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Bruchlandung im Meer

Raumfahrt. - Mit Spannung erwarteten die Zuschauer in den Esa-Zentren den Start von CryoSat. Doch schon bald nach dem Abheben entzog sich die Rakete der Kontrolle und stürzte ausgerechnet in eine Region, die der Satellit hätte beobachten sollen - ins Eismeer bei Grönland.

Gerd Pasch im Gespräch mit Dirk Lorenzen | 10.10.2005
    Gerd Pasch: Herr Lorenzen, Sie haben das Drama in der Esa-Zentrale in Rom verfolgt. Was genau ist denn beim Start schief gegangen?

    Dirk Lorenzen: "So eine Rakete besteht aus drei Stufen, die nacheinander abbrennen müssen. Bei der ersten hat noch alles gut geklappt, da waren alle noch sehr optimistisch. Bei der zweiten hat es während der Brenndauer noch geklappt, aber nach fünf Minuten hätte die sich aber abschalten und ausklinken sollen, damit die dritte Stufe zünden kann. Doch genau das hat nicht geklappt. Zwei Stufen alleine reichen jedoch nicht - erst mit der dritten wäre der Satellit wirklich in seine Umlaufbahn gekommen. Und so nahm er sein trauriges Ende im Eismeer."

    Pasch: Wie haben denn die beteiligten Ingenieure und Wissenschaftler darauf reagiert?

    Lorenzen: "Für die war das ein Wechselbad der Gefühle. Man hat erst gedacht, es läuft alles gut, es machte schon das Wort vom Bilderbuchstart die Runde. Und dann kam diese Fassungslosigkeit, viele fingen an zu weinen. Das kam aber nicht etwa in dem Moment, als der Satellit abgestürzt war, sondern erst anderthalb Stunden später. Denn die Russen haben von alledem nichts gesagt. Es wurde aus dem russischen Plesetzk, von wo CryoSat mit einer umgebauten SS19-Rakete gestartet worden war, eine Computer-Simulation zugespielt, die über die Großbildleinwände der Esa flimmerte. Da sah man immer, wie der Satellit vermeintlich ins All startete. Eine Stimme gab dazu immer wieder Kommentare ab, deswegen wähnten sich alle in Sicherheit. Und als der Satellit zum ersten Mal Funkkontakt haben sollte mit der Bodenstation in Europa, da merkte man, es klappt etwas nicht. Da war der Zorn natürlich unheimlich groß, dass die Russen das bis dahin verschwiegen hatten. Dann fingen wirklich viele an zu weinen - man muss sich klar machen, dass für viele da etliche Jahre Arbeit einfach ins Meer angestürzt."

    Pasch: Hat die Esa auf den falschen Partner gesetzt bei diesem Projekt?

    Lorenzen: "Was die Technik angeht, ganz bestimmt nicht. Die russische Raumfahrt ist sehr zuverlässig. Auch die umgebaute SS19 sind bisher immer tadellos gestartet, da hat es noch nie Probleme gegeben, zumal jetzt für diese Art der Erdbeobachtung - wenn man zu einer polaren Umlaufbahn will - man ohnehin nur von einem sehr nördlichen Standort aus starten kann. Da wäre also zum Beispiel die Ariane aus Französisch-Guayana gar keine Alternative gewesen. Da hat die Esa bestimmt keinen Fehler gemacht. Die Esa wird sicherlich ein sehr ernstes Wort mit den Russen über die Informationspolitik sprechen müssen."

    Pasch: Welche Auswirkungen hat den der Verlust von CryoSat auf das europäische Erdbeobachtungsprogramm?

    Lorenzen: "Das ist natürlich ein klassischer Fehlstart, wobei die Esa schon bisher ein weltweit führendes Erdbeobachtungsprogramm betreibt mit wunderbaren Satelliten wie dem riesigen Envisat. Aber CryoSat war der erste in einer ganzen Reihe von Satelliten in dem "Living Planet"-Programm der Esa, in dem mehrere Satelliten der Erde als lebendem Organismus quasi den Puls fühlen sollen. CryoSat war dabei der erste Satellit, und das ist natürlich ein herber Rückschlag, dass man mit so einem Verlust anfängt. Aber die ganzen anderen Orbiter, die kommen sollen, darunter GOCE (Gravity Field and Steady-State Ocean Circulation Explorer), der das Erdmagnetfeld untersuchen soll, stehen bereit und werden dann hoffentlich erfolgreich weiter machen."

    Pasch: Sind denn Ersatzmaßnahmen für CryoSat geplant.

    Lorenzen: "Das war am Sonntagabend in Frascati in der Tat sehr interessant, dass nach der Wut, dem Zorn und der Trauer dann irgendwann der Trotz durchkam und die Hoffnung, dass man gesagt hat, die Aufgabe von CryoSat ist so wichtig - das Erforschen der Eismassen in den Polarregionen, dass man eigentlich bauen müsste. Anfang Dezember treffen sich in Berlin die Esa-Minister, um das weitere Programm für die kommenden zwei bis drei Jahre zu beschließen. Da hofft man auf grünes Licht für dieses sehr ambitionierte Erdbeobachtungsprogramm, und da meint man, dass man das Geld geschickt umschichten kann, um dann CryoSat nachzubauen - der Nachbau wäre dann auch nicht so teuer wie der Originalsatellit. "