Der Begriff der Empfängnis

Aristoteles' Muster von weiblicher Passivität wirkt fort

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Eine Frau hält eine Orangenhäfte vor ihrem Unterkörper, der sich in der Unschärfe im Hintergrund befindet.
Die Idee – der Passivität der Frau beim Empfangen – habe ihre Wurzeln in der aristotelischen Philosophie, sagt Catherine Newmark. © Unsplash / Sharon McCutcheon
Catherine Newmark im Gespräch mit Marietta Schwarz · 26.10.2019
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Die Vorstellung, Frauen seien passive, empfangende Wesen, ist immer noch wirkmächtig, sagt Philosophin Catherine Newmark. Die Dualität von Aktivität und Passivität zeige sich in den Debatten um Leihmutterschaft oder bei Rollenbildern über Verhalten beim Sex.
Sex, Fortpflanzung, Reproduktionsmedizin: Das hat doch nichts mehr mit dem altmodischen Begriff "Empfängnis" zu tun? Einer religiösen Idee, die lange Zeit auch die Theoriegeschichte bestimmte.
Doch, hat es, sagt die Philosophin Catherine Newmark. Die Vorstellung, dass die Frau das passive, empfangende Wesen sei, sei nach wie vor sehr wirkmächtig, betont Newmark. "Diese Idee – der Passivität der Frau beim Empfangen – die hat ihre Wurzeln in der aristotelischen Philosophie. Die Frau sei nur bloße Materie. Das ist ein bisschen so wie das Erdreich. Und der Mann ist dann der Sämann, der darin den Samen pflügt und die aktive Form gibt. In Aristoteles' Zeugungslehre ist es auch so, dass man gar nicht erklären kann, dass Kinder der Mutter ähneln würden. Die sind alle vom Vater vollkommen abhängig."

Passive Rollenzuschreibung bei Leihmutterschaft

Die passiven Zuschreibungen gegenüber der Frau zeige sich auch in ethischen Debatten um Themen wie Leihmutterschaft oder Reproduktionsmedizin sehr deutlich, meint Newmark. "Da haben wir das Gefühl, diese Frau, die ein Kind austrägt, was sie nicht selber kreiert hat, wo sie nicht selber das Genmaterial beigesteuert hat – die ist der passive Behälter, die quasi gar nichts beiträgt zum Kind und darum ist das Kind auch nicht ihres und man kann es ihr wieder wegnehmen."
Biologisch habe eine Leihmutter natürlich auch ein Verhältnis zu dem Kind, sagt Catherine Newmark. Auch ein Kind auszutragen, sei eine "aktive, biologische Beziehung", die zu dem Kind aufgebaut werde.

Sex nicht mehr als aktiven und passiven Part verstehen

Gleichzeitig bedauert die Philosophin, dass sich die feministische Debatte derzeit – anders als in den 1970er-Jahren – nur wenig der Überwindung des Musters von weiblicher Passivität und männlicher Aktivität annimmt.
Eine Ausnahme sei hier die Feministin Bini Adamczak, die die Penetration nicht als passiven Akt, sondern als aktiven Akt des Umschließens umdeutet und dafür den Begriff "Circlusions-Sex" ausgewählt hat. "Circlusion bedeutet umfassen. Das heißt, Circlusions-Sex ist genauso wie Penetrations-Sex. Er wird nur von der anderen Seite gedacht. Die andere Seite, die umfassende Seite wird aktiv gedacht und nicht mehr nur passiv. Und das ist der Versuche, über diese Dichotomie mit der wir jeher und seit Urzeiten leben, hinauszukommen."
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