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Mission Erde
Teil 8: Retter in der Not

Erdbeobachtung. - Spezialisierte Katastrophenschutzsatelliten gibt es nicht, dennoch können die meisten Flugkörper nützliche Informationen liefern, wenn sie ein Katastrophengebiet überfliegen. Mit einer Konvention stellen derzeit 18 Raumfahrtagenturen die schnelle Nothilfe sicher.

Von Karl Urban | 21.02.2014
    Der höchste Pegel seit 1501 – das war der Höhepunkt der Flut im Juni 2013 im bayrischen Passau. Weite Teile der historischen Altstadt am Zusammenfluss von Inn und Donau waren überflutet. Für die Helfer vor Ort ging es darum, den Überblick zu bewahren: Welche Straßen sind noch passierbar? Und wohin kann die Feuerwehr schon vordringen, um die ersten Keller auszupumpen? Satelliten liefern solche Informationen: in Form internationaler Katastrophenhilfe aus dem All, erzählt Jens Danzeglocke vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt:
    "Da sind Produkte auf Basis von deutschen Satelliten dabei, insbesondere von TerraSAR-X und Tandem-X, aber auch Produkte auf Basis optischer Satelliten wie RapidEye und der französischen Pleiades-Satelliten, womit man dann bestimmte Bereiche noch genauer visualisieren kann im Vorher- und Nachher-Vergleich."
    Derzeit arbeiten über 60 zivile Erdbeobachtungssatelliten im Orbit. Wenn im Notfall irgendwo auf der Welt nur einer von ihnen gebraucht wurde, gab es vor einiger Zeit aber noch ein Problem: Dessen Kontrolle lag meist in der Hand einer bürokratischen Behörde, nämlich bei einer staatlichen Raumfahrtagentur. Mit schnellen Antworten war deshalb kaum zu rechnen.
    "Wer früher beim Katastrophenschutz gearbeitet hat, setzte nur selten Bilder aus dem Weltraum ein. Bis zum Jahr 2000 war das die absolute Ausnahme."
    Philippe Bally arbeitet bei der Europäischen Raumfahrtagentur. Und die ist sich ihrer eigenen bürokratischen Strukturen durchaus bewusst. Deshalb unterzeichnete die Esa im Jahr 2000 gemeinsam mit Frankreichs Raumfahrtbehörde die "Internationale Charta zu Weltraum und großen Katastrophen".
    "Raumfahrtagenturen erklären sich damit bereit, ihre Satelliten auch jenen zur Verfügung zu stellen, die sie gerade dringend brauchen. Oft helfen wir über die Charta besonders jenen Ländern, die sonst gar keinen Zugriff auf diese nützlichen Beobachter im All hätten."
    18 Raumfahrtagenturen haben diese Charta mittlerweile unterzeichnet, mehr als 20 Satelliten stehen im Notfall bereit. Um in Katastrophenfällen weltweit zu helfen, wurde die Bürokratie zwar nicht aufgelöst – aber sie wurde einfach umgangen. Auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt hält seit 2010 Satelliten für den Notfall bereit. Wenn irgendein Staat schnell ein Satellitenbild braucht, reicht im Prinzip ein Anruf. Jens Danzeglocke:
    "Ja, das ist ein Anruf bei einem ganz bestimmten Telefon beziehungsweise einem Fax und einer E-Mail."
    Meist sind es Überflutungen, bei denen Satelliten helfen können, schnell einen Überblick zu gewinnen. Dazu kommen Erdbeben oder havarierte Ölplattformen. Zunächst muss aber überhaupt ein passender Satellit über das Gebiet fliegen. Danzeglocke:
    "Dieser Orbit ist fest. Wir können den Satelliten dann nicht, wenn ein Taifun die Philippinen getroffen hat, schnell mal über die Philippinen steuern, sondern wir müssen schauen: Wann kommt der Satellit das nächste Mal auf einem Orbit dort vorbei, so dass er eine Aufnahme machen kann und dann wird das entsprechend einprogrammiert."
    Neue Aufgaben einzuprogrammieren heißt aber für die Betreiber der Satelliten, alles andere zurückzustellen. Philippe Bally:
    "Alle vorher geplanten kommerziellen oder wissenschaftlichen Aufgaben des Satelliten werden aufgeschoben. Es geht darum, den Katastrophenschützern im betroffenen Land sofort die nötige Hilfe zukommen zu lassen."
    Im günstigsten Fall dauert es 24 Stunden, im Schnitt zwei Tage, bis die Rettungshelfer ein Satellitenbild bekommen. Waren diese Aufnahmen in Passau recht praktisch, stellen sie in dünner besiedelten Gegenden schon mal die einzig verfügbare Information dar: so geschehen bei einem völlig von der Außenwelt abgeschnittenen Tal in Indien. Jens Danzeglocke:
    "Wir hatten ein Beispiel von Monsunregenfällen und Überflutungen – auch verbunden mit Erdrutschen – in Indien diesen Sommer. Und da haben die Inder Produkte erzeugt, die dann gezeigt haben: Hier war vorher eine Brücke und die ist nicht mehr da und die Straße ist auch weggerissen worden, so dass man eben sehen kann, wenn man Hubschrauberteams hat, wo man die hinschicken muss."
    Für Deutschlands Raumfahrtagentur bedeutet die Teilnahme an der Charta, die eigenen Satelliten ohne eine Gegenleistung zeitweise in den Dienst anderer zu stellen. Jens Danzeglocke sieht darin aber keinen Nachteil, sondern eher ein Aushängeschild für die eigenen Satelliten.
    "Das sind keine Symbolentwicklungen oder so, wie man vielleicht früher zum Mond gefahren ist, um es einfach zu machen, sondern diese Satelliten haben einen ganz konkreten Nutzen und sind ganz konkret anwendbar, zum Beispiel nach Katastrophenfällen, aber natürlich auch in vielerlei anderer Hinsicht."