Richard Wrangham: "Die Zähmung des Menschen"

Der Mensch - ein abscheuliches, freundliches Tier

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Coverabbildung Richard Wrangham: Die Zähmung des Menschen.
Ist der Mensch von Natur aus gut oder ist er dem Menschen ein Wolf, wie Thomas Hobbes meinte? Diese gegensätzlichen Positionen will der Anthropologe Richard Wrangham versöhnen. © Cover: DVA
Von Volkart Wildermuth · 04.10.2019
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Gewalt hat uns letztlich friedlicher gemacht: Zu diesem Resümee der Menschheitsgeschichte kommt der Anthropologe Richard Wrangham. Eine Position, mit der der Autor aneckt. Aber man lernt viel Neues über das Leben in der Jäger- und Sammlergesellschaft.
"Wir können das abscheulichste aller Tiere sein, aber auch das freundlichste." schreibt Richard Wrangham in seinem neusten Buch: "Die Zähmung des Menschen". Der Anthropologe von der Harvard-Universität will den alten Streit zwischen der These von Thomas Hobbes vom Mensch, der des Menschen Wolf ist, und der von Jean Jacques Rousseau, wonach der Mensch von Natur aus gut ist, überwinden: Beide haben recht, sagt er. Es ist gerade die Gewalt, die uns friedlicher gemacht hat.
Die zentrale Beobachtung Wranghams lautet dabei: "Die Unterschiede zwischen dem modernen Menschen und seinen Vorfahren folgen einem klaren Muster. Sie ähneln den Unterschieden zwischen Hund und Wolf."
Der Mensch sei ein domestiziertes Tier, er habe sich selbst gezähmt, so der Autor. Dass so etwas grundsätzlich möglich ist, zeigt das Beispiel der Bonobo, die im Vergleich zu den Schimpansen ausgesprochen friedlich sind, zu freiem Spiel und freiem Sex neigen. Also Verhaltensweisen aufweisen, die sich auch beim Menschen finden.

Weibchen weisen aggressive Männchen in die Schranken

Die These der Selbstdomestizierung ist nicht neu. Spannend ist das Buch, weil es zu erklären sucht, wie genau sie abgelaufen sein könnte. Bei den Bonobos sind es Gruppen von Weibchen, die aggressive Männchen in die Schranken weisen. Beim frühen Homo sapiens sieht Wrangham dagegen Männerbünde am Werk.
Das entscheidende zweite Element der Selbstdomestizierung ist nach Ansicht des Anthropologen die Sprache. "Diese gab den flüsternden Betamännchen die Macht, sich zu verbünden und die tyrannischen Alphamännchen zu töten." Über die Jahrtausende führe der immer wiederholte Tyrannenmord zu einer unterm Strich friedlicheren Psychologie.
Eine Entwicklung mit Nebenwirkungen: Zwar ging die emotionsgetriebene reaktive Aggression zurück, dafür aber gewann die geplante aktive Aggression an Bedeutung. Und die richtete sich nicht nur gegen Tyrannen, sondern bald gegen jede Form der Abweichung von den Normen einer Gruppe. In einer Art "Diktatur der Vettern" sieht Wrangham die Wurzel des ethischen Empfindens. "Unsere Vorfahren, die diese gefährliche Welt überlebten, sind diejenigen, die sich in moralischen Fragen nicht irrten." Die aktive Aggression liegt auch den kriegerischen Tendenzen des Menschen zugrunde und letztlich auch solch unfassbaren Gewaltexzessen wie dem Holocaust.

Gewalt erklären heißt nicht, sie zu rechtfertigen

Das dürfte vielen Lesern zu weit gehen. Richard Wrangham ist klar, dass er mit seiner janusköpfigen Sicht auf die Aggression aneckt. Aber er meint, die Fakten ließen sich nicht ignorieren. Und berichtet so von seinen eigenen Beobachtungen an Menschenaffen, von ausgefeilten Experimenten und über die Lebensweise von Jäger- und Sammlergesellschaften. Vor allem in diesen Buchabschnitten gibt es viel überraschend Neues zu lernen.
Je näher Wrangham aber der Jetzt-Zeit kommt, desto skizzenhafter und brüchiger wirken seine Argumente. Wie weit man ihm daher folgen mag, muss jeder selbst entscheiden. Richard Wrangham selbst betont, dass eine evolutionäre Erklärung der Gewalt keine Rechtfertigung ist: "Nur weil etwas natürliche Ursprünge hat, bedeutet das nicht, dass wir ihm in unserem Leben einen Platz einräumen sollten."

Richard Wrangham: Die Zähmung des Menschen - warum Gewalt uns friedlicher gemacht hat. Eine neue Geschichte der Menschwerdung
Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer
Deutsche Verlags Anstalt, München 2019
496 Seiten, 28 Euro

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