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Ex-CIA-Agent packt aus

Glenn L. Carle, hochrangiger Regierungsberater und langjähriger CIA-Agent erzählt in seinem Buch "Interrogator" über seine Arbeit als Vernehmer in den Geheimgefängnissen der CIA. In den USA wurde es als großes Enthüllungsbuch gefeiert. Allerdings bleibt er teilweise aufgrund des CIA-Zensors recht vage.

Von Daniel Blum | 26.03.2012
    Wer hätte gedacht, dass Hollywoodklischees manchmal so nahe an der Realität sein können? Dieser Eindruck zumindest drängt sich auf, wenn der Ex-CIA-Agent sein Verhör eines Terrorverdächtigen beschreibt:

    "Ich bin ein amerikanischer Geheimdienstoffizier. Ich bin von der CIA." Ich sah ihn einen Moment lang schweigend an.
    "Die CIA hat Sie entführt und hergebracht. Wissen Sie, was die CIA ist?" CAPTUS nickte. "Wir haben Sie über längere Zeit hinweg beobachtet. Wir wissen alles über Sie. Wir wissen viele Dinge. Wir haben beschlossen, dass es an der Zeit ist, Ihre Arbeit mit Al-Quaida zu beenden."


    Im Spätherbst 2002 erhielt Glenn L. Carle den Auftrag, einen arabischen Geschäftsmann zu verhören, angeblich ein hochrangiger Al-Quaida-Kader. Einen Job, auf den sich der erfahrene CIA-Agent freute – wie er schreibt, vor allem aus Idealismus, in dem Bewusstsein, einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Terror zu leisten. CAPTUS, so der CIA-Codename des Inhaftierten, war in einem Geheimgefängnis bei einer befreundeten Macht eingesperrt worden. Außerhalb des Radarschirms der Weltöffentlichkeit, rechtlos, hilflos. Carle macht ihm im Verhör klar, dass dessen Schicksal in seinen Händen liegt.

    "CIA-Agenten reisen nicht um die Welt, um ihre Zeit zu verschwenden. Sie werden meine Zeit nicht verschwenden, denn ich werde wissen, ob Sie meine Zeit verschwenden, und dann werde ich sehr wütend werden. Und es wird nicht angenehm für Sie sein, wenn Sie mich oder meine Vorgesetzten wütend machen."

    Andeutungen machte er nicht nur gegenüber seinem Gefangenen. Auch in seinem Buch hält er vieles im Vagen – notgedrungen. Carle ist zwar längst kein Agent der CIA mehr, ihm könnte aber auch noch nach seinem Ausscheiden eine Anklage wegen Geheimnisverrats drohen: Deshalb überließ er das Buchmanuskript vor der Veröffentlichung seinem früheren Arbeitgeber zur Durchsicht. Zwei Jahre dauerte der "Clearing"-Prozess, in dem das Manuskript wechselseitig immer und immer wieder redigiert wurde. In seiner Endfassung enthält der Text viele schwarze Balken, die dokumentieren, dass Carle gerne noch mehr gesagt, noch präziser seine Innensicht des Anti-Terror-Kampfes vorgetragen hätte. Erstaunlich schnell gelang es Journalisten, nachdem das Buch im Sommer 2011 in den USA veröffentlicht wurde, die kryptischen Andeutungen zu dechiffrieren. Ihre Rechercheergebnisse fasst der Lektor der deutschen Ausgabe, Frank Strickstrock vom Rowohlt-Verlag, in einem Nachwort wie folgt zusammen:

    "Der etwa 45-jährige Paschtune Haji Pacha Wazir, ein afghanischer Staatsbürger, ist eine Art Privatbankier, ein geachteter Mann. (...) Ein solches informelles Kapitaltransfersystem (...) zieht auch Kunden an, die in der Illegalität operieren, Kriminelle zum Beispiel – oder Terroristen. (...) Die CIA ist davon überzeugt, eine Schlüsselfigur des Terrors gefangen zu haben. (...) Für sie ist Wazir nicht mehr und nicht weniger als der Bankier Bin Ladens."

    Was der CIA-Agent möglichst schnell aus CAPTUS herauspressen soll. Der "Interrogator" setzt auf maßvollen Druck und möchte den Gefangenen von einer Zusammenarbeit überzeugen. Doch seiner Zentrale geht das nicht schnell genug. Gegen Carles Rat wird CAPTUS aus dem Geheimnisgefängnis in Marokko in ein anderes in Afghanistan gebracht, in das berüchtigte "Hotel California", wie es die CIA zynisch nennt. Hier ist CAPTUS Tag und Nacht Dauerbeschallung ausgesetzt, Schlafentzug, Kälte, Isolation. Qualen, die ihn weichkochen sollen für die anschließenden Verhöre. In Hollywoodfiktionen wird Gewalt gerne ästhetisch zelebriert, als Sinnenschmaus serviert; CIA-Agent Carle hingegen hat das reale Leiden seines Gefangenen ernüchtert und deprimiert, wie er bei einer Buchpräsentation bei der New America Foundation berichtet:

    "Das ist keine Geschichte über Action und Kühnheit, auch wenn Sicherheitskräfte darin vorkommen und Schusswaffen, Flugzeuge, Verhöre, Verhörtechniken – all das ist drin. Aber ich habe dieses Buch nicht geschrieben, um diese Dinge in den Mittelpunkt zu stellen. Mein eigentliches Thema ist: Was haben wir uns bei dieser Sache selber angetan - und wie ist es dazu gekommen? Und noch wichtiger: Wie sollen wir jetzt damit umgehen?"

    Stilistisch setzt Carles Buch keine Glanzlichter. Seine Sätze wirken bisweilen arg verschachtelt. Bei Detailbeschreibungen müht sich Carle oft angestrengt um Genauigkeit, bleibt dann wieder an anderer Stelle allzu vage - notgedrungen, weil ihm der CIA-Zensor nicht mehr erlaubte. Doch kann man dem behördlichen Lektorat kaum in die Schuhe schieben, dass der Text in Gänze nicht aus einem Guss erscheint: Unverbunden stehen reportagehafte Reiseepisoden neben flammenden ethischen Appellen und nüchternen Ablaufprotokollen. Ein herausragender Literat ist Carle nicht – aber als Kronzeuge sticht er hervor. Von Bedeutung ist das Buch nicht dadurch, wie Carle schreibt, sondern was. Die Schreibtischtäter in der Zentrale ordneten die Gewaltexzesse gegen CAPTUS an, obwohl Carle ihn für unschuldig hielt und seine Vorgesetzten in Telegrammen beschwor, den Mann nicht quälen zu lassen. Es dauerte sechs Jahre, bis sich die Bürokraten ihren Irrtum eingestanden und CAPTUS alias Wazir auf freien Fuß setzten. Wie weit Carle im Detail an der Folter seines Gefangenen beteiligt war, bleibt durch die Schwärzungen des Manuskripts im Dunkeln. Doch klar wird, welche Konsequenz er daraus zieht: Durch Folter Informationen erpressen zu wollen, dient nicht der Wahrheitsfindung und ist nicht zu rechtfertigen – auch nicht durch den viel beschworenen "Kampf gegen den Terror".

    Glenn L. Carle: "Interrogator. In den Verhörkellern der CIA", Rowohlt Verlag, 448 Seiten, 22,95 Euro, ISBN: 978-3-498-00941-0