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Reformation in Italien
In Feindesland

Gibt es eine Hölle, so steht Rom drauf! Martin Luther formulierte ein hartes Urteil über das Zentrum der katholischen Kirche. Seine Gedanken breiteten sich schnell in Italien aus. Die Inquisition machte dem ein Ende. 1588 galt die evangelische Bewegung als „erloschen“.

Von Corinna Mühlstedt |
    Papst Fanziskus neben einer Statue von Martin Luther vor einer Audienz mit lutherischen Pilgern im Vatikan am 13.10.2016
    Papst Fanziskus neben einer Statue von Martin Luther vor einer Audienz mit lutherischen Pilgern im Vatikan (imago stock&people /Independent Photo Agency Int.)
    „Astro del Ciel“ – „Stille Nacht“: Im Weihnachts-Gottesdienst der lutherischen Christuskirche in Rom singen Deutsche und Italiener, Katholiken und Protestanten gemeinsam. Bis diese Harmonie in der Stadt der Päpste möglich wurde, vergingen viele Jahrhunderte.
    Die Geschichte der Lutheraner in Italien beginnt genau genommen 1511: Damals wanderte der junge Augustiner-Mönch Martin Luther als Pilger zu Fuß über die Alpen und erreichte nach vielen Zwischenstationen in italienischen Klöstern die General-Kurie seines Ordens in Rom. Er erlebte die ewige Stadt im Umbruch, nahm Missstände wahr, kam aber zu dem Schluss:
    „Obgleich es nun leider in Rom nicht zum Besten steht, so ist doch keine Ursache so groß, dass man sich von dieser Kirche reißen oder scheiden sollte.“
    Erst 20 Jahre später, als der päpstliche Bann den Reformator getroffen hatte und die Kirchenspaltung in Deutschland nicht mehr aufzuhalten war, formulierte Luther ein hartes Urteil, in dem tiefe Enttäuschung mitschwingt,
    „Rom, die einstmals heiligste Stadt, ist zu der Verdorbensten geworden. – Gibt es eine Hölle, so steht Rom darauf.“
    Thesen wurden schnell populär
    Die Gespräche, die Luther und seine italienischen Mitbrüder 1511 zum Thema Ordens- und Kirchenreform führten, sind nicht überliefert. Fest steht nur: Die Thesen, die der junge Dozent 1517 in Wittenberg publizierte, fanden südlich der Alpen rasch Anhänger. Die Florentiner Historikerin Silvana Seidel Menchi schreibt dazu:
    „Die sog. ‚evangelische Bewegung‘ fängt in Italien 1518 an, dem Jahr, in dem die ersten Schriften Luthers auf Italienisch veröffentlicht werden. Eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung des protestantischen Gedankenguts spielen die Ordensprediger, allen voran die Augustiner … Diese ‚lutherischen Ordensbrüder‘ haben bald einen vorsichtigen Predigtstil ausgearbeitet, der jeden Angriff auf die kirchliche Autorität vermeidet. Vielmehr verbreiten sie die Botschaft der Reformation in Italien als befreiende und freudige Nachricht. Luther wird dabei als Meister des geistlichen Lebens wahrgenommen und als Tröster der Gewissen.“
    Die Impulse des Reformators wanderten rasch von Kloster zu Kloster. Venedig wurde ein Zentrum der Bewegung: In der venezianischen Renaissance-Kirche Santo Stefano, die im 16. Jahrhundert zu einem mächtigen Konvent der Augustiner-Eremiten gehörte, liest man noch heute auf einer Inschriften-Tafel:
    „1519 beherbergte dieses Kloster ein Generalkapitel der Augustiner-Eremiten. Mehr als 1.000 Delegierte aus ganz Europa kamen zusammen. Auf der Tagesordnung stand die ‚Questione di Lutero‘ – der ‚Fall Luther‘.“
    „Bücher wurden heimlich unter der Theke verkauft“
    Die Kunst des Buchdrucks, die durch deutsche Kaufleute nach Venedig kam, trug zur Verbreitung der Gedanken Luthers bei. Aus Vorsicht, so der venezianische Historiker Friedjof Roch, wurden reformatorische Schriften aber oft in italienischen Kurzfassungen veröffentlicht und mit Pseudonymen versehen:
    „Unter der Hand kamen sehr viele Bücher nach Venedig. Das war ein Umschlagplatz, Venedig. Und die wurden hier nachdruckt und fanden hier reißenden Absatz. Die wurden dann heimlich in den Buchgeschäften unter der Teke verkauft, und das um 1519.“
    Gleichzeitig entstanden im Veneto engagierte theologische Gesprächskreise. 1532 erschien in Venedig – trotz offizieller Verbote – sogar die erste Bibel-Übersetzung auf Italienisch, noch zwei Jahre vor der Bibel-Übersetzung Martin Luthers in Deutschland.
    „Viele Freunde des evangelischen Gedankenguts waren Mönche“
    Wie ein Lauffeuer breiteten sich die reformatorischen Gedanken in den Städten Norditaliens aus: in Udine, Verona und Bergamo, Genua, Bologna sowie an vielen anderen Orten. In der Bewegung spiegelte sich eine tiefe Sehnsucht damaliger Christen, erklärt der römische Kirchenhistoriker Paolo Ricca.
    Er gehört zur Gemeinschaft der Waldenser, deren Anhänger aufgrund ihrer Reform-Bestrebungen seit dem 13. Jahrhundert von der Amtskirche in Rom verfolgt wurden. Sie überlebten nur im äußersten Norden Italiens, im Piemont, und schlossen sich dort im 16. Jahrhundert der Reformation an.
    Ein Porträt von Bernardino Ochino (Bild: imago stock&people / Bianchetti Leemage)
    Der Kapuziner Bernardino Ochino sorgte als Prediger mit für die Verbreitung der lutherischen Lehre in Italien (imago stock&people)
    „Viele respektierten in Italien damals zwar die Dogmen und die Struktur der katholischen Kirche, sehnten sich aber nach einer ursprünglichen biblischen Frömmigkeit“, sagt Ricca. „Äußerliche Riten verloren für die Menschen an Bedeutung zugunsten einer innerlichen Spiritualität. Man suchte nach seelischen Erfahrungen und direktem Kontakt zu Christus. Auch deshalb waren im Reformationszeitalter viele Freunde des evangelischen Gedankenguts Mönche: Augustiner, Benediktiner, Franziskaner oder Kapuziner. Diese Ordensleute waren Gedanken Calvins oder Luthers fasziniert.“
    Namhafte Ordens-Prediger wie der Kapuziner Bernardino Ochino oder der Benediktiner Benedetto da Mantova verbreiteten die Impulse damals rasch über den ganzen italienischen Stiefel bis nach Sizilien.
    Religiöse Zirkel mit Künstlern und Intellektuellen
    In Neapel hat die lutherische Pastorin Kirsten Thiele anlässlich des Reformations-Gedenkens 2017 der Vergangenheit ihrer Gemeinde nachgespürt und zu ihrer Überraschung festgestellt: Im Schatten des Vesuvs mischten sich die reformatorischen Impulse aus dem Norden sogar mit den Ideen der mystischen Bewegungen Spaniens.
    „Anfangen muss man mit Juan de Valdez, der 1505 in Spanien geboren wurde und in Neapel 1541 gestorben ist. Juan wächst auf in Kreisen, die vom humanistischen Gedankengut des Erasmus beeinflusst sind, ebenso wie von der Alumbrado-Bewegung, die einen intimen personalen und mystischen Kontakt zu Gott sucht. 1531 wird Juan de Valdez in Rom Privatsekretär von Papst Clemens VII. sowie Staatssekretär von Karl V. Seit 1533 ist er in Neapel.
    Der Hauskreis – im Haus von Valdez – wird schnell ein bekannter und verbreiteter literarischer und religiöser Zirkel, in dem die Handschriften von Juan zirkulieren.“
    Zu diesem Zirkel gehörten bekannte Bischöfe und Kardinäle, aber auch namhafte Intellektuelle und Adlige wie die Fürstinnen Vittoria Colonna und Giulia Gonzaga. Besonders die Letztere verband eine enge Freundschaft mit Juan de Valdez.
    „Giulia Gonzaga ist auch sein berühmtes Werk ‚Alphabeto Cristiano‘ gewidmet, das in Dialogform mit Giulia die Grundaussagen des christlichen Glaubens behandelt“, erklärt Thiele. „In diesem Werk, wird der wahre Weg des Christen beschrieben, der sich auf den Weg macht, die Erleuchtung des Geistes zu erlangen. Es kursierten mehrere handschriftliche Versionen des Textes, der in ganz Italien die Reformbewegung beeinflusste.“
    Die Bewegung breitet sich aus
    Ein ähnlicher Zirkel bildete sich unweit von Rom, in Viterbo, um den englischen Kardinal Reginald Pole. Durch engagierte Mitglieder wie Giulia Gonzaga und Vittoria Colonna fasste die neue Strömung schließlich auch in der ewigen Stadt Fuß:
    „Vittoria Colonna kam aus Neapel, war einige Jahre in Viterbo und hat dann in ihrem Haus Menschen um sich gesammelt, die an diesen evangelisch geprägten Gedanken interessiert waren“, sagt Paolo Ricca. „Zu ihnen zählten neben Geistlichen und Intellektuellen auch bekannte Künstler wie Michelangelo Buonarroti, die hier in Rom lebten.“
    Michelangelo Buonarroti
    Auch der Maler und Bildhauer Michelangelo interessierte sich für evangelisches Gedankengut (imago / Zumba Press)
    Anfangs gehörten die sog. „Evangelici“, die man in Italien oft auch „Spirituali“ oder pauschal „Luterani“ nennt, zur intellektuellen Elite. Doch in den 1530er- und 40er-Jahren, so Seidl Menchi, erfasste die Bewegung nach und nach immer breitere Schichten des Volkes:
    „Handwerker, gefolgt von Schulmeistern, Ladenbesitzern und Händlern werden zu Protagonisten der Reformbewegung. Sie verbreiten die protestantische Botschaft offen in Werkstätten und Läden, auf Straßen und Plätzen. Man wagt sogar öffentliche Lesungen der Bibel und moderner Schriften, kritisiert kirchliche Traditionen oder fordert Veränderungen der Messliturgie. Einige Bischöfe versuchen sogar, in ihren Diözesen die Reformation einzuführen, so etwa in Bergamo. Der Begriff ‚Vangelo‘ – Evangelium – wird ein Losungswort und Erkennungszeichen.“
    1542: Die Gründung der Römischen Inquisition
    Zur gleichen Zeit bahnte sich im Vatikan eine fatale Entwicklung an: Die Neu-Gründung der Römischen Inquisition. Sie fiel in das Jahr 1542. Es war das Todesjahr von Kardinal Gasparo Contarini, der über die „Evangelischen“ seine schützende Hand gehalten hatte.
    Die Machtkämpfe innerhalb der Kirche eskalierten bald darauf im Konzil von Trient. Seine Beschlüsse forderten eine eiserne Disziplinierung. Ab 1555 wurden sie von Papst Paul IV. gnadenlos eingesetzt, um die reformatorische Bewegung in Italien zu vernichten.
    „Spione der Inquisition infiltrieren nun die protestantischen Gruppen. Der Einsatz der Folter wird alltäglich, die Beichte zum Instrument der Unterdrückung. Unzählige Todesurteile sind in den einzelnen Provinzen Italiens dokumentiert“, so Seidl Menchi.
    Ob Laien oder Mönche, Bischöfe oder Kardinäle: Alle, die in den Verdacht kamen, Anhänger der Lehren Luthers zu sein und nicht rechtzeitig nach Deutschland oder in die Schweiz flohen, starben unter der Inquisition.
    „Von den italienischen Reformatoren bliebt nichts übrig“
    Venedigs Lutheraner sandten verzweifelte Briefe an Martin Luther. Sie erbaten Unterstützung von den evangelischen Fürsten Deutschlands. Doch diese hatten ihre eigenen Sorgen. Luther konnte seinen italienischen Anhängern nur antworten:
    „Beste und überaus teure Brüder! … In Eurem Brief habe ich so viel Treffliches zu der in Euch waltenden Gnade Gottes gefunden … Die Welt und der Papst rasen, indem sie den Namen Gottes lästern, sein Reich verwüsten, seinen Willen verlachen. … Aber stärker und größer als der Geist, der in Welt herrscht, ist derjenige, der in uns ist. Er selbst möge Euch trösten … Bleibet im Herren! … Der eurer Hochachtung unwürdige Martin Luther“
    Ein Gemälde zeigt ein Verhör während der Inquisition, zu sehen im Waldenser Museum in Torre Pellice, Italien
    Ob Laien oder Mönche, Bischöfe oder Kardinäle: Alle, die in den Verdacht kommen, Anhänger der Lehren Luthers zu sein, geraten ins Visier der Inquisition (imago/Gustavo Alabiso)
    Der letzte Beleg, den die Historikerin Seidel Menchi in den Archiven der Inquisition für den Vollzug einer Todesstrafe wegen „protestantischer Häresie“ fand, wurde 1588 im Veneto unterschrieben. Danach galt die evangelische Bewegung in Italien als „erloschen“:
    „In der römischen Kirche ‚Chiesa del Gesu‘ sieht man eine barocke Darstellung aus der Epoche der Gegenreformation, die für die Propaganda der damaligen Zeit steht: Sie zeigt eine Frau, die den katholischen Glauben symbolisiert und Gestalten in die Hölle stößt, in deren Händen man Bücher mit den Namen Luthers oder Melanchthons erkennt. … Die Inquisition machte Tabula Rasa! Von den italienischen Reformatoren bliebt nichts übrig“, so Paolo Ricca.
    Kleine Enklaven überlebten
    Nur winzige Enklaven haben das Wüten der Inquisitoren in Italien überlebt: So erlaubte etwa die Stadt-Verwaltung Venedigs deutschen Händlern die Ausübung ihres lutherischen Glaubens innerhalb ihres Handelshauses, des „Fondaco dei Tedeschi“. In Rom wissen die langjährigen Leiter des Deutschen Historischen Instituts, Arnold und Doris Esch, ebenfalls von vereinzelten Zugeständnissen für „Ausländer“ zu berichten:
    „Es gab natürlich immer Protestanten, die aus irgendwelchen beruflichen Gründen hier in Rom wohnten, und davon ausgehen mussten, dass man hier protestantischen Gottesdienst nicht haben konnte, und damit hat man sich zunächst mal begnügt“, sagt Doris Esch. „Man weiß über die Deutschen in Rom generell, dass zwei Berufe besonders stark vertreten waren: die Schuster und die Bäcker. Dann gibt es noch eine Gruppe, nämlich Söldner im päpstlichen Dienst aus deutschsprachigen Gegenden. Die konnten durchaus evangelisch sein, das war ihr Recht. Die waren päpstliche Angestellte, die kämpften für den Papst.“
    Außerdem zog die Jahrtausende alte Kultur Roms stets zahllose Künstler an. Viele kamen aus dem deutschen Sprachraum und waren evangelisch. Diskriminierungen seitens des Kirchenstaats nahmen sie in aller Regel hin ohne zu klagen, – obgleich diese Einschränkungen durchaus beträchtlich waren: So hatten Protestanten in Rom bis ins 19. Jahrhundert weder eine Kirche noch einen Pfarrer der eigenen Konfession. Als „Ketzer“ durften sie im Todesfall auch nicht in der geweihten Erde katholischer Friedhöfe beigesetzt werden, sondern nur auf einem ungepflegten Gelände an der römischen Stadtmauer.
    1817: Der erste evangelische Gottesdienst
    Nicht einmal Kreuze waren zur Kennzeichnung der Gräber gestattet. All dies sollte sich erst schrittweise im 19. Jahrhundert ändern, nachdem Wilhelm Freiherr von Humboldt ständiger Gesandter Preußens in Rom wurde. Die Einrichtung einer dauerhaften preußischen Vertretung am Tiber war das Ergebnis politischer Veränderungen in Nordeuropa: 1747 hatte das protestantische Preußen Schlesien und wenig später Teile Polens hinzugewonnen. Für die dort lebenden Katholiken galt nun gemäß einem Erlass aus Berlin:
    „Nur dank der Erlaubnis des preußischen Staates dürfen die hier lebenden Katholiken im Papst ihr geistliches Oberhaupt verehren.“
    Damit hatten die Gesandten Preußens reichlich Verhandlungsmaterial, um beim Vatikan mehr Freiraum für die Protestanten Roms zu erwirken.
    Das vom Bildhauer Paul Otto geschaffene Marmordenkmal des Universitätsbegründers, Sprachforschers und Staatsmann Wilhelm Freiherr von Humboldt.
    Das vom Bildhauer Paul Otto geschaffene Marmordenkmal des Universitätsbegründers, Sprachforschers und Staatsmann Wilhelm Freiherr von Humboldt. (imago/Hohlfeld)
    Humboldt war darin ebenso geschickt wie seine Nachfolger. In diese Zeit des Ringens zwischen Preußen und dem Kirchenstaat fällt das Jahr 1817, in dem sich der Beginn der Reformation in Wittenberg zum 300sten Mal jährte.
    Im Herbst dieses Jahres machten unter den Lutheranern Roms plötzlich Handzettel die Runde, die zu einem gemeinsamen Gottesdienst einluden.
    „Der erste evangelische Gottesdienst am 9. November 1817 hat in der Privatwohnung des Sekretärs der Preußischen Gesandtschaft am Heiligen Stuhl stattgefunden. Das war Karl Josias von Bunsen. 1817 war das wirklich mutig, diesen ersten Gottesdienst zu feiern und damit öffentlich zu machen, dass es hier evangelische Christen gibt.“
    Daraus entstand die deutschsprachige lutherische Gemeinde in Rom, betont der jetzt dort amtierende Pfarrer Jens-Martin Kruse. Als 1870 der Kirchenstaat fiel, konnten Roms Lutheraner auch eine eigene Kirche errichten: die Christuskirche in der Via Sicilia. 1923 wurde sie eingeweiht.
    In anderen Städten Italiens entstanden ebenfalls neue lutherische Auslandsgemeinden. Mehr als ein Dutzend von ihnen sind heute in der „Evangelisch Lutherischen Kirche Italiens“ zusammengeschlossen – kurz ELKI. Ihre Rechte werden seit 1995 von einem offiziellen Staatsvertrag geregelt, der sog. „Intesa“.
    1983: Johannes Paul II. betritt als erster Papst eine lutherische Kirche
    Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein lebten Katholiken und Protestanten in Italien allerdings eher neben- als miteinander. Erst das Zweite Vatikanische Konzil öffnete 1965 die Tore für die Ökumene und für einen Austausch zwischen den Konfessionen, der zuvor undenkbar schien: 1983 betrat Johannes Paul II. als erster Papst eine lutherische Kirche – die Christuskirche in Rom. 2010 folgte Benedikt XVI seinem Beispiel, 2015 Papst Franziskus:
    „Es gab furchtbare Zeiten zwischen uns“, sagt Franziskus. „Denkt nur an die Verfolgungen – zwischen uns, die wir dieselbe Taufe haben! Denkt an die vielen Opfer, die lebendig verbrannt wurden! Wir müssen um Verzeihung bitten für den Skandal unserer Trennung!“
    Papst Franzisus besucht im November 2015 die Christuskirche in Rom und steht neben Pfarrer Jens-Martin Kruse, dem Leiter der evangelischen Gemeinde in Rom (Bild: dpa / MAXPPP / Riccardo De Luca)
    Papst Franzisus besucht im November 2015 die Christuskirche in Rom und steht neben Pfarrer Jens-Martin Kruse, dem Leiter der evangelischen Gemeinde in Rom (dpa / MAXPPP / Riccardo De Luca )
    Im Herbst 2016 schuf die wechselseitige Vergebungsbitte, die der Papst und Vertreter des Lutherischen Weltbundes im schwedischen Lund aussprachen, die Basis für eine Versöhnung und ein neues Verhältnis zwischen den Konfessionen. Protestanten und Katholiken konnten daraufhin das 500-jährige Reformations-Gedenken weltweit gemeinsam begehen. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Heinrich Bedford-Strohm war verblüfft über eine Einladung, die er als lutherischer Bischof 2017 zu einer Sitzung im Vatikan erhielt:
    „Es ist tatsächlich ganz erstaunlich, und der Papst hat es genauso gesagt, dass eine päpstliche Historiker-Kommission Protestanten in den Vatikan einlädt, um über Reformation zu sprechen. Ich bin dankbar dafür. Diese Konferenz hat gezeigt, dass die Reformation vor allem eine religiöse Erneuerungsbewegung war.“
    2017: Die katholische Kirche würdigt die Leistung Luthers
    500 Jahre brauchte es, um zwischen den kirchenpolitischen und den spirituellen Anliegen des 16. Jahrhunderts zu unterscheiden. Dabei wurde deutlich, dass Reformen innerhalb jeder einzelnen Kirche und Fortschritte in der Ökumene zusammen gehören.
    „Martin Luther hat am Ende seines Lebens auf eine Einigung nicht mehr gewartet, nicht mehr zu hoffen gewagt. Freuen würde er sich ganz gewiss, wenn er das erleben könnte, was heute in Rom geschieht. Martin Luther wollte keine Trennung. Er wollte die Erneuerung der ganzen Kirche.“
    Sagt der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper. Die katholische Kirche würdigt anno 2017 die Leistung Luthers. Rom ist nicht mehr Feindesland.