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Ein Jahr nach dem Mord an Jan Kuciak
Investigativ-Ressorts laufen auf Hochtouren

Vor einem Jahr wurden der slowakische Investigativ-Reporter Jan Kuciak und seine Verlobte ermordet. Als eine Ursache sehen viele den verrohten Umgang mit Journalisten. Doch das Bewusstsein hat sich in weiten Teilen der Bevölkerung verändert - ebenso wie die Arbeit in den Redaktionen.

Von Kilian Kirchgessner | 21.02.2019
In den Redaktionsräumen von Aktuality.sk erinnert ein Plakat an Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova
In den Redaktionsräumen von "Aktuality.sk" erinnert ein Plakat an Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova. (Deutschlandfunk/ Kilian Kirchgeßner)
An Tiefschläge haben sie sich schon lange gewöhnt, die slowakischen Journalisten – aber jene Äußerung des damaligen Premierministers Robert Fico hatte eine besondere Qualität. Auf einer Pressekonferenz sagte er in die Mikrofone: "Sie informieren nicht, sie kämpfen gegen diese Regierung. Und deshalb gestatten Sie mir bitte den Ausdruck, den ich sehr ruhig ausspreche: Einige von Ihnen sind schmutzige, anti-slowakische Prostituierte!"
Das war lange vor dem Mord an Jan Kuciak, aber auch wegen solcher Äußerungen seien Journalisten in weiten Teilen der Gesellschaft zum Feindbild geworden, der Mord sei so etwas wie die Konsequenz daraus gewesen, sagt Tibor Macak. Er ist Redakteur beim slowakischen Rundfunk und Generalsekretär des Journalistenverbands AEJ.
"Das hat sicher zur Atmosphäre beigetragen, die hier im Land herrschte. Es waren Korruptionsfälle aufgedeckt worden, an denen unser Kollege Jan Kuciak gearbeitet hatte und die reichten bis nach ganz oben, bis zur Beraterin des Premierministers, die eine sehr enge Beziehung zu ihm hatte und auch zur Mafia."
Besserer Umgang mit Journalisten
Der Premierminister Robert Fico ist inzwischen zurückgetreten. Zu laut wurden die Rufe in der slowakischen Gesellschaft nach einer politischen Erneuerung. Viele der zehntausend Demonstranten, die damals auf die Straße gingen, forderten auch einen besseren Umgang der Politiker mit Journalisten – auch und gerade mit denen, die kritische Fragen stellen.
Jetzt, ein Jahr nach dem Mord an Jan Kuciak, seien tatsächlich Verbesserungen zu spüren, urteilt Tibor Macak.
"Insgesamt denke ich, dass sich die Position von Journalisten in der Öffentlichkeit geändert hat. Ein solcher brutaler Mord hinterlässt Spuren in der Gesellschaft. Der neue Premierminister Peter Pellegrini hat zwar auch keine besondere Vorliebe für Journalisten, aber er geht vorsichtiger und umsichtiger mit ihnen um als sein Vorgänger."
Das liegt auch daran, dass die Gesellschaft sensibler geworden ist für die Rolle von Journalisten, die zuvor offen der Verachtung preisgegeben waren.
"Journalisten sind aktiviert worden"
Bemerkenswert sei aber noch eine zweite Entwicklung, die nach dem Mord an Jan Kuciak in den slowakischen Medien eingesetzt hat, sagt Tibor Macak: "Falls jemand Journalisten einschüchtern wollte, dann ist es ihm nicht gelungen. Im Gegenteil: Die Journalisten sind regelrecht aktiviert worden. Unser Bemühen ist es, wie es immer so schön heißt, die Wachhunde der Demokratie zu sein."
Das zeichnete sich schon früh nach dem Mord ab.
Ein Großraumbüro an einer Ausfallstraße in Bratislava, hier sitzt die Redaktion von "Aktuality.sk", dem Online-Medium, für das Jan Kuciak gearbeitet hatte. Der Mord, sagt Chefredakteur Peter Bardy, habe die journalistische Arbeit seiner Kollegen komplett auf den Kopf gestellt.
"Wir haben uns komplett verändert, die ganze Zeitung. Wir hatten vorher ein dreiköpfiges Investigativ-Team. Nach Jans Mord sind wir zu einem regelrechten investigativen Knotenpunkt geworden. Die, die vorher für Gesellschaftsthemen zuständig waren, für Bildung oder für Wirtschaft – sie alle haben ihre eigenen Themen zur Seite gelegt. Sie lernen, wie man mit offenen Quellen arbeiten kann, wie man Datenbanken analysiert, und wir alle recherchieren zusammen unseren großen Fall."
Zusammenarbeit in Recherche-Pools
Der große Fall – das war damals und ist auch heute noch die Verstrickung von Unterwelt-Größen mit Politik und Justiz. Um diesen Seilschaften auf die Spur zu kommen, arbeiten slowakische Journalisten heute besser zusammen als früher – etwa im Sinne von Recherche-Pools.
Peter Bardy: "Wir haben gemerkt, dass wir nicht immer die ersten, die exklusivsten sein müssen mit einer Nachricht. Manchmal ist es besser zusammenzuarbeiten – allein dafür, dass wir uns gegenseitig schützen. Ich habe sogar den Eindruck, dass die Medien verantwortungsvoller ihre Themen auswählen; manche Beiträge werden nicht mehr gekürzt, nicht mehr boulevardisiert, es geht stärker um die reinen Fakten."
Tatsächlich laufen die Investigativ-Ressorts der Zeitungen seit dem Mord an Jan Kuciak auf Hochtouren.
"Recherchen werden ignoriert"
Eines aber ist noch nicht gelungen – das, was Chefredakteur Peter Bardy schon im vergangenen Jahr beklagte: "Man arbeitet an einem Fall, der wasserdicht dargestellt wird. Man deckt einige Skandale in einer solchen Detailschärfe auf, dass die Staatsanwaltschaft unsere Recherchen gleich als Anklageschrift verwenden könnte. Und dann merken Sie auf einmal, dass niemand reagiert. Die Betreffenden ignorieren das Thema einfach oder fangen an, die Dinge zu verharmlosen. Die Frustration, dass sich die Dinge nicht zum Besseren ändern, ist furchtbar groß."
Wenn nicht nur die Journalisten, sondern auch die Ermittlungsbehörden ihre Konsequenzen aus dem Mord ziehen würden, dann habe Jan Kuciaks Tod zumindest EINEN Sinn gehabt, sagt Peter Bardy.