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Tunesien
NGOs fürchten Folgen des Anti-Terror-Kampfes

Die tunesische Regierung bemüht sich, eine deutliche Antwort auf den Terror zu finden. Doch dieser harten Haltung fallen am Ende die Menschenrechte zum Opfer, klagen Aktivisten von Nichtregierungsorganisationen vor Ort, die nun selbst unter Verdacht geraten.

Von Jens Borchers | 07.05.2016
    Die algerische Flagge
    Die algerische Flagge (imago)
    Es klingt fast irrwitzig, aber in Tunesien fühlen sich Menschenrechtsorganisationen gezwungen, klar zu machen, dass sie gegen Terroranschläge sind. "Nein zum Terrorismus", sagen deshalb prominente tunesische Schauspieler, Musiker und eben die Menschenrechtler selbst in einem Videospot. Und fügen dann an: "Ja zu den Menschenrechten!"
    Es ist eine öffentliche Kampagne, die versucht, Missverständnisse zu klären. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch sehen sich in der tunesischen Öffentlichkeit zunehmend unter Druck, sagt die Leiterin der tunesischen Sektion, Emna Guellali:
    "Wir haben festgestellt, dass die Menschenrechtsorganisationen nach jedem Attentat beschuldigt werden. In der Öffentlichkeit wird die Auffassung, man sollte die Menschenrechte im Kampf gegen den Terrorismus nicht respektieren, immer dominanter."
    "Die Menschen verschließen die Augen vor dem Missbrauch der Macht"
    Den Menschenrechtlern wird vorgeworfen, den Terrorismus gewissermaßen zu verharmlosen. Eben durch ihre Forderungen, auch im Kampf gegen Terroristen rechtsstaatliche Mittel anzuwenden. Und zwar nur rechtsstaatliche Mittel. Keine Folter, keine Schläge, keine willkürlichen Verhaftungen. Gabriele Reiter von der Organisation gegen Folter weiß, dass sich viele Tunesier nach mehr Sicherheit sehnen:
    "Die Menschen wollen, dass die Ordnungskräfte mehr Macht bekommen. Damit es mehr Stabilität und Sicherheit gibt. Aber sie verschließen ein bisschen die Augen vor dem Missbrauch dieser Macht. Sie denken nicht daran, dass sie das auch selbst treffen kann."
    Houssem Hamdi hat schon erlebt, wie so etwas ganz normale Bürger treffen kann. Eines Tages kamen Polizisten zu seiner Wohnung und suchten nach ihm. Die Nachbarn konnten nicht weiterhelfen, wurden aber natürlich aufmerksam. Hamdi war arbeiten. Als er tags darauf aufs Polizeirevier ging, hielten ihn die Beamten den ganzen Tag fest und fragten: "Betest Du, ja oder nein?" "Warum reist Du so viel ins Ausland?" "Wovon lebst Du?" Am Ende des Tages sagten die Polizisten, das sei alles nur Routine gewesen. Kurz darauf wollte Houssem verreisen.
    "Ich sollte damals beruflich nach Ägypten fliegen und wurde am Flughafen zehn Stunden festgehalten. Dann kam ein Fax mit der Erlaubnis, zu reisen. Ich bin dann am nächsten Morgen geflogen. Als ich zurückkam, wieder das gleiche. Sie haben mich befragt. Und ich saß den ganzen Tag am Flughafen, sie haben die Antiterroreinheit gerufen."
    Terrorverdacht kann zu Misshandlungen führen
    Houssem Hamdi stand auf irgendeiner Liste. Unter dem Verdacht, eine Bedrohung für den Staat zu sein. Nach monatelangem Hin und Her ist er mittlerweile von der Liste gestrichen. Hamdis Fall ist relativ harmlos. Die Menschenrechtsorganisationen in Tunesien sprechen von breit angelegten Hausdurchsuchungen. Davon, dass immer mehr Unschuldige in den Gefängnissen landen. Von Misshandlungen ist die Rede. Mit der Kampagne "Nein zum Terrorismus - Ja zu den Menschenrechten" wollen sie jetzt versuchen, klarzumachen: Anti-Terror-Kampf und Menschenrechte sind kein Gegensatz.
    Um mit dieser Botschaft mittelfristig Wirkung zu erzielen, brauchen die Menschenrechtsorganisationen Unterstützung. Und zwar nicht nur von Prominenten, von Schauspielern und Musikern. Wichtiger wäre eine Zusammenarbeit mit der Regierung. Deshalb bieten die Menschenrechtsorganisationen Gespräche an. Emna Guellali von Human Rights Watch will die Kooperation mit der Regierung und den Sicherheitskräften:
    "Wir sind doch keineswegs prinzipiell Gegner", sagt Guellali. "Wir sind bereit zum Dialog mit der Regierung, mit den Gewerkschaften, mit allen anderen Kräften auch."
    Und schnell fügt die Sprecherin von Human Rights Watch noch hinzu: So ein Dialog werde natürlich nichts daran ändern, dass künftige Menschenrechtsverletzungen auch weiterhin klar und deutlich kritisiert würden. Es ist ein Drahtseilakt für die Menschenrechtsorganisationen. Und ein fast verzweifelter Versuch, weiterhin Gehör zu finden im verunsicherten Tunesien. Mit der Botschaft: "Nein zum Terrorismus - Ja zu den Menschenrechten!"