Die geborene First Lady

Rezensiert von Gabriele von Arnim · 22.09.2006
An jedem Geburtstag 40 Rosen. Verheuchelte Verwunderung: Ach, die gnädige Frau schon 40 – und das seit ungenannt vielen Jahren. Wieder ein echter, ein gnadenlos sezierender Thomas Hürlimann, der die opportunistische Gesellschaft in einem so putzmunteren Ton enttarnt, dass die Bosheit schmeckt wie gezuckertes Gift.
Max Meier liebt seine Frau, die Marie Katz, natürlich liebt er sie. Sie ist die geborene First Lady. Das hat er gleich gesehen. Deshalb hat er sie ja geheiratet. Obwohl sie Jüdin ist – oder vielleicht auch gerade deshalb. Macht sich nicht schlecht in der Nachkriegszeit, wenn man selber für Dr. Fox' antisemitisches Hetzblatt geschrieben hat. Der Fox ist übrigens auch jetzt wieder da, als graue Eminenz der Partei, in der Max nach oben strebt. So trifft man sich immer wieder.

Marie Katz wird im Städtchen sogar vom Metzger gegrüßt, der gerade noch seinen braunen Tabakspeichel auf die Straße gespieen hat, wenn sie dort langging. Und Marie grüßt zurück, redet auch mit Dr. Fox, verbündet sich mit ihm – was tut man nicht alles für den Gatten, der hoch hinaus will im Land. Man macht mit, man hält durch, man bleibt jung, ewig jung.

An jedem Geburtstag 40 Rosen. Verheuchelte Verwunderung auf allen Seiten. Ach, die gnädige Frau schon 40 – und das seit ungenannt vielen Jahren. Herrliche Rosen – sagt das Hausmädchen Luise, ja herrlich, stimmt Marie zu, obwohl wir Hunderte davon im Garten haben. Natürlich liebt sie ihren Mann.

Wieder ein echter, ein gnadenlos und geistvoll sezierender Thomas Hürlimann, der die verheuchelte, opportunistische Gesellschaft, die er aus der eigenen Familie nur zu gut kennt, in einem so putzmunteren Ton enttarnt, dass die Bosheit schmeckt wie gezuckertes Gift. Und der die Leidenden und Liebenden mit einer solchen Wärme umfängt, dass man die leise Zärtlichkeit genießt, die der Autor offenbar für sie empfindet. Und der seinen Witz ins Gift träufelt wie in die Zärtlichkeit. Über allem schwebt Musik aus dem Atelier, wo Marie, die Hochbegabte, für eine große Karriere übt.

Es ist ein berstender Roman, in dem eine Gegenwart und viele Vergangenheiten ineinander verschränkt erzählt werden. Marie auf dem Weg in die Stadt – zu Max, um wie immer ihren 40. Geburtstag zu feiern. Stets im selben Restaurant, in derselben Bar, mit denselben Worten. Und doch freut sie sich. Auf ihren Mann. Und auch auf sich. Weil sie weiß, dass sie eine gute Figur machen wird.

Aber wir erleben auch die kleine Marie im Katzenhaus, in dem ihre Mutter an Tuberkulose stirbt, und ihr Vater Kleider für die Damen der Gesellschaft entwirft. Ein Haus, dass der alte Seidenkatz bauen ließ, ein Schlösschen mit Atelier, in dem Max und Marie heute noch leben. Der alte Seidenkatz war ein berühmter Couturier –"wer auf russischen Gütern, in kakanischen Kasernen oder auf polnischen Promenaden à la mode sein wollte, trug Kleider, Hüte und Sonnenschirmchen von Seidenkatz".

Die guten Zeiten sind vorbei. Es kommen die Nationalsozialisten – Vater Katz findet keine Kunden mehr und den in Leuchtschrift angebrachten Namen auf dem Atelierdach lässt er nächtens ausgeknipst - man lebt ohnehin gefährdet. Der junge Katz, Maries Bruder, ist katholischer Priester geworden und will Monsignore, nicht Herr Katz genannt werden – wir kennen ihn bereits aus dem letzten Roman Thomas Hürlimanns "Fräulein Stark".

Marie wird in einer Klosterschule versteckt und versteckt sich dann selbst in der Ehe. Aus Marie Katz wird Marie Meier. Aus der angehenden Pianistin eine Politiker-Gattin. Eine Frau mit einem Doppel-Bewusstsein. "Jene, die im Innern lebt, habe ich Sternenmarie getauft", sagt Marie, "die äußere Spiegelmarie." Die ist für den Gatten und seinen Aufstieg.
Das alles wird schnell, temperamentvoll, drängend erzählt. Wie aus einem Füllhorn stürzen Szenen, höchst skurrile Figuren, Geschichten heraus – ihrem Ende entgegen.
Denn es ist auch ein Roman des Untergangs.

Der Familie Katz, des Katzenhauses, das nun bedrängt wird von einem Beton-Neubau, weil Marie den Park an einen Hähnchenfabrikanten verkaufen musste - einen Kandidaten mit Schulden hätte keiner gewählt. Der Sohn stirbt. Und mit ihm die Hoffnung. Denn er war Maries eigentliche Liebe, war ihr Lebenssinn. Aber sie bewahrt Haltung. "On a du style", hat ihre Mutter schon zu Mariechen gesagt. Man macht weiter, hält durch. Bloß nicht fragen, wofür.

Thomas Hürlimann: Vierzig Rosen
Ammann Verlag 364 S, 19.90 €