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Asylrecht
Fauler Kompromiss?

Auch nach der umstrittenen Änderung des Asylrechts lassen sich im Alltag von Flüchtlingen immer noch bürokratische Absurditäten beobachten: So muss ein junger Eritreer im Flüchtlingsheim bleiben - obwohl er sicher bei seinen Verwandten in Frankfurt unterkommen könnte.

Von Anke Petermann | 27.11.2014
    Flüchtlinge aus Syrien auf einem Hof vor einem Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf
    Flüchtlinge aus Syrien auf einem Hof vor einem Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf (dpa / picture alliance / Britta Pedersen)
    Eine dunkelhäutige Zweijährige wieselt über den neonbeleuchteten Flur in der Ingelheimer Aufnahmestelle für Asylbewerber.
    "Morsche!"
    Jürgen Siegers, stellvertretender Leiter der der Ingelheimer Erstaufnahme, grüßt durch die Tür. Vier Flüchtlinge aus Eritrea beziehen soeben ihr Zimmer im neu aufgestellten Wohn-Container. Darin zwei Doppelstockbetten, ein Stahl-Spind, ein Tisch mit Stühlen. Der Durchgang zwischen den Betten ist ein Nadelöhr, an dem zwei Personen nicht aneinander vorbeipassen. Bett und Stuhl als Wohnfläche, ohne Privatsphäre. Simon Samson strahlt trotzdem, der 21-Jährige ist der eritreischen Militärdiktatur entronnen und froh, eine Bleibe gefunden zu haben.
    "Es ist sauber. Alles prima, auch das Essen."
    Simon hat Besuch. Rut Bahta quetscht sich an den Stockbetten vorbei zum Tisch. Die Frankfurterin eritreischer Herkunft würde ihren Vetter Simon lieber zu sich nach Hause in die Familie einladen. Mit einer Erstaufnahme im mittelhessischen Gießen hätte das funktioniert.
    "Wir sind erst mal nach Gießen gegangen, damit er in Hessen verteilt wird, weil wir in Frankfurt leben, und dann hieß es aber, es ist so voll, dass er nach Rheinland-Pfalz versetzt wird. Und deshalb kann er, während er das Asylverfahren durchläuft, wegen der Residenzpflicht nur in Rheinland-Pfalz bleiben. Das heißt, ich komme dann immer hierher und besuche ihn. Also, ihm wär's natürlich lieb, wenn er zu uns kommen könnte und uns auch. Aber es ging eben durch die bürokratischen Zustände nicht, ja.
    Begrenzte Aufhebung der Residenzpflicht
    Die sogenannte Residenzpflicht beschneidet die Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen. Kreisweit ist sie im schwarz-grünen Hessen und länger schon im rot-grünen Rheinland-Pfalz abgeschafft. Die Beschränkung der Flüchtlinge auf das Bundesland aber kann Mainz nicht im Alleingang aufheben. Über die Residenzpflicht sei Rheinland-Pfalz seit geraumer Zeit im Gespräch mit den angrenzenden Bundesländern, so die grüne Integrationsministerin Irene Alt:
    "Mit dem Ziel, dass auch die die Residenzpflicht in ihren Ländern abschaffen, damit sich die Menschen ungehindert über die Grenzen angrenzender Bundesländer bewegen können."
    Wird die Residenzpflicht wie geplant per Rechtsverordnung Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres gelockert, dürften Flüchtlinge nach drei Monaten Aufenthalt länderübergreifend pendeln. Das heißt aber nicht, dass Simon Samson dann zu seinen Verwandten nach Frankfurt ziehen kann. Es sei nämlich nicht so, weiß Pfarrer Siegfried Pick vom Arbeitskreis Asyl Rheinland-Pfalz, "dass die Flüchtlinge bundesweit jetzt Wohnsitz nehmen können. Sie bleiben da, wo sie zugewiesen sind, mit der kleinen Ausnahme, dass - wenn sie einen Job woanders finden, der ihren Lebensunterhalt sichert - dann kann geprüft werden, ob einem Umzug zugestimmt wird. Es wird weiterhin so bleiben, dass viele in die nächste Großstadt oder auch über eine Landesgrenze pendeln, aber der Umzug - das wird nicht so einfach sein."
    "I'm finishing Deutsch-Kurs."
    Arbeiten, das will Samson, sobald er Deutsch gelernt hat.
    "In Eritrea habe ich angefangen, medizinische Labortechnik zu studieren. Aber nur vier Monate, dann bin ich über Äthiopien geflohen."
    Wird der Asylkompromiss umgesetzt, kann sich Samson bald schon einen Job suchen. Existenzsichernde Arbeit zu finden, die ihm den Umzug zur Familie nach Frankfurt ermöglichen würde, dürfte ohne Zeugnisse aber schwer werden, prognostiziert Siegfried Pick vom Arbeitskreis Asyl:
    "Auf dem Papier wird natürlich die Zeit des Arbeitsverbots reduziert, es sind lediglich drei Monate. Es gibt eine Vorrangprüfung auch künftig. Das heißt, 15 Monate lang ist er der Letzte in der Schlange um einen Job, und das kann in der Praxis bedeuten, dass er überhaupt keinen Job findet."
    "Länder Europas schieben sich gegenseitig die Flüchtlinge zu"
    Die Chancen, dass Simon Asyl in Deutschland bekommt, stehen übrigens gut, weil Eritrea als Militärdiktatur ein Herkunftsland mit hohen Anerkennungsquoten ist. Allerdings hat der verhinderte Student bei seiner langen Flucht über die Kontinente auch Italien betreten. Vielleicht wird sein Asylantrag in Deutschland deshalb gar nicht angenommen. Das droht auch der jungen eritreischen Familie mit der zweijährigen Tochter im rosafarbenen Anorak. Rut Bahta übersetzt für ihren Landsmann Eyasu:
    "Er war Wehrdienstleistender in Eritrea und ist dann aus politischen Gründen geflohen. Im Sudan war er ein Jahr und vier Monate und dann eben mit seiner fünf Monate alten Tochter und seiner Frau dann weiter geflüchtet, war dann vier Monate im Gefängnis in Libyen, ist dann übers Mittelmeer nach Italien. Und in Italien war das so, dass sie dann nach einem Jahr und vier Monaten aus dem Camp entlassen und auf die Straße gesetzt wurden."
    In den sogenannten sicheren, aber mit Flüchtlingen völlig überforderten Drittstaat Italien, über den sie nach Europa eingereist sind, könnte die Familie mit Kleinkind nach fast dreijähriger Flucht abgeschoben werden.
    "Und diese Verfahren zur Rücküberstellung bedeuten, dass sich die Länder Europas sich gegenseitig die Lasten der Flüchtlinge zuschieben, auf dem Rücken der Betroffenen, die oft monatelang, manchmal auch länger als ein Jahr in dieser Unsicherheit sind und gar nicht wissen, ob sie hier angekommen sind," bemängelt Siegfried Pick. Gemeinsam mit Flüchtlingsinitiativen fordert der Bad Kreuznacher Pfarrer, das europäische Hin- und Herschieben auch traumatisierter Asylbewerber zu beenden."
    Simon Samson zieht vorerst nur von der Sammelunterkunft Ingelheim nach Bingen um, in eine Wohnung. Nur wenn die Residenzpflicht noch vor Weihnachten gelockert wird, kann der Eritreer an Heiligabend seine Verwandten in Frankfurt besuchen. Falls nicht - Pfarrer Pick kennt da noch eine Hintertür der Flüchtlingsbürokratie:
    "Wenn er sagt, ich fahre nach Frankfurt und besuche dort den Gottesdienst der eritreischen christlichen Gemeinde, dann müsste die Ausländerbehörde ihm das eigentlich erlauben, denn in Rheinland-Pfalz gibt es keine eritreischsprachige christliche Gemeinde, wo er den Weihnachtgottesdienst besuchen kann. Wenn er aber lediglich die Verwandten treffen will, dann kann die Behörde sagen: "Nein geht nicht, die sollen zu dir in den Container kommen."