Buchverfilmung "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"

Judith Kerrs Klassiker als rührseliges Gefühlskino

04:49 Minuten
Szene aus der Buchverfilmung "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl".
Abschied vom Vater am Bahnhof: Judith Kerrs lakonischer Ton fehlt in der Verfilmung ihres Kinder- und Jugendbuchs "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl". © Warner Bros.
Von Christian Berndt · 23.12.2019
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In dem Kinderbuch "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" erzählt Judith Kerr von der Flucht einer jüdischen Familie vor den Nazis. Die oscarprämierte Regisseurin Caroline Link hat den Klassiker nun verfilmt – leider allzu rührselig.
"Woher weiß Hitler denn, dass Papa ihn nicht leiden kann? – Jeder weiß das. Euer Vater schreibt seine Meinung sehr deutlich in der Zeitung."
Berlin im März 1933. Die Mutter hat der neunjährigen Anna und ihrem zwei Jahre älteren Bruder Max gerade eröffnet, dass ihr Vater in der Nacht das Land verlassen hat. Er wollte das Ergebnis der Reichstagswahlen zwei Tage später nicht erst abwarten.
"Wenn Hitler gewinnt, dann fahren wir zu Papa nach Prag. – Ich will hier aber nicht weg" – heißt es weiter im Film. Aber Hitler gewinnt die Wahlen, und die Familie kommt gerade noch rechtzeitig in die Schweiz.

Judith Kerrs Fluchterfahrungen

Die gleichnamige Verfilmung des Kinderbuchklassikers "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" von Judith Kerr erzählt aus Sicht der neunjährigen Anna vom bitteren Los des Exils. Die Schriftstellerin und Tochter des stilprägenden Theaterkritikers Alfred Kerr verarbeitete in dem 1971 erschienenen Roman die eigenen Emigrationserfahrungen.
"Ich hätte nie solche Bücher geschrieben, wenn wir nicht Flüchtlinge gewesen wären. Ich wollte das für meine Kinder schreiben, wie das damals war, und auch, um an meine Eltern zu erinnern. Meine Kinder haben sie kaum gekannt." So Judith Kerr kurz vor ihrem Tod in London, wo sie seit 1935 gelebt hatte.

Verfilmung nah am Roman

In der Familie des Romans sind unschwer die Kerrs zu erkennen. Oscarpreisträgerin Caroline Link hält sich in ihrer Verfilmung inhaltlich eng an den Roman, in dem die ersten Exiljahre der jüdischen Familie beschrieben werden. Nach der überstürzten Abreise aus Berlin trifft sich die Familie in Zürich, aber weil bald das Geld knapp wird, geht es aufs Land – und die aufgeweckte Großstadtpflanze Anna muss sich in der Dorfschule völlig umgewöhnen.
"Was hab ich denn falsch gemacht?" fragt Anna, als dort über sie gelacht wird: Sie ist durch den Mittelgang des Klassenraums gegangen, der den Jungs vorbehalten ist. Kuriose Fremdheitserfahrungen wie diese sind im Roman mit Witz erzählt, der Film übernimmt vieles textgetreu. Anna hat Heimweh nach Berlin, der Vater versucht humorvoll, den Kindern ihr Los zu erleichtern.
"Macht es Dir nichts aus, Flüchtling zu sein? – Doch, aber ich finde es auch ganz interessant. Wer weiß, wo wir an Deinem 11. Geburtstag sind?"
Die Eltern geben sich größte Mühe, ihre Kinder die existenzielle und finanzielle Not nicht zu stark spüren zu lassen – der Roman vermittelt viel von der rührenden Selbstlosigkeit der liberalen Eltern. Langsam gewöhnen sich die Kinder an das neue Leben, obwohl es unsicher bleibt.

Die Kerrs als moderne Kleinfamilie

Gerade als Anna sich eingelebt hat, zieht die Familie nach Paris, weil die Schweizer Zeitungen aus Furcht vor deutschen Reaktionen die Artikel des Vaters nicht veröffentlichen. In Paris ist die Umstellung noch schwieriger, weil die Kinder kein Wort Französisch sprechen und ihnen auch hier Antisemitismus entgegenschlägt. Aber wie im Buch zeigt der Film die ersten Jahre des Exils auch als Abenteuer.
"Mein Bruder und ich waren uns immer einig darin – wenn Hitler nicht gekommen wäre und wir wären in Berlin geblieben, dann wäre das nicht halb so gut gewesen. Und an einem Abend schauten mein Vater und ich aus dem Fenster und man sah all die Lichter von Paris, und da habe ich anscheinend gesagt: Ist es nicht herrlich, Flüchtling zu sein?", erinnerte sich Judith Kerr.
Alfred Kerr und seine Familie auf einem Foto, das um 1928 aufgenommen wurde. Von links nach rechts Michael Kerr auf dem Schoß von Theaterkritiker Alfred Kerr, seinem Vater; Kerrs zweite Frau Julia, die Tochter Anna Judith, die später "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" schrieb.
Alfred Kerr, seine zweite Frau Julie und die Kinder Michael und Judith im Jahr 1928. Der Vater, ein großbürgerlicher Intellektueller, ist im Film nicht wiederzuerkennen.© picture-alliance / akg-images
Die Entbehrungen des Exils sind im Buch oft aus heiterer Sicht beschrieben, das Grauen vermittelt sich eher indirekt. Etwa, als jemand beim Nachmittagskaffee von einem Professor erzählt, der im KZ in eine Hundehütte gesteckt wurde. Anna ist so schockiert, dass sie kein Wort mehr herausbringt. Judith Kerr gelingt es, mit Leichtigkeit zu erzählen und trotzdem den ernsten Hintergrund immer durchschimmern zu lassen.
Leider setzt Caroline Link den lakonischen Ton in Rührseligkeit um. Das zeigt sich besonders in der Schilderung der engen Familienbindung: Im Film sind die Kerrs eine moderne Kleinfamilie, in der es sehr emotional zugeht. Der großbürgerliche Intellektuelle Alfred Kerr ist in dem cool-hemdsärmeligen Vater nicht wiederzuerkennen. Dem großartigen Buch wird der gefühlige Film bei aller Texttreue kaum gerecht.
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