Dienstag, 30. April 2024

Archiv

Sicherheit in New York
"Wir sind ein Angriffsziel"

New York wird immer sicherer. Das sagen Bürgermeister und Polizei der Stadt. Doch es gibt nach wie vor Kriminalitäts-Hotspots, und die Metropole wird auch immer wieder zum Ziel von Terroranschlägen. Experten sehen die Sicherheitsarchitektur der Stadt kritisch.

Von Kai Clement | 30.12.2017
    Polizist und Streifenwagen in New York City
    New York hat rund 35.000 Polizisten. Doch in der Riesenstadt flächendeckend für Sicherheit zu sorgen, daran arbeitet die Polizei immer noch. (picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt)
    Dieser Anschlag galt dem Herzen Manhattans. Nicht auf dem Times Square, aber in einem unterirdischen Verbindungsgang darunter hat der mutmaßliche Terrorist seine primitive Rohrbombe gezündet. 11. Dezember 2017. New York, das sich als sicherste Großstadt der USA rühmt, ist getroffen.
    Erneut getroffen, nach einem Anschlag mit einem Kleinlaster nur sechs Wochen zuvor. Die Sicherheit der Stadt steht einmal mehr auf dem Prüfstand.
    "Die Realität hier in New York ist: Wir sind ein Ziel. Für viele, die gegen die Demokratie sind, gegen Freiheit. Wir sind ein Ziel - mit der Freiheitsstatue in unserem Hafen."
    New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo beschreibt eine Realität. Und eine Gegen-Wirklichkeit: New York habe die beste Polizei nicht nur der USA, sondern gleich des ganzen Planeten. Sagt er jedenfalls.
    Uniformiert und uninformiert
    Maki Haberfeld hat vielleicht nicht den ganzen Planeten, aber schon viel von der Welt gesehen. Gebürtig aus Polen hat sie in einer Anti-Terror-Einheit in Israel gearbeitet, später für die Drogenermittler in New York. Inzwischen ist sie Professorin an der Strafrechts-Uni John Jay College - und hilft der New Yorker Polizei bei der Ausbildung. Gerade erst ging es in ihrer Klasse um einen potenziellen Anschlag auf die U-Bahn mit verdächtigen Paketen. Vorschlag eines Polizisten, und das war kein Scherz: es mit dem Fuß wegkicken.
    Entsetzen bei der Expertin über so viel uniformierte Ahnungslosigkeit. Zugleich erkennt die Professorin an, dass New York in seinem Kampf gegen Terrorismus Fortschritte gemacht habe.
    "Vor zwei Jahren wurde eine neue Einheit geschaffen. Die Strategische-Abwehr-Gruppe. All diese Polizisten bekommen eine ganz andere Ausbildung. Sie haben andere Waffen. Sie erhalten mehr Training über den Einsatz von Gewalt. Von Waffen, zur Selbstverteidigung."
    Prominente Orte gut gesichert, andere Orte weniger
    New York sei ein Ziel für Anschläge, weil es eine Bühne der Welt ist, sagt Maki Haberfeld. Und die Polizei schicke ihre Beamten an die prominentesten Stellen dieser Bühne: den Times Square, Fifth Avenue, Rockefeller Center.
    "Es gibt Gebiete in der Stadt die sicherer sind - etwa rund um Touristenattraktionen. Aber wenn man diese hochrangigen Attraktionen hinter sich lässt, glaube ich nicht, dass die Stadt unbedingt so sicher ist, wie sie es gerne angibt.
    Brooklyn oder Bronx nennt sie, und dort vor allem Projects, eine Art sozialen Wohnungsbaus. Polizeichef James O'Neill kennt diese Gebiete natürlich - aber es gehe lediglich um ein kleines Universum von Kriminellen, so beschreibt er das:
    "Es sind nur sehr wenige, nur ein paar Tausend Leute. Wir holen sie mit Laser-Präzision von den Straßen."
    Kriminalität statistisch zurückgegangen
    Anfang Dezember haben Polizeichef und Bürgermeister Bill de Blasio zur jüngsten Pressekonferenz zur Kriminalitätsstatistik gebeten.
    "Das Fazit: Wenn die Trends bis Jahresende anhalten, dann werden unsere Einwohner das sicherste Jahr seit über einem halben Jahrhundert erlebt haben."
    Die Mordrate: gesunken. Anfang Dezember waren es 263, im Vorjahr 314. Schusswaffengebrauch um ein Viertel rückläufig. Die Kriminalität insgesamt um sieben Prozent zurückgegangen. James O’Neill zeigt sich als glücklicher Polizeichef.
    263 Morde - 1990 war es fast das Zehnfache: 2245. Professorin Haberfeld aber lässt sich auch von diesen Zahlen nicht beeindrucken. Zumindest seien sie nicht allein auf Polizeiarbeit zurückzuführen. Sondern auch auf bessere medizinische Versorgung, beispielsweise. Und erst einmal müsse ein Gerichtsmediziner einen Mord bescheinigen, bevor er dann in die Statistik gelange.
    "Das dauert. Manchmal Monate. So kann man die Zahlen verschieben. Das gilt nicht nur für New York, sondern ganz generell. Ich bin skeptisch gegenüber solchen Zahlen."
    Dezentralisierte Polizeistruktur
    35.000 Polizisten hat die Stadt. Eine Armee in Polizeiuniformen. Hinzu kommt die Nationalgarde, State Trooper, Bahnhofspolizei, und und und.
    "Ich halte nichts von dieser dezentralisierten Polizei in den USA", sagt Haberfeld. "Niemand anders kommt dem auch nur nahe. In den gesamten USA gibt es 18.000 Polizeieinheiten. Der Staat New York hat fast 600. Was man in New York erlebt, ist also nur der Bruchteil eines Bruchteils. Ich glaube nicht, dass das gut funktioniert."
    Abstimmung, Kommunikation, Zuständigkeiten - all das werde nicht einfacher.
    Zur Laser-Präzision des Polizeichefs gehören laut Maki Haberfeld drei Taktiken. Erstens: die von ihr schon genannten Anti-Terror-Einheiten. Zweitens: Ein Werben um das Vertrauen der Bürger - sie sollen die Augen der Polizei sein. Bürgermeister de Blasio will deshalb eine zugängliche Polizei, die so vielfältig wie ihre Stadt ist:
    "Wenn ein Anwohner einen Drogenumschlagort anzeigt, einen illegalen Club, illegalen Waffenbesitz. All das hilft der Polizei, mehr und mehr zu tun."
    "Wir haben so viele exzentrische Menschen"
    Und dann ist da noch der Uralt-Slogan: If you see something, say something. Wenn du etwas siehst, dann sage etwas.
    Aber - man ahnt es schon - Maki Haberland findet auch diese Polizeistrategie unzulänglich.
    "'Sag etwas, wenn du etwas siehst' - das bedeutet nichts in einer Stadt wie New York. Wir haben so viele exzentrische Menschen. Das muss genauer sein. Man muss mir genau sagen: was ist dieses 'Etwas', auf das ich achten soll."