Deutsch-Französisches Jugendwerk will gegen Arbeitslosigkeit vorgehen

Moderation: Burkhard Birke · 29.06.2013
Millionen junger Menschen sind sich über das Deutsch-Französische Jugendwerk nähergekommen. Gerade jetzt sei es wichtig, das Zusammenhaltsgefühl in Europa zu stärken, meint Generalsekretärin Béatrice Angrand. Dafür brauche es mehr Engagement.
Deutschlandradio Kultur: Heute mit Béatrice Angrand, der Generalsekretärin des Deutsch-Franzöischen Jugendwerkes. Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Béatrice Angrand, seit 2009 sind Sie Generalsekretärin des Deutsch-Französischen Jugendwerkes, das Sie jetzt gemeinsam mit dem Deutschen Markus Ingenlath leiten. Und Sie haben jetzt einen besonderen Grund zum Feiern. Denn das Deutsch-Französische Jugendwerk wird 50.

Den Grundstein legten ja damals Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle mit dem Élysée-Vertrag. Aber erst am 5. Juli wurde dann der Vertrag für das Deutsch-Französische Jugendwerk unterzeichnet und damit zur Förderung eben der Jugendbegegnung zwischen den beiden Ländern. Ohne Ihnen jetzt die Feierstimmung verderben zu wollen oder Sie besonders provozieren zu wollen: Ist das Jugendwerk nicht eigentlich überholt? Müsste man es nicht in den Vorruhestand – entgegen dem Trend der Zeit – mit 50 schicken?

Béatrice Angrand: Ich glaube, mit 50 in den Ruhestand zu gehen, wäre sehr, sehr teuer. Ich glaube, ich kann feststellen, dass man in Deutschland und vor allem im Frankreich viel länger arbeiten soll. Von daher haben wir noch eine ganze Menge zu tun und noch viele Jahre zu arbeiten, bevor wir in den Ruhestand gehen dürfen.

Aber Scherz beiseite. Was wir im Jugendwerk sehen, ist, dass wir immer wieder mehr Nachfrage haben für Jugendaustausch – aus der Städtepartnerschaft, natürlich aus der Schule, aus dem Schulbereich, aus dem außerschulischen Bereich, auch in der beruflichen Bildung. Ich glaube, würden wir jetzt in Ruhestand gehen, würden sehr viele Leute uns vermissen. Das wäre schade.

Deutschlandradio Kultur: Es geht aber ein bisschen um Sinn und Zweck des Jugendwerkes nach 50 Jahren. In diesen 50 Jahren hat sich ja viel verändert. Frau Angrand, lassen Sie uns zuerst mal vielleicht zurückblicken auf diese 50 Jahre. Welches waren die wichtigsten Meilensteine oder die wichtigsten Errungenschaften der Arbeit des Deutsch-Französischen Jugendwerkes in diesen 50 Jahren für Sie?

Béatrice Angrand: Ich würde vielleicht drei Punkte nennen. Der erste ist Anfang oder Mitte der 70er-Jahre, als das Jugendwerk festgestellt hat, dass Massenaustausch nicht funktioniert. Es reicht nicht, junge Menschen in vollen Bussen nach Deutschland beziehungsweise nach Frankreich zu schicken, um den Frieden zu machen und die Vorurteile zu überwinden. Nein, man hat festgestellt, es ist sogar gefährlich, so zu verfahren. Deswegen hat man sich mit der Hilfe von Forschern, Pädagogen, Linguisten, also Sprachwissenschaftlern, Psychologen gefragt: Was sollen wir inhaltlich ändern? Ab dann hat man dann entschieden, dass man mehr pädagogische Instrumente benutzen sollte, die Begleitung der jungen Menschen auch fort- und ausbilden sollte.

Ein anderes Datum ist 1975, als entschieden worden ist im Verwaltungsrat, dass das DFJW auch trinationale Begegnungen führen durfte.

Deutschlandradio Kultur: Also nicht nur deutsch-französische?

Béatrice Angrand: Nicht nur deutsche. Es waren die Länder der Europäischen Union erst mal. Später wurde entschieden, Länder zu nehmen, die Kandidat für die Europäische Union waren.

Ein Drittes ist der Mauerfall, als dann noch vor der deutschen Einigung entschieden worden ist, dass junge Menschen damals aus der DDR noch bei deutsch-französischen Maßnahme des DFJW mitmachen durften. Ich glaube, das war damals auch visionär. Es gab noch nicht das vereinte Deutschland. Es waren dann noch Bürger aus der DDR, die dann an den Begegnungen teilnehmen konnten.

Ich würde sagen, es gab auch dann – vielleicht letzter Termin 2004 – eine Reform der Geschäftsführung, auch innerhalb des Verwaltungsrats. Und in den letzten Jahren würde ich die Rolle der neuen Medien auch groß unterstreichen, dass das nicht nur eine Gefahr ist, das ist auch eine Opportunität, auch ein Plus für die Begegnung junger Menschen und die Rolle der beruflichen Bildung, dass die Jugendbegegnung auch als eine Chance für den Arbeitsmarkt gesehen wird.

Deutschlandradio Kultur: Das ist ein ganz wichtiges Thema. Das wurde gerade auf dem zurückliegenden EU-Gipfel in Brüssel beschlossen. Darüber werden wir gleich noch sprechen.

Aber es gibt ja diese erstaunliche Zahl von acht Millionen junger Menschen aus Frankreich und Deutschland, die in diesen 50 Jahren des Jugendwerkes sich begegnet sind. Das ist doch ein unglaubliches Fundament. Dennoch wundert es, dass in Ihrer letzten Studie zum Beispiel die alten Klischees bestehen bleiben, dass in den Köpfen junger Franzosen Deutschland immer noch mit Krieg verbunden wird.

Béatrice Angrand: Ja, also in der letzten Studie, die wir mit dem Magazin Paris Berlin durchgeführt haben, das stimmt, dass die Klischees über Deutschland bei den Jüngeren eigentlich wohl also immer noch existieren, aber bei den Jugendlichen, das heißt, in der Adoleszenzzeit, über 15 sind diese Klischees viel weniger stark als damals. Und wir glauben, es ist auch durch Forscher bestätigt worden, das hat auch mit dem Schulprogramm zu tun, dass man gerade in diesem Alter auch den Zweiten Weltkrieg lernt.

Für mich darf man sich keine große Sorge machen, weil im Großen und Ganzen beweist diese Studie, aber auch andere, dass die jungen Menschen viel weniger Vorurteile haben als damals. Also, ich finde es sehr positiv. Ich finde aber, dass es ein Risiko gibt, dass die deutsch-französische Beziehung als banal erscheint, obwohl banal ist auch ein Superergebnis. Wenn man Krieg gegeneinander geführt hat und dann wäre es auf einmal eine normale banale Beziehung, ist es auch ein schönes Ergebnis. Aber es bringt ein gewisses Risiko mit sich natürlich.

Deutschlandradio Kultur: Béatrice Angrand, Sie sind nun eine Amtsträgerin in diesem deutsch-französischen Verhältnis. Aber wenn Sie mal Ihr Amt außer Acht lassen, Sie sagen, die Beziehung ist banal, aber im Moment knirscht es ja auch so ein bisschen zwischen Paris und Berlin. Wie ist denn Ihre Einschätzung der deutsch-französischen Beziehungen im Moment?

Béatrice Angrand: Ich glaube, und das ist auch der Reichtum dieser Beziehung, dass sie mehrere Ebenen hat. Ich glaube, innerhalb der Zivilgesellschaft ist es so, dass es eine Beziehung ist, die gut funktioniert mit sehr viel Engagement an der Basis, Städtepartnerschaft, Schule, Hochschule. Also, wir haben im DFJW, und da bin ich wieder im Amt, aber ich versuche den Außenblick trotzdem zu behalten, aber dass man so viele Anfragen bekommen hat, auch weil das Jubiläum des Elysée-Vertrags auch diese Beziehung in den Kopf der Leute, die das vielleicht vergessen hatten, noch mal eingebracht hat. Deswegen ist es gut, dass man ab und zu mal Jubiläum feiert.

Wenn ich die Ebene der Wirtschaft nehme zum Beispiel, und ich finde wichtig, dass man die Ebenen auch nicht vermischt, da, glaube ich, ist eine große Konkurrenz zwischen den beiden Ländern, auch auf französischer Seite mit einem Gefühl, dass es bei uns, also, weil ich Französin bin, nicht gut funktioniert.

Deutschlandradio Kultur: Auch ein Gefühl der Bevormundung durch Deutschland?

Béatrice Angrand: Ja, auch ein Gefühl, dass die Deutschen nur an sich denken. Ich spreche nur von Gefühlen. Die Tatsache ist auch schwer sowieso zu beweisen. Aber auch ein Gefühl, dass die Deutschen von der Schwäche der anderen Länder auch profitieren, sogar ausnutzen. Deswegen, das ist nicht gut. Und ich glaube, die politische Beziehung, auf politischer Ebene leidet man auch unter diesem Konkurrenzgefühl und auch unter diesem Eindruck, dass das nicht fair ist.

Deutschlandradio Kultur: Wie reflektiert sich das in Ihrer Arbeit im Jugendwerk? Spüren Sie das auch bei den Jugendlichen? Ist da auch bei denen Deutschland das Superwirtschaftmodell, das uns alles diktieren will, oder wie macht sich das in Ihrer täglichen Arbeit bemerkbar?

Béatrice Angrand: Das ist eine gute Frage. Wir haben neulich im Mai ein Treffen organisiert zwischen Wolfgang Schäuble, seinem französischen Kollegen Pierre Moscovici und jungen Menschen aus der Schule. Die waren zwischen zwölf und 14. Ein junges Mädchen hat sich gemeldet und hat dann die beiden Minister gefragt: Aber wissen Sie, wenn Sie auf Ihrem Niveau, auf politischem Niveau immer den Partner kritisieren, wenn Sie frankophobe sind oder germanophobe sind, das ist nicht gut für uns, weil, wir wollen in Frieden leben. Wir wollen mit den Deutschen beziehungsweise mit den Franzosen gut zusammenleben, gut zusammenarbeiten und vor allem gemeinsam Europa gestalten. Und ich fand es schön, wie dieses junge Mädchen auch die Verantwortung der Politiker auch noch mal unterstrichen hat.

Ich glaube, es gibt richtig eine Diskrepanz. Die Jugend will mehr Europa. Sie wollen mehr gemeinsame Diplome. Sie wollen mehr Mobilität. Sie wollen eigentlich keine Grenzen mehr. Und Europa kann das noch nicht geben. Ich glaube, deswegen ist auch die Jugend ein bisschen von Europa auch enttäuscht, weil es zu wenig Europa gibt. Und ich mag auch dieses Paradox.
Ich bin ein bisschen weit weg jetzt von Ihrer Frage, aber wichtig ist, dass ich glaube, die Jugend sieht das richtig anders als die Erwachsenen ab 40 Jahre alt.

Deutschlandradio Kultur: Mehr Europa, die Frage jetzt an die Generalsekretärin des Deutsch-Französischen Jugendwerkes, Béatrice Angrand: Wäre das nicht auch etwas für das Deutsch-Französische Jugendwerk, ein europäisches Jugendwerk daraus zu machen. Es gibt ja ohnehin schon das Deutsch-Polnische Jugendwerk. Die Integrationsministerin aus Baden-Württemberg hat ja sogar mal ein Deutsch-Türkisches Jugendwerk angeregt. Wäre es den nicht sinnvoll, ein größer gefasstes Jugendaustauschorgan einzurichten?

Béatrice Angrand: Der Auftrag des DFJW ist, dass junge Deutsche und Franzosen sich treffen, damit sie sich besser verstehen, aber auch – das steht im neuen Abkommen – nach der Reform, von der ich vorhin sprach, dass die jungen Deutschen und Franzosen sich mehr für Europa, im Dienste Europas auch einsetzen. Ich finde, es ist auch gut, dass so was auch in dem neuen Abkommen steht. Also, das heißt, man ist nicht nur unter vier Augen, aber man macht auch Projekte für die anderen, aber mit den anderen natürlich.

Auf der anderen Seite ist das DFJW so gedacht, dass es den Auftrag hat, diese besondere Beziehung, und sie ist immer noch besonders – glauben wir, glaubt auch die Politik, die zahlt für das DFJW –, weiter bestehen soll. Natürlich, das setzt voraus, dass man diese Beziehung erst mal bilateral pflegt.

Das steht aber nicht im Widerspruch dazu, dass man sich öffnen kann und dass man mit anderen zusammenarbeiten kann. Aber wir wissen auch durch verschiedene Forschungen, Beobachtungen, dass – wenn viele junge Menschen aus vielen Ländern sich zusammen treffen – die Wirkung nicht die gleiche ist. Die ist milder. Die ist schwächer, weil, mit zu viel kann man nicht unbedingt die Tiefe erreichen.

Ich glaube, es wäre gefährlich, zu schnell zu gehen und alle Länder zu vermischen und zu sagen, alle jungen Menschen sind gleich und alle treffen sich. Also, wenn es darum geht, eine besondere Beziehung zu pflegen, das heißt, dass wir mehr Zeit schenken sollen und dass die jungen Menschen sich erst mal bilateral treffen sollen. Aber, wie gesagt, die können auch mit anderen Ländern zusammenarbeiten, aber nicht alles in allem.

Deutschlandradio Kultur: Beatrice Angrand, aber ganz gezielt war ja auch die Frage nach der Türkei. Die Türkei stellt ja auch ein gewisses Integrationsproblem mit den Menschen dar, die bei uns leben, wo es Schwierigkeiten gibt, die man einfach nicht leugnen kann. Wäre es nicht sinnvoll, da gezielt als einem möglichen Beitrittskandidaten der Türkei nun solche Austauschprogramme von Ihrer Seite als deutsch französischem Motor für Europa voranzutreiben?

Béatrice Angrand: Ja, das finde ich sehr interessant. Und ich muss sagen, es existieren auch schon einige Projekte deutsch, französisch, türkisch. Aber auch sehr interessant sind die Projekte mit vier Ländern, wo die deutsch-französische Beziehung als Inspirationsquelle auch dienen kann.

Deutschlandradio Kultur: Welche sind das?

Béatrice Angrand: Also, zum Beispiel, es gab ein Projekt mit Studenten aus der Türkei, aus Griechenland, aus Frankreich und Deutschland. Es war richtig spannend, auch in den Balkanländern…

Deutschlandradio Kultur: Sie haben Griechenland genannt. Das ist ja jetzt gerade auch eines dieser Krisenländer, Frau Angrand. Und jetzt haben ja die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel auch gesagt, wir müssen mehr gegen die Jugendarbeitslosigkeit tun. Und man muss sich das einfach mal vor Augen führen, dass in Griechenland die Jugendarbeitslosigkeit im April bei 62,5 Prozent lag, in Spanien bei 56,4 Prozent, in Frankreich immerhin noch bei 26,5 und in Deutschland nur bei 7,5.

Jetzt gibt es nächste Woche diesen Gipfel der Arbeitsminister der EU bei der Kanzlerin hier in Deutschland, in Berlin. Was können Sie zum Beispiel anbieten als Jugendwerk, wie Sie eine Lösung mit gestalten helfen könnten. Von den sechs Milliarden, die beschlossen wurden, können Sie sich da vorstellen, ein paar Millionen zu nehmen und gezielt jetzt Jugendliche aus Griechenland in Arbeitsstellen, Praktikantenstellen zu vermitteln?

Béatrice Angrand: Ja. Also, ich glaube, was wichtig ist, ist, dass das DFJW kein Arbeitsamt wird, weil, es ist nicht unsere Aufgabe und vielleicht können wir das auch nicht machen, ich meine, technisch als Experten.

Wir sind dafür da, auch bürgerschaftliches Engagement zu unterstützen. Und die Projekte, die Jugendbegegnungen, die wir unterstützen, haben nicht unbedingt ein praktisches Ziel, sind nicht unbedingt mit einem Job verbunden. Und ich glaube, das wäre richtig gefährlich, das DFJW einfach so zu instrumentalisieren als Jobvermittler. Ich glaube, das ist nicht der Sinn der Sache. Und ich glaube, Europa braucht Jobs für die jungen Menschen, aber braucht auch ein Zusammenhaltsgefühl. Das eine darf nicht das andere ausschließen, glaube ich.

Deutschlandradio Kultur: Wie könnten Sie dann komplementär aktiv werden?

Béatrice Angrand: Genau. Und wir haben auch in der beruflichen Bildung natürlich große Erfahrungen. Und was wir anbieten können, ist, diese Erfahrungen anzubieten, die Instrumente, die wir entwickelt haben, auch zur Verfügung zu stellen. Nämlich, wenn wir in der beruflichen Bildung Projekte entweder organisieren oder unterstützen, geht es darum, dass wir Sprachkurse anbieten oder finanziell fördern, dass wir auch interkulturelle Seminare anbieten, weil, wenn ein junger Grieche in Frankreich bzw. in Deutschland, ich glaube eher, in Deutschland, weil es mehr Arbeitsplätze gibt, Fuß fassen möchte, dann soll er erst mal die Sprache kennen. Also, er muss mindestens Brot kaufen können. Aber der muss auch verstehen, wie die Deutschen ticken, wie die arbeiten, welche Werte sie auch haben. Und diese Kenntnisse kommen nicht vom Himmel und sind auch wichtig, wenn man eine gute Arbeit machen will. Es ist nicht nur eine Frage der Expertise, aber auch eine Frage der persönlichen Kompetenzen.

Das ist sicherlich ein Bereich, wo das DFJW eine große Erfahrung hat, die wir anderen zur Verfügung stellen können.

Deutschlandradio Kultur: Also, Sie könnten jetzt komplementär bei dem Gesamtproblem Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa dafür sorgen, dass die Anpassung der jungen Menschen aus anderen Ländern in Deutschland oder Frankreich besser funktioniert. Aber Sie würden sich nicht in der Rolle des Jobvermittlers sehen?

Béatrice Angrand: Genau. Also, es ist wichtig, dass wir unsere Besonderheit behalten, aber auch dass wir tätig werden, wo es brennt sozusagen, wo die jungen Menschen uns brauchen – ohne unsere DNA zu verlieren.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben gesagt, wo es brennt, müssen Sie tätig werden. Und es hat ja im Jahre 2005 gebrannt in den Banlieues in den Vororten, in den Ghettos der französischen Großstädte. Und das Deutsch-Französische Jugendwerk hat ja daraufhin ein Projekt entwickelt "Clichy sous Bois", das war ja damals das Zentrum der Unruhen, "und Neukölln". Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. Welche Lehren haben Sie gezogen? Und wird es weitere solche Projekte im Sinne einer Integration und einer Absorption oder eines Befassens mit marginalisierten Bevölkerungsschichten geben?

Béatrice Angrand: Die Lehre, die wir daraus ziehen, ist, dass die deutsch-französischen Beziehungen bei Weitem noch nicht erschöpft ist, also dass man noch vieles, vieles, vieles von dem anderen lernen kann. Ich denke zum Beispiel an Polizisten, deutsche und französische, die sich getroffen haben. Die haben sich am Anfang so stark gestritten, ich habe gedacht, die werden sich zusammenschlagen, weil der andere meinte, man muss stark sein, Disziplin einfordern.

Deutschlandradio Kultur: War das der Franzose?

Béatrice Angrand: Der Franzose. Und der deutsche Polizist war eher wie ein Sozialpädagoge. Also, es war richtig ein interkultureller Schock. Am Anfang war es auch super hart zwischen den beiden. Und dadurch, dass sie sich auch mehrmals getroffen haben, haben sie sich auch besser verstanden und haben zum Schluss gesagt: Ja, wir haben sehr viel gelernt von dem anderen und auch ganz konkrete Maßnahmen, konkrete Ideen, die wir in unserem beruflichen Alltag umsetzen können. – Das ist die erste Lehre.

Die zweite ist, dass wir bald fertig sind mit der Veröffentlichung einer Dokumentation, wo wir auch best practices aus diesem Projekt veröffentlichen werden. Und die Publikation wird auch anderen Trägern dazu dienen, deutsch-französische Projekte in diesem Feld zu entwickeln.

Wir haben auch vor, ein neues Projekt mit diesem Ziel auch, also Integration und Chancengleichheit zu starten vielleicht zwischen Marseilles und Hamburg. Ich glaube, das würde sehr, sehr viel bringen.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, die neue Ausrichtung nach 50 Jahren erfolgreicher Arbeit der Jugendbegegnung geht mehr in diese Richtung, dass man Integration vorantreiben will, aber auch jetzt berufliche Integration mit Blick auf das Problem der Jugendarbeitslosigkeit. – Welche anderen Ziele haben Sie sich gesetzt für die nächsten Jahre?

Béatrice Angrand: Ein wichtiges Ziel ist, dass man immer wieder darauf achtet, dass alle Zielgruppen auch an deutsch-französischen Jugendbegegnungen teilnehmen können, also nicht nur die jungen Menschen, die Deutsch bzw. Französisch an der Schule haben, nicht nur diejenigen, die sehr gut an der Schule sind, aber auch alle eigentlich. Das ist etwas, was wir in den letzten Jahren angeschoben haben, aber wir sollten das noch stärker entwickeln – Erweiterung der Zielgruppe.

Der zweite Punkt ist, worauf Sie mich auch vorhin angesprochen haben, eigentlich uns auf unseren Mehrwert zu konzentrieren. (Was macht uns eigen?) Das ist die Fähigkeit, durch die Instrumente, die wir entwickeln, pädagogische, sprachliche Instrumente, aber auch Aus- und Fortbildung der Trainer, der Lehrer, dass man das Projektträgern zur Verfügung stellt, damit sie selbst auch ihre Projekte entwickeln können, dass wir richtig an der Seite von Trägern sind, damit sie sich auch interkulturell entwickeln können und vielleicht nicht nur im Deutsch-Französischen, sondern auch, dass sie die Ergebnisse dieser interkulturellen Arbeit der letzten 50 Jahre auch vielleicht für andere Maßnahmen mitnehmen können – Armenien, Türkei, wie ich auch vorhin sagte, in den Balkan, aber auch warum nicht in Deutschland, Deutsche mit Türken, oder in Frankreich Araber mit Franzosen.

Das ist ein wichtiger Punkt, weil, wir können nicht alles machen. Was für uns wichtig ist, ist die interkulturelle Arbeit.

Deutschlandradio Kultur: Dennoch noch mal ein bisschen zugespitzt: Es gibt sicher viele Leute, die sich fragen: Was kann das Deutsch-Französische Jugendwerk leisten, was zum Beispiel eine Billigfluglinie zwischen Paris und Berlin für den Kulturaustausch nicht leisten kann? Es ist ja sehr bekannt, dass die jungen Franzosen gerne nach Berlin kommen. Und das ist wohl eine der besten Arten des Kulturaustauschs. Und was Tokio-Hotel als Stimulator zum Deutschlernen geschafft hat, das haben vielleicht das Deutsch-Französische Jugendwerk und das Goethe-Institut in 50 Jahren nicht geschafft. Also, worin liegt Ihre Existenzberechtigung?

Béatrice Angrand: Ich glaube, ein wichtiger Punkt für die Zukunft wird auch sein, noch mal die Sprache, das Erlernen der Sprache zu unterstützen. Und da gibt’s sehr viel zu machen, nicht nur an Schulen, weil eigentlich, wir können nicht die Rolle der Länder beziehungsweise der education nationale ersetzen, aber vielleicht im außerschulischen Bereich auch. Dass wir durch unsere Instrumente, Sprachanimation, aber Sprachkurse online, dass wir richtig das Erlernen der Sprache auch immer wieder fördern, ist ein wichtiger Punkt.

Ich glaube nicht, dass die französische Sprache beziehungsweise die deutsche Sprache ein Auslaufmodell sind. Das heißt nicht, dass man sich nur im Englischen unterhält. Wenn man eine tiefgreifende, warum nicht eine intime Beziehung haben möchte, dann ist es wichtig, auch die Sprache des anderen zu können.

Und ich glaube, damit haben wir noch sehr viel zu tun. Und ich glaube, wir müssen auch nie aufgeben. Das heißt, das DFJW unterstützt, fördert kein Tourismusprojekt. Das DFJW ermöglicht, dass Träger aus der Schule, aus der Hochschule, aus der beruflichen Bildung, aus Jugendklubs gute, aber auch langjährige Projekte entwickeln.

Und es geht nicht darum, dass man sich zwei Tage Berlin anschaut. Es geht darum, dass man Spaß an der Begegnung hat, aber indem man über den anderen, aber auch über sich selbst vieles erfährt und lernt. Und das ist, glaube ich, ein wichtiger Punkt.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben ja Ihr Geburtstagsgeschenk schon bekommen. Die beiden Regierungen haben beschlossen, das Budget nach 50 Jahren zum ersten Mal um zehn Prozent, also, um zwei Millionen Euro etwa, aufzustocken.
Was wünschen Sie sich noch zum Geburtstag? Und wie werden Sie diesen Geburtstag begehen nächste Woche?

Béatrice Angrand: Wir haben viel Glück. Wir haben viele finanzielle Partner auch zum ersten Mal überzeugen können, dass sie an unserer Seite finanziell stehen. Mit diesem zusätzlichen Geld aus der privaten Sphäre haben wir zwei schöne Projekte gestalten können. Das eine ist ein offizieller Festakt in Paris in der Maison de la Mutualité und eine öffentliche Veranstaltung, eine große Veranstaltung, wozu ich alle nach Paris einlade, Place de la République, wo wir ein deutsch-französisches Dorf anbieten werden am Nachmittag des 6. Juli und am Abend verschiedene Konzerte von jungen Talenten aus Deutschland und Frankreich, aber sehr berühmte Stimmen.

Was ich mir wünsche für die Zukunft: die Politik an der Seite des DFJW, eine Politik, die die Sprachförderung unterstützt. Ich glaube, das ist immer wichtig. Ich wünsche mir eine Kanzlerin, einen französischen Präsident, der je französisch bzw. deutsch spricht. Ich wünsche mir das Aufblühen der Städtepartnerschaften. Ich glaube, da auf diesem Terrain kann sehr viel passieren, auch von früh an für junge Menschen, auch für Kinder.
Und was ich mir auch wünsche, ist: weniger Mobilitätshindernisse, wie man sagt, das heißt, weniger Probleme, konkrete Probleme für Träger, die Jugendbegegnungen organisieren wollen.

Und eine interessante Piste wäre für mich ein gemeinsames Vereinswesen, Vereinsstatut für die Vereine in Frankreich und in Deutschland. Ich glaube, das würde die Zusammenarbeit sehr viel erleichtern.

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