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Geplantes Referendum
"Wir können der griechischen Regierung dankbar sein"

"Als deutsche Steuerzahler können wir der griechischen Regierung nur dankbar sein, dass sie dieses Paket abgelehnt hat," sagte Sahra Wagenknecht, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, im DLF. Das Paket hätte nichts gebracht, sagte sie weiter. Millionen von Steuergeldern wären nach Griechenland geflossen, um alte Schulden zu bezahlen.

Sahra Wagenknecht im Gespräch mit Sandra Schulz | 29.06.2015
    Sahra Wagenknecht im Bundestag
    Sahra Wagenknecht: Stellvertetende Fraktionsvorsitzende der Links-Partei (picture alliance/dpa/Bernd Von Jutrczenka)
    Im Interview mit dem Deutschlandfunk verteidigte die stellvertretende Fraktionschefin der Linken, Sahra Wagenknecht, die Entscheidung des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras, ein weiteres Hilfspaket abzulehnen. Man habe ihm keine andere Chance gelassen, so Wagenknecht. Scharf kritisierte sie die Bedingungen, die an das Investitionsprogramm der EU für Griechenland geknüpft waren. Wagenknecht: Die von der EU geforderte Erhöhung der Mehrwertsteuer um zehn Prozentpunkte hätte massive Auswirkungen auf die griechische Wirtschaft. Die Einnahmen könnten sogar noch geringer als zuvor werden. Auch weiteren Rentenkürzungen könne die Regierung nicht zustimmen.
    Bei den Verhandlungen sei es am Ende nicht darum gegangen, was Griechenland vorschlage, sagte Wagenknecht. "Griechenland hatte nur die Option Ja oder Nein zu sagen." Weiter kritisierte sie die Sparpolitik der EU: "Das Programm hat die Schulden erhöht. Dieses Programm fortzusetzen wäre verantwortungslos."

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Das ist natürlich ein vielsagendes Detail: Allein der Geldautomat im griechischen Parlament musste am Wochenende dreimal nachgefüllt werden. Das berichtet die „Süddeutsche Zeitung". Vielleicht waren das nur Oppositionspolitiker; vielleicht wollten aber auch nicht nur die finanziell retten, was zu retten ist, nachdem am Samstag die Verhandlungen mit der Eurogruppe um eine Verlängerung des Hilfsprogramms wieder im Nichts endeten. Die Verunsicherung in Athen, die ist ganz erheblich.
    Am Telefon ist jetzt Sahra Wagenknecht, Fraktionsvize der Partei Die Linke im Bundestag, eventuell ab Herbst auch ohne Vize. Guten Morgen.
    Sahra Wagenknecht: Guten Morgen.
    Schulz: Frau Wagenknecht, Die Linke hat immer wieder betont, wie eng ihre Drähte zur Syriza sind. Verstehen Sie Alexis Tsipras?
    Wagenknecht: Das Problem ist, man hat ihm ja keine Chance gelassen, und letztlich können wir auch als deutsche Steuerzahlerinnen und Steuerzahler der griechischen Regierung nur dankbar sein, dass sie dieses Paket abgelehnt haben, was ihnen die Institutionen vorgeschlagen haben, weil das hätte bedeutet, dass die ganze Tragödie nur in eine Verlängerung geht. Natürlich ist das dramatisch, was sich dort jetzt in Athen abspielt, und das ist eine sehr, sehr schwierige Situation. Aber man muss sehen: Das Land ist seit 2010 pleite und seit 2010 wird diese Situation dadurch verschleiert, dass man neue Kredite gibt, um alte Schulden zu bezahlen, und das mit Auflagen verbindet, die das Land immer ärmer gemacht haben.
    "Tsipras hat verantwortungsvoll gehandelt"
    Schulz: Wieso hatte Alexis Tsipras denn keine Chance, oder keine andere Chance, wie Sie sagen? Wer oder was hat ihn gezwungen, das Referendum ganz überraschend anzusetzen in der Nacht auf Samstag?
    Wagenknecht: Ja gut, er hätte ja eine andere oder zwei andere Möglichkeiten gehabt. Er hätte von sich aus sagen können, er lehnt das Programm ab, ohne die Bevölkerung zu fragen. Das ist natürlich bei so einer existenziellen Situation, finde ich, schwierig. Ich finde, es spricht für ihn, dass er sagt, er will die Bevölkerung befragen. Und die zweite Variante wäre gewesen, er nimmt das Paket an, was ihm die Institutionen vorgeschlagen haben. Das hätte bedeutet, noch mal Milliarden an Steuergeld wäre nach Griechenland geflossen, aber nicht ins Land, um dort irgendetwas aufzubauen, sondern ausschließlich, um alte Schulden zu bezahlen, und das wäre verbunden gewesen mit Auflagen wie einer weiteren Mehrwertsteuererhöhung, weiteren Rentenkürzungen, die mit Sicherheit das ganze Drama der letzten Jahre fortgesetzt hätten. Das heißt, die Nachfrage wäre noch mal abgewürgt worden, die Wirtschaft wäre weiter eingebrochen, also es hätte nichts gebracht.
    Wir wären dann in einem halben Jahr oder in einem Jahr wieder an dem Punkt gewesen, an dem wir jetzt heute stehen, und insoweit finde ich es verantwortungsvoll, dass er es abgelehnt hat, und ich muss sagen, ich würde mir eine Bundesregierung wünschen, die öfter mal die eigene Bevölkerung befragt in wichtigen Fragen, zum Beispiel auch jetzt, ob man denn überhaupt bereit gewesen wäre, für so eine völlig gescheiterte Politik noch einmal Steuermilliarden freizugeben, weil das ist ja unser Geld auch, was dort fließen sollte.
    Schulz: Für so was haben wir ja den Bundestag, Frau Wagenknecht. Aber lassen Sie uns noch mal bei der wirtschaftlichen Lage bleiben. Es hatte auf den letzten Metern offenbar ein Angebot gegeben von Angela Merkel und Francois Hollande über ein Investitionsprogramm von 35 Milliarden Euro. Hätte das die griechische Regierung nicht annehmen müssen?
    "Investitionen ohne Bedingungen wären richtig gewesen"
    Wagenknecht: Ja wenn es nur das Investitionsprogramm gewesen wäre, dann hätte sie das sicherlich angenommen. Nur dieses Angebot - und es war auch nicht ganz klar, ob das wirklich 35 Milliarden sind -, es war mindestens verknüpft mit dieser drastischen Mehrwertsteuererhöhung. Und wir wissen auch aus anderen Ländern: Wenn man die Mehrwertsteuer erhöht - und da ging es nicht um ein oder zwei Prozentpunkte, da ging es um zehn Prozentpunkte -, dann hat das auf die Wirtschaft eine extrem negative Auswirkung, weil die Leute einfach weniger kaufen. Oft sind die einnahmen am Ende sogar geringer, weil der negative Effekt die Einnahmeeffekte überwiegt. Das wäre eine der Bedingungen gewesen.
    Die zweite Bedingung wäre gewesen, nochmals die Renten zu kürzen, und da muss man einfach wissen: In Griechenland gibt es ja kein funktionierendes Sozialsystem. Die ganze Familie lebt oft ausschließlich von dem Einkommen der Rentner, weil es keine Arbeitslosenversicherung gibt. Die Renten sind schon dramatisch gekürzt worden in den letzten Jahren. Das hätte die Regierung unmöglich unterschreiben können, ohne sich im eigenen Land völlig ihre Glaubwürdigkeit zu ruinieren.
    Schulz: Und warum hat die Regierung das andere große Thema nicht angegangen, das sie ja auch versprochen hatte, nämlich Steuererhöhungen für die wohlhabenderen Familien?
    Wagenknecht: Ja, das verstehe ich auch nicht ganz, warum sie in der Richtung nicht deutlichere Schritte gegangen ist. Ich denke, man muss sagen, wenn Griechenland sich wieder erholt, dann braucht es eine Entflechtung der Wirtschaft. Die haben ja eine unglaublich monopolisierte Wirtschaft in den Händen weniger Familien. Und dann braucht es natürlich eine Vermögensabgabe zulasten dieser wirklich Reichen, die in der ganzen Krise immer noch reicher geworden sind.
    Allerdings muss man auch sehen: Die Regierung hatte zumindest in einigen Punkten - sie wollte zum Beispiel Unternehmen mit über 500.000 Euro Gewinn stärker belasten - solche Vorschläge. Ausgerechnet das ist dann wiederum von den Institutionen zurückgewiesen worden. Sie hat ja ein Angebot gemacht, wo durchaus stärkere Belastung der Reichen drin war, nicht zureichend, finde ich, aber immerhin drin war, und das ist abgelehnt worden. Das ist natürlich auch ein Problem. Man hat dies ja nie zur Auflage gemacht, endlich mal die Reichen in Griechenland zur Kasse zu bitten.
    "Griechen hatten nur Ja-Nein-Option"
    Schulz: Aber, Frau Wagenknecht, wenn Sie mir jetzt auch sagen, das verstehen Sie eigentlich nicht, warum die griechische Regierung das nicht in Angriff genommen hat, dann stimmt die Zuspitzung, die jetzt von der Parteispitze der Linken kommt, die nämlich die Schuld und die Verantwortung bei Angela Merkel abladen will, auch nicht ganz, oder?
    Wagenknecht: Gut, am Ende ging es ja gar nicht darum, was Griechenland vorschlägt, sondern die Institutionen haben ein letztes Angebot, so haben sie es ja genannt, gemacht und die griechische Regierung hatte eigentlich nur die Option, Ja zu sagen oder Nein. Es ging gar nicht mehr darum, ob die griechische Regierung Gegenvorschläge macht. Es ging gar nicht darum, ob sie andere Varianten hat, auf ein ähnliches Volumen an zusätzlichen Einnahmen zu kommen. Das hat sie ja teilweise zumindest gemacht. Sondern es war nur noch die Frage, nehmen sie das an oder nehmen sie es nicht an. Und hier muss man wirklich sagen, es ist entsetzlich, wie man nach fünf Jahren gescheiterter Politik in Griechenland, die die Wirtschaft ruiniert hat, die das Land verarmt hat, die die Arbeitslosigkeit hochgetrieben hat, wie man dann immer noch an diesem Konzept festhalten kann. Weil das, was man jetzt von Griechenland verlangt hat, das passiert ja seit fünf Jahren.
    Seit fünf Jahren werden ja die Renten gekürzt, seit fünf Jahren werden die Löhne gekürzt. Es hat in keiner Weise die Schulden vermindert, sondern die Schulden sind ja heute viel höher noch als damals, als man mit der angeblichen Rettung Griechenlands begonnen hat. Und dieses Programm fortzusetzen, da muss ich schon sagen, auch von der Bundesregierung, das wäre absolut verantwortungslos nicht nur gegenüber Griechenland, auch gegenüber den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern hier, die das ja alles hätten bezahlen müssen.
    "Einige Euro-Staaten haben linker Alternative keine Chance gegeben"
    Schulz: Frau Wagenknecht, das ist ja alles, auch immer wieder gesagt, von den anderen Euro-Ländern, von den Geberländern ganz anders gesehen worden. Ich möchte jetzt gerne noch auf einen Punkt mit Ihnen zu sprechen kommen. Die Situation in Griechenland ist ja jetzt so, wie sie ist. Die Lage ist ernster denn je, die Staatspleite ist näher denn je. Fühlen sich damit jetzt nicht alle im Recht, die schon immer gesagt haben, die Linken, die können es halt nicht?
    Wagenknecht: Ich finde, das ist spürbar das Bestreben einiger zumindest Euro-Staaten gewesen, genau das vorzuführen, dass eine linke Regierung es nicht kann, beziehungsweise dass eine linke Alternative keine Chance hat. Das hat man natürlich in den Verhandlungen auch gespürt. Da war teilweise zumindest gar nicht der Wille da, zu einer wirklich sinnvollen Übereinkunft zu kommen, sondern man hat von vornherein versucht, mit bestimmten Forderungen, von denen man wusste, dass diese Regierung sie nicht annehmen kann, die auch wirtschaftspolitisch unsinnig waren, Kürzungsdiktaten - - Die Verhandlungen, finde ich, hat man regelrecht versucht, auch zum Scheitern zu bringen, um vorzuführen, dass diese Regierung scheitert, und das ist auch gegenüber Europa natürlich völlig verantwortungslos. Ich finde, es gäbe ein sinnvolles Konzept für Griechenland. Das Konzept wäre zu investieren, aufzubauen und nicht länger die Wirtschaft zu ruinieren. Das Konzept wäre natürlich auch Vermögensabgabe. Insoweit gibt es ein Konzept, aber das haben die Euroländer nie verfochten und nie vertreten.
    Schulz: Sahra Wagenknecht, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Bundestag und hier heute Morgen bei uns in den „Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank Ihnen.
    Wagenknecht: Sehr gerne. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.