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Der Glaube soll für Mitt Romney nicht zum Stolperstein werden

Am 6. November wird in den USA gewählt. Dann entscheidet sich, ob Barack Obama im Weißen Haus bleibt, oder ob mit dem Republikaner Mitt Romney erstmals ein Mormone ins Weiße Haus einzieht. Doch wie geht die Kirche und ihre Gläubigen an ihrem Stammsitz in Salt Lake City damit um?

Von Moritz Küpper | 18.08.2012
    "Ich kehre von meiner Sünde um, Du kehrst von Deiner Sünde um...."

    Ein Klassenraum im MTC, dem Missionary Trainings Center in Provo im US-Bundesstaat Utah. 13 junge Männer, alle in weißem Hemd mit Krawatte, dunkler Hose und schwarzen Schuhen, sitzen dicht an dicht in einem kleinen Raum – sie lernen Deutsch:

    "... wir kehren von unserer Sünde um."

    Klassischer Frontalunterricht. Nächste Woche geht es los, dann treten diese jungen Männer ihre Mission an. Für zwei Jahre, in Deutschland oder Österreich. Dort sollen sie Menschen bekehren, von ihrem Glauben überzeugen. Eine Arbeit, die, gerade in Deutschland, häufig Ablehnung erfährt. Dennoch: Andere Aktivitäten sind den jungen Menschen nicht gestattet. Und so werden sie nur über die Gespräche auf der Straße mitbekommen, ob mit Mitt Romney erstmals ein Mormone ins Weiße Haus einzieht.

    "Momentan interessiere ich mich nicht so für die Wahl. Aber ich denke, dass es sehr wichtig ist, dass ein Mitglied unserer Kirche Präsidentschaftskandidat ist. Das hat die Augen des Landes und auch der Welt geöffnet. Wer sind die Mormonen? Was wollen Sie? Und das ist gut, wenn sich Leute fragen, was unsere Kirche ist."

    Sagt der 19-jährige Niklas Aardema. Religion ist in den USA – nicht nur hier im MTC – ein großes Thema. Und Mormonen sind nur bedingt exotisch, denn ihre Kirche ist die viertgrößte in den USA; sie haben etwa 14,4 Millionen Mitglieder weltweit, die an das "Buch Mormon" glauben. 1830 gegründet, ist dieser Glaube also erst 182 Jahre alt.

    Wer eine Rundreise durch das Land der Mormonen macht und sie nach "ihrem" Kandidaten fragen will, bekommt immer einen Aufpasser aus der Pressestelle zur Seite gestellt. Denn der Glaube spielt besonders im Wahlkampf in den USA eine große Rolle und soll für Romney nicht zum Stolperstein werden. Häufig wird dabei eine Parallele gezogen: Der Wahlkampf von John F. Kennedy 1960, als erstmals ein Katholik ins Weiße Haus einzog. Kennedy hielt damals eine Rede, in der er sein Handeln von den Direktiven des Papstes lossagte. Romney hat seinen Glauben und seine Verbindung dazu im aktuellen Wahlkampf bislang nicht thematisiert, er verweist stattdessen auf eine Rede aus dem Jahr 2007:

    "Meine Kandidatur ist nicht durch meine Religion motiviert. Eine Person sollte nicht wegen ihres Glaubens gewählt werden, aber sie sollte deswegen auch nicht abgelehnt werden."

    Dennoch ist das weltweite Interesse in den letzten Monaten enorm gestiegen. Unzählige Journalisten reisen nach Salt Lake City, um mehr über die Mormonen zu erfahren. Teil des Programms: ein Gespräch mit Christopher Karpowitz. Der Politikwissenschaftler sitzt im 11. Stock des Spencer W. Kimbold-Building vor einer Tafel. Karpowitz beschäftigt sich mit dem Wahlverhalten der Mormonen und misst Romneys Kandidatur große Bedeutung bei:

    "Es gibt ein Gefühl einer gemeinsamen Identität, ein Gefühl, dass dies ein wichtiger Moment ist. Es ist das erste Mal, dass ein Mitglied der Kirche von Jesus Christus die offizielle Nominierung einer der großen Parteien gewonnen hat. Ich denke, dass sogar Mormonen, die nicht für Romney stimmen werden, seine Wahl als einen symbolischen Akt sehen, was die Akzeptanz der Kirche in der breiten Öffentlichkeit betrifft."

    Laut Umfragen kann sich zwar jeder fünfte Amerikaner nicht vorstellen, einen Mormonen ins Weiße Haus zu wählen. Doch Politik ist – auch das zeigt die Umfrage – letztlich pragmatisch: Unter Republikaner sinkt die Skepsis, je näher der Wahltermin rückt.

    Ortstermin bei der Familie Watson, eine dieser US-amerikanischen Vorzeigefamilien in einem der Vorzeigesuburbs. Der Rasen in den Vorgärten ist kurz geschnitten, die Straßen heißen Zermatt Road oder Corsica Way. Andrew und Kelsey Watson sind um die 30, haben vier Kinder. Rund 70 Prozent der Nachbarn sind ebenfalls Mormonen. Sie sind sozial sehr engagiert. Das ist in der Glaubensgemeinschaft üblich. Auch Mitt Romney zeigte in den 80er-Jahren großes soziales Engagement, als er ein Laienamt als Bishop in einer Bostoner Gemeinde innehatte. Dass Multimillionär Romney aber auch Steuertricks ausnutzte, um seinen Steuersatz auf rund 14 Prozent zu drücken, stört Andrew Watson nicht, genauso wenig wie die Vorwürfe, Romney habe als Investor Jobs vernichtet. Er sieht den Kandidaten durchweg positiv:

    "Wenn ich raten müsste, und das ist jetzt geraten, dann würde ich sagen, dass er doch einiges gibt, um den Armen zu helfen."

    Auch Rudolf Hegewald, ein 82-jähriger Mormone, der einst aus der DDR floh und sich mithilfe seiner Glaubensbrüder in Utah eine neue Existenz aufbaute, ist ganz begeistert, wenn er von Romneys Kandidatur spricht:

    "Die Missionarsarbeit würde einfacher sein, auch in Deutschland, wenn man sagen kann: Der Präsident der Vereinigten Staaten ist ein Mitglied der Kirche Jesu Christi."

    Auch Obama hält er für ungeeignet: zu viel Sozialismus, zu viele Arbeitslose.

    Offiziell äußert sich dagegen Michael Purdy. Er ist PR-Direktor der Mormonen.

    "Wir, als Kirche, nehmen die politische Neutralität sehr ernst. Wir haben kein Interesse daran, über politische Kampagnen oder deren Inhalte zu diskutieren."

    Purdys Büro liegt im Joseph Smith Memorial Building, Public Affairs Department. Allein 35 PR-Leute sind hier damit beschäftigt, auf das Bild der Mormonen in der Öffentlichkeit zu achten. In Purdys Dienstzimmer hängen die Titelseiten der großen amerikanischen Illustrierten, die über die Mormonen berichtet haben. Die Vielehe, die 1890 eigentlich offiziell abgeschafft wurde, ist zum Beispiel ein Thema, genauso wie das Vermögen der Kirche, das auf 30 Milliarden Dollar geschätzt wird. Romneys Nominierung bringe viel Aufmerksamkeit, sagt auch Purdys Kollege Michael Otterson zum Abschluss, aber, es erfordere einen ständigen Spagat:

    "Es ist sehr schwierig für uns, denn sehr viel von der Aufmerksamkeit hat natürlich mit Politik zu tun. Aber wir wollen nicht Teil der Politik sein. Es ist also schwierig zu entscheiden: Wann ist die Geschichte über uns, wann ist sie über Politik? Tatsächlich sind wir so weit weg von dieser Grenze, dass es Leute gibt, die sagen, wir sollten uns mehr dazu äußern."