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Franziska Brantner (Grüne) zu sicheren Herkunftsländern
"Man gaukelt den Menschen vor, man würde etwas ändern"

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner hofft, dass sich die baden-württembergische Landesregierung bei der Abstimmung über die Einstufung der Maghrebstaaten zu sicheren Herkunftsländern im Bundesrat enthält. Das Problem werde durch diese Einstufung nämlich nicht behoben, sondern die eigentliche Aufgabe vertuscht, sagte Brantner im DLF.

Franziska Brantner im Gespräch mit Christiane Kaess | 09.06.2016
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    DIe Grünen-Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner (Deutschlandradio)
    Die Grünen-Politikerin aus Baden-Württemberg forderte Bundesinnenminister Thomas de Maizière auf, endlich mit Algerien, Marokko und Tunesien über eine bessere Rückführung abgelehnter Asylbewerber zu verhandeln. Dass diese trotz negativer Bescheide weiter in Deutschland blieben, stelle nämlich die eigentliche Schwierigkeit dar, betonte Brantner. Sie werde durch das neue Gesetz aber nicht behoben. "Das ist ja das Trügerische, dass man den Menschen vorgaukelt, dass man an der echten Schwiergkeit mit diesem Label 'sichere Herkunftstaaten' etwas ändern würde."
    Brantner betonte, dass die Grünen Algerien, Marokko und Tunesien nicht für sichere Herkunftsländer halten. Sie äußerte deshalb die Hoffnung, dass sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) für Baden-Württemberg bei der Abstimmung im Bundesrat enthalten wird. Das wäre "ein großer Erfolg und ein starkes Signal", sagte sie. Sollte Kretschmann zustimmen, rechnet Brantner allerdings auch nicht mit größeren Verwerfungen: "Die Partei ist ansonsten so geschlossen, dass ich nicht das Gefühl habe, dass uns das auseinander dividieren würde."

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Die Abstimmung im Bundesrat am Freitag in einer Woche wird darüber entscheiden, ob aus Tunesien, Marokko und Algerien tatsächlich aus deutscher Sicht sogenannte sichere Herkunftsstaaten werden, in die Asylbewerber dann schneller abgeschoben werden können als bisher. Die Grünen sind dagegen. Um das Gesetz scheitern zu lassen, müssten mindestens drei große Länder mit grüner Regierungsbeteiligung im Bundesrat dagegenstimmen. Äußerungen, die einer klaren Absage gleichkommen, gibt es bereits aus Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, das meldet die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" heute. Die Begründung: Journalisten, Blogger, Frauen und Homosexuelle sind in Nordafrika immer wieder Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt. Noch nicht entschieden haben sich die Grünen in Baden-Württemberg, aber der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat Bedenken. Katharina Hamberger berichtet .
    Katharina Hamberger berichtete aus Berlin, und darüber sprechen möchte ich jetzt mit Franziska Brantner, sie ist grüne Bundestagsabgeordnete, und ihr Wahlkreis liegt in Baden-Württemberg. Guten Tag, Frau Brantner!
    Franziska Brantner: Guten Tag, Frau Kaess!
    Kaess: Ihr Tipp – wie wird sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann entscheiden?
    Brantner: Ich hoffe, dass wir am Ende als Baden-Württemberger uns dann enthalten. Das wir ja bestimmt eine schwierige Entscheidung, aber ich hoffe, dass die Grünen jetzt auch gerade noch mal angesichts der Antworten aus dem Auswärtigen Amt, die gerade von Ihrer Kollegin auch zitiert wurden, wirklich noch mal deutlich macht, Herr Kretschmann auch deutlich macht, dass eben in diesen Ländern nicht die Gegebenheiten vor Ort sind, dass man diese Länder zu sicheren Herkunftsländern definieren kann. Ich hoffe, dass diese Hürden, die uns das Verfassungsgericht uns auch gegeben hat und Gesetzgebern, sei es im Bund oder im Land, auch wirklich das Kriterium ist, was am Ende jetzt dann zählt.
    Enthaltung Baden-Württembergs wäre Erfolg
    Kaess: Aber eine Enthaltung wäre ja keine Positionierung in diesem Sinne.
    Brantner: Es würde deutlich machen, dass die Koalitionspartner unterschiedliche Positionen haben. Ich glaube, die Aussicht, dass wir die CDU davon überzeugen, dagegen zu stimmen, ist relativ gering. Ich glaube, es wäre für uns schon ein großer Erfolg, wenn wir das hinbekommen könnten, uns dann als Land zu enthalten. Das ist ja das übliche Verfahren, wenn sich die Koalitionspartner nicht einig sind, dass man sich dann enthält. Von daher wäre das schon ein starkes Signal, um zu zeigen, wir Grünen sind da sehr skeptisch und sehen, wie im Koalitionsvertrag auch vorgesehen, die verfassungsrechtlichen Kriterien eben nicht erfüllt.
    Kaess: Wenn Kretschmann zustimmt, weil schon genügend andere Länder mit grüner Regierungsbeteiligung das Gesetz scheitern lassen, verzeiht ihm die Partei dann?
    Brantner: Ich glaube gar nicht, dass es jetzt eine Parteifrage ist, sondern es ist eine Frage wirklich der Verantwortung, die er als auch Ministerpräsident hat.
    Kaess: Das ist auch eine Positionierung der Grünen in dieser Frage.
    Brantner: Es ist eine Positionierung der Grünen, und die ist auch wichtig, aber ich finde es auch schwierig, wirklich das darauf zu reduzieren. Ich glaube, bei uns Grünen gab es zum Beispiel jetzt auch in der Bundestagsfraktion an sich keine Unstimmigkeiten darüber, wie bei den letzten Abstimmungen, dass diese drei Länder wirklich nicht sicher sind. Da waren wir uns alle wirklich sehr klar darüber, und es war immer nur die Frage, wie jetzt verhandelt wird, ob man zum Beispiel rechtzeitig schon neue Mechanismen anstoßen kann, ob das überhaupt noch verfolgt wird auch von der Regierungsseite her. Von daher, ich glaube, es wäre natürlich ein gutes Signal, aber andererseits ist die Partei da auch ansonsten jetzt so geschlossen, dass ich nicht das Gefühl habe, dass das ansonsten uns auseinanderdividieren würde.
    Es darf kein Willkürakt geben
    Kaess: Frau Brantner, eine Frage habe ich noch zu Baden-Württemberg: Im Stuttgarter Staatsministerium, da heißt es, im Gespräch mit dem Außenministerium hätten die auf grüner Seite bestehenden Bedenken nicht entkräftet werden können. Wie hätten die denn entkräftet werden können, denn die Länder sind ja nun mal so wie sie sind, und das wusste auch Herr Kretschmann, der hätte ja gleich absagen können und nicht erst die Landtagswahlen abwarten können?
    Brantner: Ich finde schon, dass man da auch Verfahren einhalten muss und dass das Auswärtige Amt auch in der Pflicht ist, auch für die gesamte Regierung und jetzt nicht für ein Bundesland diese Situation in den Ländern auch öffentlich darzulegen. Von daher fand ich das absolut richtig, dass unsere Landesregierung aus Baden-Württemberg das immer eingefordert hat und immer gesagt hat, es ist hier kein Willkürakt, den wir hier treffen, ob ein Land sicher ist oder nicht, sondern es muss irgendwie faktenbasiert sein und das Auswärtige Amt auch in die Pflicht zu nehmen, diese Fakten auch mal zu liefern. Darum ging es uns, und das fand ich die absolut richtige Forderung. Wir können doch nicht zu tun, als ob wir als Bundestag, nur weil wir jetzt sagen, das ist ein sicheres Land, sich irgendwas in diesen Ländern ändert und die von heute auf morgen sicher sind.
    Das darf nicht zum Willkürakt werden, es muss irgendeine Faktengrundlage geben, und das Auswärtige Amt hatte sich da bis jetzt einen relativ schlanken Fuß gemacht, und die jetzt in die Pflicht zu nehmen und zu sagen, ihr müsst das schon besser zumindest hintermauern, und wenn ihr das nicht könnt, dann können wir eben auch nicht zustimmen. Ich glaube, diese Leichtigkeit, mit der man darüber entscheidet, die unterschätzt auch durchaus, was das für eine außenpolitische Wirkung hat in diese Länder hinein. Gerade nach Algerien, wo wir wirklich einen Polizeistaat haben, der aber jetzt sagen kann gegenüber seinen Menschenrechtsverteidigern, wieso, für Deutschland sind wir sicher. Das darf man nicht leicht entscheiden.
    Kaess: Jetzt sagen die Grünen, Journalisten, Blogger, Frauen und Homosexuelle sind in den Maghreb-Staaten nicht sicher. Was haben die zu tun mit den Männern, die in der Kölner Silvesternacht Frauen massiv sexuell belästigt haben?
    Brantner: Ich sage mal, die haben gemeinsam, dass sie aus einem Land kommen. Die Frage ist, ob man deswegen diesen Menschen, die verfolgt werden, generell, wenn sie dann nach Deutschland kommen und Asyl beantragen, sie in ein beschnittenes Verfahrensrecht reinsteckt oder ob man sagt, die Verfahrensrechte an sich bleiben für alle behalten. Unser grüner Vorschlag ist, jetzt zu sagen, wir bearbeiten diese Verfahren schneller, aber nicht die Verfahrensrechte zu beschneiden, nur weil es Einzelne gibt, die in Deutschland sich vielleicht falsch verhalten haben und darauf das nicht zurückzuführen, dass andere deswegen weniger Rechte haben.
    Kaess: Ja, aber Frau Brantner, Sie wissen ja auch, dass vor dem Hintergrund der Einwanderung im letzten Jahr und dann eben diesen Vorfällen in der Kölner Silvesternacht auch ein großer Teil der Bevölkerung eben gerade eine Verschärfung des Asylrechts für nötig hält. Wie erklären Sie denen, dass Sie dagegen sind?
    Brantner: Ich kann denen sehr gut erklären, dass, was Sie ja auch gerade definiert haben zum Beispiel mit der Kölner Situation, eher die Frage ist der Rückführungen, dass diese Menschen, auch wenn sie zum Beispiel den Stempel bekommen, sie haben kein Anrecht auf Asyl in Deutschland, in Deutschland meistens bleiben, weil zum Beispiel Marokko oder auch Algerien, Tunesien diese Menschen gar nicht zurücknimmt.
    An der echten Schwierigkeit ändert sich nicht
    Kaess: Und genau das soll jetzt geändert mit diesem neuen Gesetz.
    Brantner: Nee, das neue Gesetz ändert daran gar nichts. Das neue Gesetz ändert nur, dass die Einspruchsfristen kürzer sind dieser Menschen im Asylverfahren, aber wenn hinterher der Stempel draufkommt, vielleicht kommt der zwei, drei Wochen schneller drauf, dann werden die genauso deswegen nicht schneller oder weniger schneller oder kürzer abgeschoben in diese Länder. Daran ändert sich gar nichts.
    Das ist ja das Trügerische, dass man den Menschen vorgaukelt, dass man daran, an der echten Schwierigkeit, die es ja gibt, etwas ändern würde mit diesem Label sichere Herkunftsstaaten, aber daran ändert sich nichts. Herr de Maizière hätte eigentlich diese Aufgabe, mit den Marokkanern besser zu verhandeln, mit den Tunesiern, mit den Algeriern, um zum Beispiel diese Rückführung endlich hinzubekommen, und das ist die Hauptaufgabe, und die wird dadurch vertuscht, dass man, sage ich mal, selber einfach diese Länder als sicher deklariert. Das ändert, sage ich mal, an der wirklichen Schwierigkeit, die unsere Länder und Kommunen auch haben, nichts.
    Kaess: Ich habe noch immer nicht verstanden, warum, wenn Blockaden aus dem Weg geräumt werden, es trotzdem bei er gleichen schwierigen Situation bleiben sollte.
    Brantner: Also weil die sicheren Herkunftsverfahren, die sind ja nur für die Frage, wie schnell ein Verfahren läuft im Sinne von wie viel Zeit hat man, bevor man zum Beispiel Einspruch gegen eine Entscheidung einlegen kann, dass man abgewiesen wird. Dann gibt es Beschneidungen in den Grundrechten. Die führen dann im besten Fall dazu, dass es vielleicht schneller zu einer endgültigen Entscheidung darüber kommt, ob ein Tunesier abgeschoben werden soll oder nicht. Der zweite Schritt …
    Kaess: Und dann kann auch schneller abgeschoben werden.
    Brantner: Das hängt dann davon ab, ob die Tunesier ihm ein Passersatzdokument ausstellen, ob sie ihn zurücknehmen, welche Flugzeuge er benutzen darf. Mit Marokko haben wir das absurde Verhältnis, dass Marokko die nur zurückakzeptiert, wenn sie in marokkanischen Flügen fliegen – pro Woche vier Plätze, das sind dann die ganz konkreten schwierigen Dinge –, und keine Pässe ausstellen zum Beispiel für ihre Marokkaner, die dann verhindern, dass die Personen, selbst wenn sie den rechtskräftigen Entscheid haben, dieser Tunesier, Algerier, Marokkaner ist abzuschieben, es dann noch längst deswegen nicht umgesetzt werden kann.
    Diese Probleme der Praxis, die erfordern Verhandlungen mit diesen drei Ländern, werden aber nicht behoben durch eine Gesetzesänderung von unserer Seite, die diese Länder als sicher deklariert. Das ist das, worum es uns ja auch geht, dass wir sagen, es soll schnelle durchaus Verfahren geben, aber keine Rechtsbeschneidung und andererseits wirklich daran gearbeitet werden muss, dass die Rückführung, de facto Rückführung dann auch stattfinden kann.
    Kaess: Sagt Franziska Brantner, sie ist grüne Bundestagsabgeordnete, und wir haben über das neue Gesetz gesprochen. Dankeschön für dieses Gespräch heute Mittag, Frau Brantner!
    Brantner: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.