Bauern in der französischen Literatur

Ein Abgesang auf eine traditionelle Lebensform

56:58 Minuten
Zwei Bauern unterhalten sich auf dem Viehmarkt in Brion in der Auvergne. Sie tragen beide Schiebermütze und bäuerliche Kleidung.
Wie aus der Zeit gefallen: Frankreichs Bauern halten archaische Ideale hoch und verlieren ihre Identität, so heißt es zumindest in der zeitgenössischen Literatur. © Picture Alliance / dpa / akg images / Yvan Travert
Von Sigrid Brinkmann · 06.09.2020
Audio herunterladen
Die Bauern sterben aus. Glaubt man französischen Romanen, sind die Landwirte zwischen Elsass und Atlantik zum Untergang verurteilt. Sie reagieren mit archaischer Gewalt und schrecken auch vor Mord nicht zurück.
Schon Honoré de Balzac und Émile Zola erzählen von Bauern, die ihre Familien in den Abgrund stürzen. Und viel später schreibt Jean Giono, einzig Hass und Neid verbänden die Familien, die im 20. Jahrhundert von der Landwirtschaft lebten.
Das Ansehen der französischen Bauern ist, glaubt man der französischen Literatur, desolat. Die einen gelten als Umweltvergifter und Insektentöter, die anderen werden als professionelle Tierquäler verdächtigt.
Die bäuerliche Existenzform weckt Ängste, auch Mitleid, sie erzeugt gar apokalyptische Visionen. Rohe Kräfte wirken im Umgang mit dem Vieh, das manchmal weniger animalisch erscheint als der Mensch, der es quält und verwertet.

Anachronistische Lebensformen

In den Romanen und Erzählungen von Marie-Hélène Lafon, Richard Millet, Jean-Baptiste Del Amo und Cécile Coulon wird die Rauheit der Sitten auf dem Land gezeigt. In den entlegenen Gebieten des französischen Zentralmassivs oder des Elsass lassen einsame alternde Männer und Frauen ihren destruktiven Trieben freien Lauf. Sie verharren auf verfallenden Höfen und klammern sich an eine anachronistische Lebensform.
Starrsinnig und bankrott, bigott und brutal lassen sie nichts und niemanden gelten, halten stolz und verbohrt an ihrer selbst verschuldeten Isolation fest. Sie reißen auch die Jüngeren mit in den Abgrund. Ihre Bindung an die Landschaft ist nostalgisch. Wer den Hof verkaufen will, wird schnell mal den Schweinen zum Fraß vorgeworfen, wer das Dorf verlässt, gilt als Abtrünniger und wird Opfer kollektiver Gewalt.

Litanei des Untergangs

Die zeitgenössische Prosa über das Leben der Bauern erzählt von kleinen ländlichen Gemeinschaften voller Heuchelei. Als Charakterstärke gilt die Fähigkeit, das Leid der Tiere zu ertragen, nicht, es zu beenden.
Von den Verhältnissen jenseits der Hofgrenzen nehmen die Bauern keine Notiz. Denn sie wissen, dass sie die letzten Indianer sind. Voller Resignation, in die Ecke gedrängt von Profitinteressen und Produktionszwängen halten sie archaische Ideale hoch und verlieren ihre Identität.
Die Bücher der zwischen 1953 und 1981 geborenen Autorinnen und Autoren stimmen eine Litanei des Untergangs an. Sie sind ein kraftvoller Abgesang auf die Agonie bäuerlicher Kleinfamilien und die krankhaften Fantasien frustrierter Dörfler.

Es sprechen: Frank Arnold, Bettina Kurth, Cornelia Schönwald, Max Urlacher und Sigrid Brinkmann
Ton: Alexander Brennecke
Regie: Clarisse Cossais
Redaktion: Carsten Hueck

Das Manuskript der Sendung können Sie hier herunterladen.
Mehr zum Thema