Gegen das Totschweigen des Unrechts

26.10.2011
Seit März ist Roland Jahn Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Bei Ch. Links ist jetzt eine Biografie über ihn erschienen, geschrieben hat sie Gerald Praschl. Es ist sein viertes Buch zu zeitgeschichtlichen Themen.
Zum DDR-Bürgerrechtler wird man nicht geboren, man wird dazu gemacht: Diesen Schluss legt die Biografie von Roland Jahn nahe, der seit wenigen Monaten der Stasi-Unterlagenbehörde vorsteht. Als Junge war Roland Jahn wie viele seiner Altersgenossen FDJ-Mitglied und wollte dazu gehören, ohne eine ausgeprägte politische Haltung zu haben. "Ein typischer Ossi: die Jugend in Jena", so ist eines der ersten Kapitel dieses Buches betitelt.

Als er dann in Jena studierte, erlebte er, dass zwei Kommilitonen aus politischen Gründen zwangsexmatrikuliert wurden. Jahn allerdings schwieg damals noch zu diesen Vorfällen. Wenig später folgte die Ausbürgerung Wolf Biermanns. In dieser Zeit begann Jahn auf Distanz zum SED-Regime zu gehen, verkehrte mehr und mehr in oppositionellen Kreisen, veranstaltete eigene Protestaktionen und wurde 1982 erstmals verhaftet. Er ließ sich aber nicht einschüchtern, war unnachgiebiger als viele andere Bürgerrechtler, verweigerte bei den Vernehmungen konsequent die Aussage und setzte den Widerstand fort, sobald er aus dem Gefängnis entlassen wurde.

1983 wurde er gegen seinen Willen ausgebürgert. In Westberlin setzte er den Kampf um Bürgerrechte und Demokratie in seiner früheren Heimat fort. Trotz weiterer Bespitzelung durch die Stasi gelang es ihm, zu einem Verbindungsmann zwischen der DDR-Opposition und den Unterstützern im Westen zu werden. Erst war Jahn Zuträger von Informationen für westdeutsche Medien, doch langsam wuchs er in diese Arbeit hinein und wurde schließlich selbst Journalist.

Dabei macht Jahns Biograf klar: Auch wenn er zumindest am Anfang für eine Reform der DDR von innen kämpfte, wurde er letztlich doch einer ihrer Totengräber. Das Buch dokumentiert die historische Bedeutung dieses Mannes, der von der Staatssicherheit als einer ihrer schlimmsten Feinde und Kopf einer Agenten-Verschwörung angesehen wurde: Konsequent bereitete Jahn der DDR-Opposition über Westmedien eine Bühne und verhalf ihr dadurch zu notwendigem Schutz.

Zum anderen versorgte er seine Gesinnungsfreunde mit westlichen Medien. Auch eine Kamera schickte Jahn in seine alte Heimat, mit der vieles dokumentiert und in ARD und ZDF ausgestrahlt wurde. Insbesondere die Montagsdemonstration am 9.Oktober 1989: Es sind die Bilder "seines" Kamerateams von einem Kirchturm in Leipzig, die einen Tag später aller Welt kundtaten, wie groß der Protest tatsächlich war.

Auch nach der Wiedervereinigung blieb Jahn der Bürgerrechtler, der für Wahrheit und Gerechtigkeit kämpfte - gegen Seilschaften von Stasi-Funktionären und Altkader. Während viele Bürgerrechtler nach 1989/90 kaum Karriere gemacht haben, war Jahn ein erfolgreicher Journalist - nicht zuletzt, weil er schon vor 1989 im Westen Fuß fassen konnte.

Gerald Praschl beschreibt Roland Jahn als einen außerordentlich aufrichtigen und geradlinigen Menschen, der nach 1989 nicht auf Rache sann, sondern sich für Gerechtigkeit einsetzte und gegen das Totschweigen des geschehenen Unrechts kämpfte.

Praschls Jahn-Biografie hinterlässt allerdings beim Leser einen zwiespältigen Eindruck: Trotz erkennbar umfangreicher Recherche fehlt dem Autor der persönliche Draht zur Hauptperson. Ein Kleist-Biograf kann seine Hauptperson natürlich nicht mehr befragen - aber ein Jahn-Biograf? Obwohl viele wörtliche Zitate eingestreut sind, entsteht der Eindruck, dass der Autor nie persönlich Kontakt mit Jahn gehabt hat. Sein Text liest sich nur wie die journalistische Nacherzählung eines fleißig zusammengetragenen Stoffs.

Besprochen von Stefan May

Gerald Praschl: Roland Jahn - ein Rebell als Behördenchef
Ch. Links Verlag, Berlin 2011
240 Seiten, 19,90 Euro
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