Galizien

Vergangenes Land, das in seinen Mythen lebt

Straße in der westukrainischen Stadt Lviv (Lemberg)
Straße in der westukrainischen Stadt Lviv (Lemberg) © dpa / picture alliance / Markiian Lyseiko
Von Arkadiusz Luba |
Das habsburgische Galizien gibt es nicht mehr – und doch existiert es in Erinnerung vieler Völker, die einst dazugehörten. Wie sehen die Polen, die Ukrainer und die Juden diese Landschaft? Dem „Mythos Galizien“ widmet sich nun eine Ausstellung in Krakau.
Johann Strauß Jr.: „Du und Du“, Walzer op. 367: Welch‘ eine majestätische Musik, dieser Wiener Walzer!
Genauso majestätisch wurde Franz Josef auf dem Bild „Der Kaiser auf einem Ball im Lemberger Rathaus“ von Juliusz Kossak festgehalten: Umgeben von tanzenden noblen Damen und Herren, sitzt er auf einem prachtvollen Thron – ein reifer, bereits ergrauter Mann mit einem gutmütigen und beruhigenden Blick, voll väterlicher Sorge.
In Folge der ersten Teilung Polens 1772 wurden das Südpolen und die Westukraine von Wien annektiert und zum Kronland Galizien ernannt. Die Inspektionsreisen des Kaisers in Galizien und dessen Hauptstadt Lemberg als Teile der Habsburger Monarchie waren daher etwas Normales.
Erinnerungen wie diese sind heute noch sehr lebendig, sagt Żanna Komar, die Kuratorin der Ausstellung „Mythos Galizien“:
„Galizien verkörpert eine komplizierte Beziehung zwischen Zeit und Raum, da diese manchmal real, manchmal imaginär sind. Die Geschichten, die wir uns erzählen, entfalten sich völlig unterschiedlich. So sind auch verschiedene Mythen entstanden, da die Erzählperspektiven verschieden waren.“
„Die Mutter des Staates Israel“
Für die Polen war die Teilung eine nationale Tragödie. Für die Ukrainer der Wiederaufbau ihrer nationalen Identität. Der ukrainische Ort Halytsch, im Mittelalter Sitz der Könige, gab in seiner lateinischen Übersetzung Galizien seinen Namen.
Was die Namen betrifft, spielt Galizien auch eine wichtige politische Bedeutung für die Juden, betont Professor Jacek Purchla, Initiator der Ausstellung. Daran werden die galizischen Juden erkannt:
„Das war die Mutter des Staates Israel, aber auch das Symbol des Holocausts. Mutter Israels, da viele galizische Juden dorthin ausgewandert sind. Erkennen kann man sie an den von kaiserlichen Dekreten vergebenen Familiennamen wie Rosenzweig oder Feldblum.“
Die meisten galizischen Juden dominierten den Handel. Auch dank Erdöl und Eisenbahn avancierte die ärmste Provinz der Habsburger Monarchie schnell zu einer wohlhabenden Gegend. Joseph II. von Habsburg sah Galizien als Kolonie, das Land sollte Wien komplett untergeordnet werden. Dank seines späteren Nachfolgers Franz Josef, genoss Galizien ein halbes Jahrhundert später einen gewissen Autonomiestatus. Die Bevölkerung schätzte die Stabilität und die Glaubwürdigkeit des Staatsapparats. Im Gegensatz zu den preußischen und russischen Teilungsgebieten war hier zum Beispiel Polnisch erlaubt.
So glaubten die Polen, dass der Weg zu ihrer Unabhängigkeit über Wien führe. Galizien spielte in der Tat eine wichtige Rolle, als Polen 1918 wieder unabhängig wurde. Der Historiker Krzysztof Zamorski:
„Von dort kamen Beamte für die neue Staatsverwaltung und Professoren für die Universitäten, aber auch ein modernes Zivilgesetzbuch. Der größte Erfolg der zweiten Republik Polen war es, einen homogenen Staat geschaffen zu haben, ohne eine Region besonders hervorgehoben zu haben.“
Symbolische Bedeutung für die Ukrainer
Für die Ukrainer hat Galizien dagegen vor allem eine symbolische Bedeutung, sagt Professor Mykoła Riabczuk, Literatur- und Kulturwissenschaftler aus Kiew:
„Der westliche Teil der Ukraine ist sicherlich europäisch. Man streitet über die anderen Teile des Landes, Brüssel, Paris und Moskau meinen, sie gehören nicht zu Europa. Keiner stellt jedoch den europäischen Charakter der galizischen Ukraine in Frage.“
Das bestätigen auch die Bilder in der Ausstellung. Sie zeigen Altbauten und Mietshäuser, die auch in Wien oder Berlin zu finden wären, mit Cafés und ihren bürgerlichen Besuchern. Der kulturelle Raum der Innenstadt des heutigen Lwiw ist eher habsburgisch und magdeburgisch, weit weg vom sozialistischen Realismus der Sowjetunion entfernt.
„Die westukrainische Jugend ist in dieser Atmosphäre großgeworden, war von dieser Art Architektur umgeben, lebte in und mit der Café-Kultur. Das hat diese Jugend stark geprägt, deswegen fühlt sie sich auch mit Westeuropa verbunden.“
Erklärt die Kuratorin, Żanna Komar.
Der Mythos Galizien ist heutzutage daher am meisten in der Ukraine lebendig, ergänzt Professor Jacek Purchla:
„Schon Maria Theresa stachelte die ukrainischen nationalen Hoffnungen an. Es ist kein Zufall, dass unsere Ausstellung mit dem Majdan endet.“
Der Mythos dieses paradoxen Landes hat überlebt
Die letzte ukrainische Revolution machte deutlich, dass sich ein Großteil der Ukrainer in seiner langen Tradition immer noch westlich orientiert und sich von Russland abgrenzen will. Das bestätigen Ausstellungsbilder mit Majdan-Demonstranten, die proeuropäische Transparente halten. Ikonen, wie zum Beispiel die Personifizierung des ukrainischen Ortes Halytsch in einer goldenen Rüstung, mit einem Schwert in der Hand, stärken auch das nationale Gefühl. Damit identifizieren sich wohl heute die proeuropäischen Kämpfer der Ukraine.
Der „gebrochene“, feindselig klingelnde Walzer von Maurice Ravel ist eine musikalische Metapher auf das Ende einer Epoche. Diese bunte, vielfältige Welt verschwand mit dem zweiten Weltkrieg, der dieses multikulturelle Amalgam zerstörte.
Die 150-jährige Geschichte Galiziens ist nun seit hundert Jahren Vergangenheit. Doch der Mythos dieses paradoxen Landes hat überlebt – in Israel, in Polen und in der Ukraine.
Die Ausstellung „Mythos Galizien“ im Internationalen Kulturzentrum in Krakau ist bis zum 8. März 2015 zu sehen. Danach im Wien Museum.