Dienstag, 30. April 2024

Archiv

SPÖ zu Strache
Video "spiegelt eine Grundeinstellung wider"

Die Aussagen des bisherigen österreichischen Vizekanzlers Heinz-Christian Strache, die per Video festgehalten wurden, seien keine Ausrutscher, sagte SPÖ-Politiker Hannes Swoboda im Dlf. Strache sei nicht besonders alkoholisiert gewesen - ihm sei es nur um die eigene Macht gegangen.

Hannes Swoboda im Gespräch mit Dirk Müller | 20.05.2019
Regierungskrise in Österreich
Regierungskrise in Österreich (APA/dpa)
Dirk Müller: Es war eine Beichte, ohne Beichtgeheimnis diesmal, eine Beichte vor den TV-Kameras für Millionen Interessierte: Heinz-Christian Strache, Vizekanzler in Wien, Chef der mitregierenden FPÖ. Es war auch eine Entschuldigung, ein Alkohol-Eingeständnis, ein Suff-Eingeständnis, wie einige Medien schreiben: Ein Vizeregierungschef, der vor versteckter Kamera klargemacht hat, dass er bereit ist, sich kaufen zu lassen von russischen Oligarchen, wie er glaubt. Strache bietet im Gegenzug Staatsaufträge an, will die Medienlandschaft, die Kronenzeitung drangsalieren, dort aufräumen. Er findet offenbar auch schmutzige Worte gegenüber seinem Chef, gegenüber Kanzler Sebastian Kurz. Das sagt er jedenfalls selbst auch in seiner Entschuldigung, und dafür entschuldigt er sich auch bei seiner Frau, bittet er um Verzeihung:
O-Ton Heinz-Christian Strache: "Es war ein typisch alkoholbedingtes Machogehabe, mit dem ich, ja, wahrscheinlich auch die attraktive Gastgeberin beeindrucken wollte, und ich habe mich prahlerisch wie ein Teenager verhalten und peinlich übersteigert auch agiert. Und damit habe ich letztlich den wichtigsten Menschen in meinem Leben zutiefst verletzt, nämlich meine Frau. Ich möchte mich von ganzem Herzen auch bei Dir entschuldigen."
Müller: Heinz-Christian Strache am Samstagmittag in Wien. Ein peinlicher Auftritt war das eines Parteichefs in Regierungsverantwortung. Verwirrt war er, völlig verwirrt in dieser Situation, wie er sagt. – Am Telefon ist nun der SPÖ-Politiker Hannes Swoboda, der viele Jahre lang für die österreichischen Sozialdemokraten im Europäischen Parlament gesessen hat und ein äußerst kritisches Auge auf die politischen Entscheidungsprozesse hat. Guten Morgen!
Hannes Swoboda: Schönen guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Swoboda, ist Irren menschlich?
Swoboda: Irren ist natürlich menschlich. Selbstverständlich! Man kann mal einen Fehler begehen. Aber die Frage ist, ob dieser Fehler – und das meine ich schon – nicht systematisch ist, das heißt eine Grundeinstellung widerspiegelt, dass es um die Macht geht, um die eigene Macht geht, und dass man dann bereit ist, alles Mögliche zu verkaufen, von der Kronenzeitung bis, wenn man so will, auch Staatsaufträge, und das alles im Widerspruch zur Position, dass man ja immer den kleinen Mann, das Volk vertritt. Dieser Zynismus, der da zum Ausdruck kommt, das ist das Problem und nicht, dass man einmal einen Fehler begeht.
"So alkoholisiert, wenn man das Video anschaut, war er nicht"
Müller: Jetzt war er alkoholisiert. Darauf hat er mehrfach rekurriert, vielleicht auch, um mildernde Umstände zu bekommen. Ändert das etwas?
Swoboda: Nein. So alkoholisiert, wenn man das Video anschaut, war er nicht. Und vieles, was er ja gesagt hat, stimmte mit dem überein, was er sonst an Haltungen vertreten hat. Ich glaube nicht, dass dann Alkohol so eine große Rolle gespielt hat.
Natürlich muss man auch unterstreichen, dass ja vieles andere von dieser Regierung oder von einigen Mitgliedern dieser Regierung unternommen worden ist – und jetzt geht es ja um den Streit um den Innenminister -, was nicht jetzt mit Alkohol zu tun hat, sondern was eine grundsätzliche menschenfeindliche Einstellung ist, ein Zynismus, der hier an den Tag gelegt wird, wenn zum Beispiel der Innenminister sagt, er will keinen Asylbewerber haben in Österreich. Das sind Dinge, die ja einen politischen Ausdruck darstellen und nicht irgendwie eine besoffene Geschichte, wie der Herr Strache gemeint hat.
Müller: Herr Swoboda, ich möchte noch ein bisschen auf dieser Gefühlsschiene bleiben, ob legitim oder nicht. Ich versuche das einfach. Wir fragen Sie als SPÖ-Politiker über einen FPÖ-Politiker. Mehr Dissens ist ja kaum möglich. Tut er Ihnen ein bisschen leid?
Swoboda: Schauen Sie, natürlich ja, ich bin SPÖ-Politiker. Er tut mir nicht leid, weil er seit Jahren seine Politik aufgebaut hat auf einer Welle des Hasses, wenn man so will, der Aggression, der Aggressivität gegenüber anderen, und daher wüsste ich nicht, warum er mir leid tun soll. Dass er persönlich jetzt Schwierigkeiten hat, das ist eine andere Geschichte, aber wenn ein Mensch gierig ist nach Macht und wenn ein Mensch keine Grenzen kennt in der Verurteilung der anderen, in der Verächtlichmachung der anderen, dann führt das dazu. Der Prozess hätte viel früher beginnen müssen. Viel früher hätten ihn seine Freunde oder andere Leute aufmerksam machen müssen, dass er da einen Irrweg geht.
Ich würde mir gerne wünschen eine rechtsliberale Partei in Österreich, damit es für alle mehr Möglichkeiten von Regierungsbildungen gibt etc. Das ist ja das Grundproblem und daher geht es, glaube ich, nicht darum, ob er mir leid tut oder nicht, sondern ich glaube, die Veränderung oder die Bewegung der FPÖ, nämlich durch eine rechtsliberale Partei, was ja mal versucht worden ist, dass das gescheitert ist, vor allem durch Heinz-Christian Strache, das ist das Traurige am gesamten politischen System in Österreich.
Müller: Das hört sich jetzt so an, Herr Swoboda, als seien Sie davon überzeugt, dass das, was jetzt passiert ist, FPÖ-immanent ist.
Swoboda: Immanent für die jetzige Führungsgruppe der FPÖ ist es natürlich, absolut! Da ist es immanent.
Müller: Trifft auf alle zu, auch auf Norbert Hofer beispielsweise, der ja jetzt im Gespräch ist, das Ganze zu übernehmen?
Swoboda: Der Norbert Hofer ist geschickter, wenn man ansieht, wie er auch in seinem Ministerium agiert hat. Der Unterschied ist, dass Strache sich so hineingesteigert hat in seine Position, mit Konsum von Alkohol, viele sprechen ja von anderen Dingen, aber das kann ich überhaupt nicht bestätigen …
"Die kennen dann irgendwie keine eigenen Grenzen"
Müller: Andere Drogen meinen Sie jetzt?
Swoboda: Ja, und keine Grenzen sich gesetzt hat, während natürlich Hofer viel disziplinierter ist. Der ist politisch genauso weit rechts, aber er ist ein disziplinierter Mensch, und das ist der Unterschied zu Heinz Strache. Das ist sicherlich richtig. Heinz Strache ist in diesem Fall ähnlich wie Jörg Haider. Das heißt, die kennen dann irgendwie keine eigenen Grenzen. Die glauben, sie können alles machen und sie können gewissermaßen auch ein Medium verkaufen und, wenn es darauf ankommt, auch Österreich verkaufen. Da ähneln sich Jörg Haider und Heinz Strache viel mehr als viele andere Funktionäre, zum Beispiel auch Norbert Hofer.
Müller: Aber zu Beginn hatten Sie gesagt auf meine Frage, ja, das ist FPÖ-immanent. Aber es trifft nicht auf jeden zu, haben Sie jetzt gerade noch mal ein bisschen differenziert? Habe ich Sie richtig verstanden?
Swoboda: Ja. Ich habe gesagt, für die leitende Gruppe ist es immanent die Grundeinstellung. Aber wie gesagt, bei Strache und auch bei anderen kommt hinzu, dass sie überhaupt keine Grenzen kennen, dass sie sich einfach total gehen lassen und eine übersteigerte Gier haben. Bei anderen ist es so, dass die politische Rechtsorientierung viel mehr mit Disziplin verbunden ist.
Müller: Sie haben das ja häufig in den vergangenen Jahren auch hier im Deutschlandfunk immer argumentiert: Vorsicht vor der FPÖ, Warnung vor der FPÖ, auch Vorsicht vor anderen rechten Parteien in Europa. Aber auch Ihre sozialdemokratischen Freunde in Österreich arbeiten durchaus mit der FPÖ in den Bundesländern zusammen. Wie passt das zusammen?
Swoboda: Das passt nicht ganz zusammen. Da gebe ich Ihnen recht. Ich war immer kritischer demgegenüber. Natürlich kann man sagen, auf der Bundesländer-Ebene oder auf der städtischen Ebene ist es etwas anders. Es ist ja auch immer schwierig diese Frage der Ausgrenzung oder Fernhaltung. Natürlich verstehe ich auch, das habe ich auch bei Kurz verstanden im Prinzip, dass man sagt, ich versuche es einmal mit der FPÖ, vielleicht ändert sie sich, wenn sie gewisse Positionen hat. Das war schon früher nicht der Fall. Es hätte ja sein können, dass sich die Leute der Rechten doch irgendwie dann ein mehr staatsmännisches Staatspersonengehabe anlegen und dass sie sich ändern. Das ist leider nicht passiert. Das ist ja die große Tragik, dass dadurch eine mögliche Veränderung bei der FPÖ Richtung einer rechtsliberalen Partei, aber die letztendlich doch das Staatsinteresse im Auge hat, jetzt wieder unterbrochen worden ist. Das ist, glaube ich, die große Katastrophe, die politische Katastrophe, neben der persönlichen von Herrn Strache.
Müller: Da muss ich noch mal nachfragen. Das Video ist ja zwei Jahre alt, oder mehr als zwei Jahre alt.
Swoboda: Ja!
Müller: Da war die FPÖ beziehungsweise Heinz-Christian Strache zumindest noch kein Vizekanzler. Es gab noch nicht die Koalition. Das müssen wir ein bisschen unterscheiden. DA sagen Sie auch jetzt: Seitdem die FPÖ in der Regierungsbeteiligung ist, hat sich nichts geändert. Warum das?
Swoboda: Nichts geändert – das kann ich jetzt schwer beurteilen. Aber ich glaube, wenn man gewisse Aktivitäten anschaut, im Zusammenhang gerade mit dem Innenminister, worum jetzt der Streit geht, da hat sich eigentlich nichts geändert. Vielleicht wäre Strache auf dem Weg gewesen, sich zu ändern, aber das ist natürlich unterbrochen worden. Das ist vielleicht seine Tragik, dass er in dem Prozess, wo er vielleicht gewisse Schritte der Veränderung unternommen hat, dann eingeholt worden ist von seiner Vergangenheit – zum Teil schon von seiner Neonazi-Vergangenheit, die schon weiter zurückliegt. Aber wenn ein Mensch so lange braucht, um sich zu verändern, dann kann es immer wieder passieren, dass ihn die Vergangenheit einholt. Und wie gesagt, der große Streit ist ja jetzt schon nicht mehr um ihn, sondern geht schon um den Innenminister. Da hat man viel zu lange zugesehen, wie er brutalst eine Fremdenpolitik, eine Politik gegen Asylanten und gegen Asylbewerber betrieben hat. Das ist eigentlich auch das Problem, dass diese besoffene Geschichte des Herrn Strache ablenkt von den wirklichen Problemen, zumindest bisher abgelenkt hat, und das ist das Problem mit dem Innenminister, der eine radikale Rechtspolitik betreibt.
"Wir sind traurig, dass Kurz so sehr an dieser Koalition hängt"
Müller: Diesen Innenminister will Sebastian Kurz ja jetzt auf jeden Fall auch loswerden. Das haben wir an diesem Wochenende auch gelernt. Auf der anderen Seite – das haben wir mit unserem Korrespondenten heute Morgen auch versucht zu klären – sind die anderen oder alle anderen FPÖ-Minister ja noch in Verantwortung, noch im Kabinett. Muss Sebastian Kurz aus Ihrer Sicht da jetzt auch ganz klar die konsequente Reißleine ziehen, alles rauswerfen heute Morgen, heute Vormittag?
Swoboda: Soweit ich das höre, würde die Forderung auch der Entlassung Kickls dazu führen, dass alle FPÖ-Minister gehen würden, was ich auch verstehe. Das kann sich eine Partei nicht bieten lassen. Ich weiß auch nicht, warum Sebastian Kurz nicht schon längst das klargestellt hat, dass er aufhört, dass er eine Minderheitsregierung bildet mit einigen Experten und in die Wahlen geht. Wir sind traurig, dass er dort so sehr an dieser Koalition hängt. Aber gut, das ist seine Entscheidung. Ich glaube, derzeit schaut es so aus, dass die ganzen FPÖ-Minister die Regierung verlassen werden, aber auch, dass der Bundespräsident ganz klar gesagt hat, dass er mit dem Innenminister Kickl nicht zusammengehen kann.
Müller: Die SPÖ würde ihn, den Kanzler dann unterstützen bis September, damit Regierung gemacht werden kann?
Swoboda: Es ist ja nicht mehr viel zu tun. Es hängt natürlich dann von einzelnen Gesetzen ab. Wenn gute Gesetze oder gute Regelungen ins Parlament kommen, wird die SPÖ das sicherlich machen – selbstverständlich! Aber es wird ja nicht mehr viel geschehen. Es kommt eine Wahlkampfsituation, der Sommer unterbricht das, und dann muss man im September weitersehen, wie es geht. Momentan schaut es ein bisschen so aus, als ob der Bundeskanzler doch versucht, sich eine Tür offenzuhalten mit der FPÖ und nur sagt, mit Kickl geht es nicht, mit den anderen ginge es ohnedies. Das werden wir sehen. Die FPÖ wird sich das wahrscheinlich nicht gefallen lassen. Sie wird leider wieder zurückfallen in eine extreme Position, um die radikalen Wähler, den Kern der Wählerschicht bei sich zu behalten.
Müller: Und Norbert Hofer ist ja ein starker Kandidat. Er hat ja immerhin – ich habe das jetzt im Kopf und jetzt nicht nachgeschlagen – fast 48 Prozent bekommen bei der Bundespräsidentenwahl.
Swoboda: Ja, ja! Er war ein starker Kandidat bei der Bundespräsidentenwahl. Als Parteichef schaut das ein bisschen anders aus. Als Bundespräsident, da war er einer der Nationalratspräsidenten. Vorher hat er sich als den offenen, liberalen Mann gegeben. Als Parteichef – Strache hat ihm keinen guten Dienst erwiesen, weil dann wird es schwierig für ihn, von der Position eines Parteichefs noch einmal zu kandidieren - das war ja sein Wunsch – und noch einmal es zu versuchen, als Bundespräsident zu kandidieren. Das ist ihm ein bisschen verbaut worden.
Müller: Jetzt haben wir noch eine halbe Minute. Ich möchte das trotzdem noch einbringen. Wir haben AfD-Politiker Armin-Paul Hampel eben im Deutschlandfunk gefragt, wird das der AfD schaden. Er sagt, auf gar keinen Fall. Wie auch immer: Wird es der FPÖ nachhaltig schaden in Österreich?
Swoboda: Es wird ihr schaden, aber nicht in dem dramatischen Sinn, weil natürlich, auch das, was schon vorhin erwähnt worden ist, gewisse Leute sagen, na ja, das ist wieder so eine typische Aktion, die gegen die ehrliche FPÖ gemacht worden ist, und das war nur ein Ausrutscher. Man darf nicht erwarten, vor allem in der kurzen Frist, dass das so weit schaden wird. Ob es in der FPÖ Leute gibt, die jetzt sagen, okay, wir müssen jetzt einmal Schluss machen mit dieser Art der Politik, mit der Abhängigkeit von Russland und mit dieser Solidarisierung mit Rechtsorientierungen in Serbien etc., diese Vernetzung gerade im Zusammenhang mit Russland, ich glaube, das könnte schon ein bisschen den Leuten vor Augen führen, dass diese Art der Politik einfach mit Diktaturen und mit autoritären Systemen zusammenzugehen und sich von dort finanzieren zu lassen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.