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Ukraine-Hilfe
Motoren-Lieferung sorgfältig prüfen

Der Obmann der Unions-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss, Roderich Kiesewetter, spricht sich für eine Lieferung von Dieselmotoren an die Ukraine aus. "Wenn wir nicht liefern, unterstützen wir indirekt die Separatisten und das kann nicht die Lösung sein", sagte Kiesewetter im DLF.

Roderich Kiesewetter im Gespräch mit Martin Zagatta | 29.11.2014
    Porträt von Roderich Kiesewetter
    Roderich Kiesewetter (CDU), Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    Die Lieferung von Dieselmotoren bedeute auf jeden Fall eine Lieferung von Material, das für Kriegsgerät geeignet sei. Das Material könne indirekt für Panzer oder Truppen- und Munitionstransporter verwendet werden. Die Ukraine müsse jedoch offen legen, was sie mit den Motoren vorhabe, forderte Kiesewetter im Interview mit dem Deutschlandfunk. Das müsse die Bundesregierung prüfen.

    "Man muss sich im Klaren sein, dass die Ukraine langfristig von Russland gespalten werden soll, dass sie handlungsunfähig werden soll und dass die Europäische Union eine Rumpf-Ukraine vor die Haustüre bekommt, die auf Jahre Kräfte binden wird, weil man sie wieder aufbauen muss", so Kiesewetter.

    Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Roderich Kiesewetter:
    Martin Zagatta: Die Anfang September vereinbarte Waffenruhe hat den Kämpfen in der Ostukraine kein Ende gemacht, noch immer sterben Menschen in der Auseinandersetzung zwischen den prorussischen Separatisten und den Regierungstruppen. Die Ukraine will erneut russische Truppentransporte beobachtet haben, sie fürchtet offenbar eine Winteroffensive, was dazu geführt hat, dass sich die Regierung der Ukraine jetzt mit einem Hilferuf an die Bundesregierung gewandt hat: Man brauche ganz dringend Dieselmotoren für Truppentransporte, so Außenminister Klimkin, und die habe man in Deutschland angefragt. Ein Ansinnen, über das ich jetzt mit Roderich Kiesewetter sprechen kann, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Guten Morgen, Herr Kiesewetter!
    Roderich Kiesewetter: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Kiesewetter, wenn die Ukraine derart um Hilfe ruft, kann man sich dem verweigern und dem bedrängten Land die kalte Schulter zeigen?
    Kiesewetter: Also wir haben ja auch ganz feste Regelungen und Gesetze, auch ganz strenge Ausfuhrbestimmungen, insbesondere wenn es um Krisengebiete geht. Die Bundesregierung hat es ja nicht abgelehnt und prüft es zurzeit. Ich glaube, man muss da ganz sorgfältig abwägen, denn es bedeutet ja in jedem Fall eine Lieferung von Material, das für Kriegsgerät geeignet ist. Es bedeutet aber auch, dass parallel eine Aufrüstung der Separatisten mit schweren Waffen, aber auch für Kämpfer eben im Osten der Ukraine läuft. Und wir sehen die Gefahr eines offenen Krieges zwischen Russland und der Ukraine. Nicht zu liefern, darf also auch nicht bedeuten, dass wir die Separatisten indirekt unterstützen, und ich nehme an, dass die Bundesregierung sehr rasch darüber entscheiden wird. Persönlich ist meine Auffassung, dass die Lieferung von Motoren und Getrieben nicht nur sorgfältig geprüft werden muss, aber ich glaube, dass am Ende eine Entscheidung für eine Lieferung stehen sollte.
    Zagatta: Also Dieselmotoren sind Waffen, muss man das so sehen?
    Kiesewetter: Nein, es sind aber indirekt für Waffen verwendbare Geräte, weil sie damit natürlich Panzer oder auch Kraftfahrzeuge, also auch Lkws oder Truppentransporter, Munitionstransporter damit befähigen, fahren zu können, insbesondere im Winter - unsere Dieselmotoren sind ja auch für heftige Minusgrade geeignet. Es muss eben abgewogen werden. Ich persönlich sage, wir dürfen nicht, wenn wir sie nicht liefern, die Ukraine schwächen, aber wir müssen es konditionieren. Die Bedingungen, die wir stellen müssen, ist eben, wir wollen wissen, wofür sie eingesetzt werden, in welchen Bereichen. Aber ich glaube, wenn wir sie nicht liefern, unterstützen wir damit indirekt die Separatisten, und das kann ja wohl nicht die Lösung sein.
    Zagatta: Sie sind für diese Lieferung, an welche Zusagen muss sich dann die ukrainische Regierung halten? Sie sagt ja klipp und klar, so habe ich das zumindest verstanden, diese Dieselmotoren dienen Truppentransportern, mit denen wird sie dann Truppen wahrscheinlich an die Front bringen.
    Kiesewetter: Davon gehen wir aus. Wir müssen uns deshalb auch von den Ukrainern mehr Informationen beschaffen, was sie vorhaben.
    Zagatta: Aber das wäre legitim?
    Kiesewetter: Das wäre aus meiner Sicht legitim. Es sind ja, wenn man das so sieht, im engeren Sinne keine Lieferungen von Kriegsgerät, weil es keine Waffen sind, es ist also keine Forderung ja nach Kampfpanzern oder Schützenpanzern gewesen. Ich glaube, das sollten wir auch nicht machen. Aber die Lieferung von Truppentransportern, also von Motoren für Truppentransporter, das sollte man prüfen. Die Bundesregierung hat ja auch zugesagt zu prüfen, aber das muss man eben alles abwägen in dem Rahmen, den ich eben erwähnt habe.
    Zagatta: Die Bundesregierung hat zugesagt zu prüfen, man hört - so zumindest ist es zu lesen - sie wolle das aber ablehnen. Haben Sie da schon irgendwelche Informationen?
    Kiesewetter: Nein, das habe ich auch nicht. Ich kann Ihnen hier nur meine persönliche Meinung sagen, und ich sage, wenn die sorgfältige Abwägung auch dazu führt, zu sagen, wir dürfen hier nicht die Separatisten indirekt unterstützen, dass also die Ukraine dadurch geschwächt wird, dass solche Motoren nicht kommen, das kann ja auch nicht im Sinn der Sache sein. Deswegen wollen wir auch von der Ukraine wissen, wo haben sie sonst noch Lieferanfragen gestellt, was haben sie überhaupt verfügbar, und dass es nicht indirekt zu einer Lagerhaltung oder indirekt zu einer mittelbaren Beteiligung an Gefechten führt, das wollen wir natürlich auch nicht. Wir müssen uns allerdings darüber im Klaren sein, was ist die Folge einer Nichtlieferung. Wenn eine Nichtlieferung keine weiteren Konsequenzen hat, dann sollten wir auch nicht liefern. Wenn aber es klar ist, dass wir damit die Ukraine schwächen, wenn diese Motoren nicht kommen, ich glaube, dann müssten wir in dieser sehr schwierigen Abwägungsentscheidung uns dafür entscheiden.
    Zagatta: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie aber auf alle Fälle dagegen, Waffen zu liefern, Herr Kiesewetter. Da fragt sich ja jetzt der ein oder andere schon, wo ist der Unterschied zwischen den Kurden, die Waffen aus Deutschland bekommen, und der Ukraine, wie erklärt man das den Leuten?
    Kiesewetter: Das ist ein sehr guter Punkt, den Sie ansprechen. Wir müssen uns strategisch darüber im Klaren sein, dass die Ukraine langfristig von Russland gespalten werden soll, dass die Ukraine handlungsunfähig werden soll und dass die Europäische Union quasi eine Rumpf-Ukraine vor die Haustür bekommt, die uns auf Jahre lang Kräfte binden wird, weil wir sie wiederaufbauen müssen.
    Zagatta: Davon gehen Sie aus?
    Kiesewetter: Davon gehe ich aus. Ich gehe davon aus, dass Russland die Ukraine langfristig spalten möchte. Umsonst werden ja diese ganzen Aktionen im Osten der Ukraine nicht gemacht. Und wir müssen uns darüber im Klaren sein, wollen wir das, wollen wir eine Föderalisierung der Ukraine, wie das die Russen umschreiben, oder wollen wir, dass die Ukraine in freier Souveränität über ihre Zukunft entscheidet. Und da spielen natürlich solche Motorlieferungen nur eine mittelbare Rolle, aber sie fordern uns natürlich. Und die Ukraine weiß genau, dass sie aus Deutschland keine Waffen erhält. Die Ukraine weiß aber auch, dass sie bestimmte Fähigkeiten braucht, um zu überleben, und ich glaube, wir sollten sehr sorgfältig prüfen, ob es nicht ein vernünftiges Ansinnen ist. Die Ukraine fordert ja nichts Unmögliches, und die Lieferung von Motoren ist ja auch etwas, was wir, glaube ich, guten Gewissens leisten können. Wir müssen es aber abwägen, wir wollen auch von der Ukraine wissen, wo sind sonst noch Anfragen, wer unterstützt sie sonst noch. Wir aber schließen bisher Waffenlieferungen aus, ich halte das auch für sinnvoll.
    Zagatta: Da aber noch einmal die Frage, Herr Kiesewetter: Wie erklärt man das, also wo ist der Unterschied, die Kurden mit Waffen zu beliefern und es der Ukraine zu verweigern?
    Kiesewetter: Der Irak steht vor einem Zerfall.
    Zagatta: Die Ukraine auch.
    Nicht auf das Niveau Russlands begeben
    Kiesewetter: Die Ukraine ist noch nicht soweit. Wir müssen, wir wollen uns nicht auf das militärische Niveau Russlands bewegen und begeben, wir wollen mit den Sanktionen Russland dazu zwingen, dass sie von einer Teilung der Ukraine absehen, dass Russland deeskaliert. Zurzeit erleben wir keine deeskalatorischen Zeichen Russlands, sondern es werden Übungen in internationalen Gewässern gemacht, darunter im Ärmelkanal. Wir wollen, dass Russland davon Abstand nimmt, die Ukraine zu destabilisieren, aber eben nicht mit militärischen Mitteln, wir wollen das über Wirtschaftssanktionen erreichen, aber nicht auf dasselbe Niveau. Der Irak ist kurz vor dem Zerfall, viel weiter fortgeschritten, als das für die Ukraine gilt, und im Irak geht es auch darum, die staatliche Einheit zu gewährleisten. Und eine der Maßnahmen ist, die Peschmerga auszubilden und auch eben mit Kriegsmaterial zu unterstützen, weil es hier auch um etwas ganz anderes geht, nämlich um Millionen von Flüchtlingen. In der Ukraine sind es zurzeit etwa 300.000 Binnenflüchtlinge, im Irak sind es zwei Millionen, und hier ist auch, glaube ich, das Verhältnis David/Goliath mit Blick auf Jesiden. Ich habe erst gestern wieder ein Gespräch mit dem Sohn des Jesidenführers gehabt, da ist die Lage wesentlich dramatischer. Wir müssen uns ja auch vorbehalten, mitzuhelfen oder möglicherweise unsere Maßnahmen dem Weg der Lage anzupassen, aber wir können doch nicht vorn vornherein sagen, wir liefern jetzt Waffen.
    Zagatta: Das ist klar, aber dass Sie da das wollen, dass Sie da der Ukraine zur Souveränität verhelfen wollen, ist die eine Sache. Indirekt erkennt man doch da, indem man sagt, man ist nicht imstande, Waffen zu liefern, das Recht des Stärkeren an, möglicherweise auch aus Rücksicht auf Putin.
    Kiesewetter: Nein, hier geht es nicht um Rücksicht auf Putin, hier geht es darum, dass wir uns nicht auf das Niveau von Putin begeben wollen, sondern Putin dort treffen, wo er am schwächsten ist, nämlich in dem Bereich der wirtschaftlichen Stabilität des Landes. Irgendwann ist Russland nicht mehr in der Lage, die Versorgung der Bevölkerung so aufrechtzuerhalten, weil der Ölpreis sinkt, weil die Staatseinnahmen sinken. Russland muss irgendwann einlenken. Wir wollen auch nicht akzeptieren, dass in Europa 25 Jahre nach dem Fall der Mauer diese Souveränität eines Staates dermaßen angegriffen wird, wie wir es jetzt durch Russland erleben. Das sind ja eigentlich unhaltbare Zustände, und auf den deutschen Straßen demonstriert man gegen DITIB, aber nicht für die Freiheit der Ukraine.
    Zagatta: Glauben Sie, dass die Annexion der Krim rückgängig zu machen ist?
    Kiesewetter: Nein, die ist nicht rückgängig zu machen, aber wir müssen ächten, was dort passiert. Und es darf nicht sein, dass das die Voraussetzung für Russland ist, weiter die Ukraine zu destabilisieren oder gar einen Korridor zu schaffen über Odessa bis nach Ostmoldawien, sprich bis nach Transnistrien, sondern hier gilt es, auf wirtschaftlicher Ebene mit Sanktionen Russland zu zeigen, so geht es nicht weiter. Russland möchte doch geradezu uns militärisch provozieren, da dürfen wir uns nicht provozieren lassen. Krieg darf nicht nach Europa zurückkehren.
    Zagatta: Wenn Sie sagen, die Annexion der Krim ist nicht rückgängig zu machen, argumentieren Sie da ähnlich wie Matthias Platzeck, der ja da in die Kritik gekommen ist?
    Kiesewetter: Im Gegenteil, Matthias Platzeck fordert ja geradezu an, das anzuerkennen. Ich sage, wir müssen sehr realistisch erkennen, dass Krim der Preis für Russland war, wieder seine innere Bevölkerung zu überzeugen, dass Putin ja auch Widersacher im eigenen Lager versucht hat zu beschwichtigen und dass Putin die langfristige Strategie einer Destabilisierung der Europäischen Union begonnen hat. Unsere Forderung lautet natürlich Abzug aus der Krim, aber wir wollen wir das denn durchsetzen? Wir müssen anders erreichen, dass Russland erkannt hat, einen sehr großen Fehler gemacht zu haben. Russland erkennt übrigens jetzt auch, was für ein Danaergeschenk sie bekommen haben mit der Krim, weil dort natürlich die Infrastruktur erheblich defizitär ist, weil dort die ganze Lage äußerst kritisch ist, aber Russland kommt da gesichtswahrend nur raus, wenn wir uns nicht auf das Niveau militärischer Sanktionen begeben.
    Zagatta: Roderich Kiesewetter, der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss, ist für die Lieferung von Dieselmotoren an die Ukraine. Herr Kiesewetter, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch!
    Kiesewetter: Ja, auf Wiederhören, Herr Zagatta!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.