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Venezuela-Experte
"Macht ist eindeutig bei Maduro"

Oppositionsführer Juan Guaido sei im Machtkampf um Venezuela als Herausforderer für Nicolas Maduro verbrannt, sagte Lateinamerika-Experte Klaus Bodemer im Dlf. Das Militär halte wegen der von Maduro garantierten Privilegien weiter am Präsidenten fest. Ändern könnten dies am ehesten internationale Sanktionen.

Klaus Bodemer im Gespräch mit Christine Heuer | 25.02.2019
Ein Demonstrant auf der Francisco de Paula Santander Brücke in Urena, Venezuela, an der Grenze zu Kolumbien, nach der von Präsident Nicolas Maduro angeordneten Schließung der Grenze
Lateinamerika-Experte Klaus Bodemer zum Machtkampf in Venezuela: "Es kann noch ein längerer Stellungskrieg werden" (RAUL ARBOLEDA / AFP)
Christine Heuer: Der Samstag sollte der Tag der Entscheidung sein. So hatte Venezuelas selbsternannter Interimspräsident es angekündigt. Und wenn der Machtkampf zwischen Juan Guaido und Präsident Nicolas Maduro wirklich am Samstag entschieden worden sein sollte, dann wäre wohl Maduro der Sieger, denn er hat die von Guaido initiierten Hilfslieferungen mit Gewalt gestoppt und das Militär ist nicht zur Opposition übergelaufen. Juan Guaido verhandelt derweil in Kolumbien mit Unterstützern, allen voran mit US-Vizepräsident Mike Pence. Ich möchte die Lage in Venezuela mit Klaus Bodemer besprechen, ehemaliger Direktor am Hamburger Giga-Institut für Lateinamerika-Studien. Guten Tag, Herr Bodemer!
Klaus Bodemer: Guten Tag.
Heuer: Juan Guaido ist in Kolumbien. Wird er wieder nach Venezuela zurückkehren können?
Bodemer: Das ist sehr zweifelhaft. Es ist durchaus möglich, falls er es schaffen würde, dass er dort direkt verhaftet wird aufgrund seiner Aktionen.
Guaido in der Sackgasse
Heuer: Heißt das, Guaido ist als Herausforderer von Maduro eigentlich seit diesem Wochenende verbrannt?
Bodemer: Verbrannt schon. Er hat sicher die Moral auf seiner Seite, aber die Truppen, sozusagen die Macht ist eindeutig bei Maduro. Außer Durchhalteparolen kann er im Moment nicht mehr bieten. Er hat ja auch selbst sich in eine Sackgasse manövriert. Er sagt, der Samstag ist der Tag der Entscheidung, und der Tag der Entscheidung ist schiefgegangen, und er hatte offensichtlich keinen Plan B.
Heuer: Kann man sagen, dass er jetzt wirklich schon komplett gescheitert ist mit seiner Herausforderung? Hat er mit diesen Lebensmittel-Lieferungen, mit dieser Aktion seine Niederlage tatsächlich besiegelt, oder gibt es noch Luft?
Bodemer: Ich würde es so nicht sagen, denn da spielen andere Faktoren mit rein. Moralisch hat er natürlich alle Punkte auf seiner Seite. Er befindet sich jetzt - das wurde ja eben auch erwähnt in dem Kommentar von Anne-Katrin Mellmann - im Stellungskrieg. Und die Frage ist, wer hat die größten Chips, um durchzuhalten. Da kommt was anderes ins Spiel: Das hat wenig zu tun mit Guaido selbst, sondern hat damit zu tun, wie kann eigentlich Venezuela überleben. Da ist natürlich die Erdölfrage zentral und hier glaube ich, dass es weder zu einem Einmarsch kommt, noch, dass die Alliierten, die Guaido unterstützen, viel erreichen werden, sondern entscheidend wird sein: Hat das Land überhaupt noch die Chance zu überleben, wenn zum Beispiel die Benzinlieferungen eingestellt werden, und das ist ja schon angekündigt, beziehungsweise überhaupt keine Devisen mehr ins Land kommen.
US-Einmarsch? "Trump hätte keine Verbündete"
Heuer: Sanktionen bewirken mehr als der Interimspräsident?
Bodemer: Ja, das würde ich eindeutig sagen. Ich glaube auch nicht, dass Trump so töricht wäre, wirklich einen Einmarsch zu riskieren. Dann hätte er ganz Lateinamerika und Europa natürlich auch gegen sich. Es gibt andere Waffen.
Heuer: Man könnte der Meinung sein, dass das Donald Trump nicht besonders interessiert, Herr Bodemer.
Bodemer: Ja, klar. Er ist nicht kalkulierbar. Aber ich kann mir das nicht vorstellen. Er hätte auch keinen Verbündeten. Die Verbündeten, die jetzt so tun, als wären sie Verbündete, die würden im Zweifelsfall - das haben sie auch artikuliert - keine Militärintervention unterstützen. Auch nicht der engste Verbündete, zum Beispiel Kolumbien, würde mitmachen. Felipe Gonzalez hat das auch noch mal unterstrichen. Ich glaube wirklich, bevor er durch einen Militärschlag außer Landes gehen muss oder besiegt wird, wird die Wirtschaftswaffe wirksamer sein.
Heuer: Keiner in der Region, halten wir fest, möchte eine kriegerische Auseinandersetzung um Venezuela. Die Sanktionen, sagen Sie, aber könnten etwas bewirken. Übrigens auch Sanktionen, die die EU möglicherweise noch draufsatteln möchte, oder spielt das in Venezuela dann doch keine Rolle?
Bodemer: Ich würde einfach sagen, vom Gewicht her hat das ein geringeres Gewicht. Aber wenn Sie sich vorstellen, das Benzin geht aus, auch das dürfte die Militärs treffen. Die Militärs sind die nämlich letzten, die noch Benzin haben. Man sagt, es gibt das Ausland, es gibt China und Russland - aber China und Russland liefern in ihrer Unterstützung keine Devisen, weil sie verrechnen das Öl, das geliefert wird, mit Krediten und insofern kommt nichts in die Kasse.
Militär beteiligt an den Pfründen des Maduro-Regimes
Heuer: Aber es geht den Venezolanern wirklich schlecht. Warum hält das Militär dann doch so überwiegend in so großer Mehrzahl an Präsident Maduro fest?
Bodemer: Von der Zahl würde ich das nicht mehr sagen. Aber diejenigen, die das Sagen haben - Sie müssen bedenken: Wir haben 1500 Generäle allein im Militär. Die obere Spitze ist voll mit beteiligt an den Pfründen. Die steuern die Wirtschaft, die steuern die Lebensmittelverteilung, die sind ganz massiv im Erdölgeschäft und nicht zuletzt auch im Drogenhandel. Sie können sich ausrechnen, wenn es zu einem Wechsel kommt, werden sie das alles verlieren.
Heuer: Ich habe gelesen, dass 60 Soldaten - 60, das sind wirklich nicht sehr viele - bei diesen Lebensmittel-Lieferungen übergelaufen sind zur Opposition.
Bodemer: Ja.
Heuer: Offenbar stehen nicht nur die Generäle loyal zu Maduro, sondern auch fast alle einfachen Soldaten. Warum ist das so, Herr Bodemer?
Bodemer: Ich weiß nicht, ob sie loyal sind, aber sie haben natürlich keine Kraft. Es sind ja auch schon massive Sanktionen verhängt worden gegen Soldaten, die auf die andere Seite übergewechselt sind. Den Soldaten geht es zum großen Teil genauso schlecht wie der Bevölkerung. Aber klar, die stehen unter Kommando. Und dann haben wir noch die Truppen, die sogenannten Collectivos. Das ist eigentlich eine Art Privatarmee, die überhaupt nicht kontrollierbar ist, übrigens auch nicht von Maduro. Und die leben davon: Die sind auch im Drogenhandel drin, Lebensmittelverteilung. Insofern sehe ich bisher noch keine kritische Masse, die wirklich dazu führen könnte, dass ein Großteil des Militärs auf die Gegenseite geht.
Heuer: Können Sie uns mal ein Szenario vor Augen führen, bei dem sich das ändern würde? Es ist ja immer die Rede davon, am Ende entscheidet das Militär, wer sich durchsetzt. Unter welchen Umständen wäre denn die Mehrheit des Militärs bereit zu sagen, wir wollen diesen Maduro nicht mehr haben?
Bodemer: Genau aus diesen Gründen: Wenn alle ihre Pfründe und ihre Privilegien, die sie zurzeit haben, wegbrechen.
Heuer: Dann wird sich das nicht ändern, wenn das die Bedingung ist? Dann bleibt es erst einmal dabei?
Bodemer: Nein, nein. Dann könnte ich mir vorstellen, dass die Militärs sagen, Maduro muss weg. Das kann ich mir schon vorstellen. Nicht, dass man sagt, der passt uns politisch nicht, sondern weil sie einfach ihre Pfründe nicht mehr sehen und deswegen dann die Seiten wechseln.
Heuer: Die Sanktionen, Herr Bodemer, können dazu führen, über Umwege, dass irgendwann auch das Militär sagt, wir gehen zur Opposition?
Bodemer: Das halte ich für am wahrscheinlichsten. Das kann aber lange gehen, so nach dem Motto, Totgesagte leben länger. Man hat schon mehrfach gemeint, Maduro sei am Ende. Ich bin da ganz vorsichtig. Das kann noch ein längerer Stellungskrieg werden.
"Opposition alles andere als geschlossen"
Heuer: Wir haben eingangs gesagt, im Grunde ist Guaido als Oppositions-Herausforderer gescheitert. Stehen da noch andere in der Schlange, die es mit Maduro aufnehmen würden?
Bodemer: Das Problem ist, das ist etwas verdeckt worden. Durch diese Aktion jetzt von Guaido ist verdeckt worden, dass die Opposition alles andere als geschlossen ist. Man hat jetzt einen nach vorne geschickt, aber es rumort gewaltig. Zum Beispiel der Ziehvater von Guaido, Lopez, der ja im Hausarrest sitzt, früher im Gefängnis, hat nach wie vor Ambitionen. Da gibt es Ledezma, das ist der Bürgermeister von Caracas. Es gibt mindestens vier, fünf ernsthafte Konkurrenten und ich kann mir vorstellen, selbst wenn es zu einem Übergang käme über Verhandlungen, dass dann der Machtkampf weiterginge oder wieder neu entfacht werden würde.
Heuer: Die Konkurrenten, die Sie da im Blick haben, sind das alles Demokraten, überzeugte Demokraten?
Bodemer: Ja, das würde ich schon sagen. Ich meine, mit Demokraten ist das so eine Sache. Lopez, der im Gefängnis sitzt, jetzt im Hausarrest ist, hat sicher auch wesentlich mit dazu beigetragen, dass es vor zwei, drei Jahren zu dieser Auseinandersetzung kam, wo es über 100 Tote gegeben hat. Er ist sehr stark populistisch und hat auch demagogische Elemente. Wo da die Grenze ist, dass man sagt, das ist ein reiner Demokrat, das ist schwierig, die zu ziehen.
Heuer: Sie sagen, das wäre aber immerhin das kleinere Übel? Verstehe ich das richtig?
Bodemer: Auf jeden Fall.
Heuer: Wenn das alles nicht geklärt wird, auf dem einen oder anderen Wege, droht dann ein Bürgerkrieg in Venezuela?
Bodemer: Ja, das ist eigentlich schon jetzt eine Art unerklärter Krieg. Einen Stellungskrieg hatte ich das genannt. Wer auf wen dann mit den Waffen losgeht, das ist natürlich schwer zu sagen. Aber ich glaube, dass keine Seite mehr dann ihre Anhänger kontrollieren kann, und insofern kann es schon zu einem Blutbad kommen.
Heuer: Für wie wahrscheinlich halten Sie das?
Bodemer: Ich glaube nicht. Ich glaube, dass Maduro, bevor es wirklich zu dieser extremen Gewalt kommt, vorher die Waffen strecken muss, einfach aus ökonomischen Gründen.
Heuer: Klaus Bodemer vom Giga-Institut in Hamburg. Ich danke Ihnen fürs Gespräch.
Bodemer: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.