 geschrumpft. Während sich die Neuen erst einmal orientieren, umkreisen die Journalisten die ihnen bekannten Gesichter aus den vergangenen Jahren.

    "Herr Trittin?" - "Wir haben jetzt gleich eine Fraktionssitzung und dann reden wir miteinander." - "Aha." - "Ja, so ist das."

    Mit dieser dürren Botschaft lässt Jürgen Trittin die fragenden Journalisten stehen. Pflügt mit langen Schritten durch ihre Mitte. Seine viel kleinere Co, Renate Künast, versucht Schritt zu halten und läuft fast gegen den ausgestreckten Arm eines Reporters, der sich samt Mikrofon auf "Trittinhöhe" befindet.

    "Jetzt muss man wieder auf seinen Kopf achten."

    Auf die Köpfe achten an diesem Tag im Reichstagsgebäude alle bei den Grünen. Zwei an der Spitze sind schon weg. Claudia Roth und Renate Künast. Naja, zumindest vorübergehend. Denn beide hoffen auf ein Comeback - an prominenter Stelle: als grüne Bundestagsvizepräsidentin. Nun heißt es also: Buhlen bis zum 15. Oktober. Da wird die Fraktion ihre Entscheidung fällen, wer von beiden auf dem bisherigen Sessel von Katrin Göring-Eckardt sitzen darf. Und welche Konsequenz zieht die ehemalige Spitzenkandidatin selbst aus der Wahlschlappe? Macht sie es wie Jürgen Trittin, der noch während der Sitzung seinen Rückzug twittert?

    "Ich habe mich entschlossen, für den Fraktionsvorsitz der neuen Bundestagsfraktion zu kandidieren."

    Ein Déjà-vu. Denn das war sie schon einmal. Von 2002 bis 2005. Verteidigte damals die Agenda 2010 und festigte ihren Ruf als Vertreterin des Realo-Flügels. Der hat sie dann auch in diesem Jahr ins Rennen geschickt. Als Gegenpol zum linken Trittin. Sie sollte die bürgerliche Mitte erreichen. Die Wirtschaft. Und die Option eröffnen auch in Richtung schwarz-grün. Fehlanzeige. Wenn sie überhaupt eigene Akzente setzte im Wahlkampf, dann eher Linke. Große Enttäuschung bei den Realos. Und wo will sie zukünftig hin mit der Fraktion?

    "Unsere Aufgabe ist es auch, dass wir Anschlussfähigkeit zurückgewinnen an die Mitte der Gesellschaft."

    Da ist ihre fraktionsinterne Konkurrentin längst angekommen. Kerstin Andreae. 44 Jahre alt, aus der grünen Hochburg Freiburg.

    Wirtschaftspolitikerin und bislang Fraktionsvize, also bestens vernetzt in der Wirtschaft und mit ihren Mitabgeordneten. Eine erklärte Gegnerin von zu hoher steuerlicher Belastung und vor allem aber gegen den Linksschwenk der Partei. Zum Zeitpunkt als Göring-Eckardt ihren Hut schon in den Ring geworfen hat, erklärt Andreae noch, erst einmal den Länderrat am Samstag abwarten zu wollen, bevor sie sich bewirbt. Sie will erst einmal wissen, ob die Mitglieder des zweithöchsten Entscheidungsgremiums die Zukunft der Partei ähnlich sehen wie sie:

    "Wird, so wie ich es sehe, die Frage aufgeworfen, dass wir den Brückenschlag zur Wirtschaft wieder hinbekommen. Und dass wir auch gemeinsam mit der Wirtschaft die ökologische Wende umsetzen? Und da wird es für mich um die Frage gehen, ist das Teil dieser inhaltlichen Neuausrichtung oder eben nicht."

    Dass sie nun doch heute erklärt hat: Ich trete an, lässt darauf schließen, dass die baden-württembergische Realo-Frau auf kräftige Unterstützung zählen kann. Denn klar ist: Es kann nur eine werden. Andreae oder Göring-Eckardt. Zwei Frauen: kein Problem. Aber zwei vom Realoflügel. Da ist mindestens ein Linker vor:

    "Mein Name ist Anton Hofreiter, ich habe Biologie studiert. Ich bin zu den Grünen gegangen, in die Politik gegangen übrigens ganz stark wegen dem grünen Markenkern. Das ist Ökologie."

    Der 43-jährige Bayer mit Vollbart und langen blonden Haaren ist wie Jürgen Trittin Parteilinker, findet aber, es sei eher die Partei, die sich nach rechts bewegt habe. Hin zu "vermeintlich realpolitischen Positionen."

    Schwarz-Grün? Mit ihm eher nicht. Er hat sich in der Vergangenheit eher mit jungen SPDlern und Linken getroffen. Rot-Rot-Grün also? Warum nicht? Irgendwann. Muss aber auch nicht sein.Auch wenn zu hören ist, Hofreiter habe es schon länger in die erste Reihe gezogen, über Jürgen Trittin: kein schlechtes Wort:

    "Jürgen Trittin ist ein Mitglied der Grünen, der unglaubliche Verdienste für unsre Partei hat. Der unglaubliche Verdienste für diese Fraktion hat. Und der, das ganz, ganz klasse gemacht hat. Und wir arbeiten sehr eng und vertrauensvoll zusammen."

    Überhaupt ist an diesem Nachmittag zu merken, wie vorsichtig Hofreiter formuliert. Bei einem zukünftigen möglichen Fraktionschef zählt jedes Wort. Während er von Mikrofon zu Mikrofon eilt, begleitet ihn der Pressesprecher der Fraktion auf Schritt und Tritt. Nach jedem Interview wird kurz getuschelt. Nachjustiert fürs nächste Mal. Oder bei manchen Fragen auch schon mal eingegriffen:

    "Er soll sich ja nur selber beschreiben." - "Da müsste er zumindest mal zwei Minuten Zeit haben, darüber nachzudenken, bevor er sich selber charakterisiert, oder?"

    Als während der Sitzung eine sichtlich entspannte Renate Künast aus dem Saal schlüpft, wird sie gefragt, ob sie denn einen Favoriten habe für die Wahl ihres Nachfolgers am 08. Oktober. Die Antwort – schon ganz präsidial:

    "Steht in meinem Herzen. Und da bleibt es auch."

    Mehr zu den Ergebnissen der Bundestagswahl 2013 unter:
    Wahlblog