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Geflüchtete in Deutschland
Das neue Selbstbewusstsein geflüchteter Frauen

In ihren Heimatländern wie Iran oder Afghanistan entrechtet und unterdrückt, lernen geflüchtete Frauen in Deutschland, sich frei zu bewegen. Mit dem Wissen der gesetzlichen Gleichstellung haben viele ein neues Selbstbewusstsein entwickelt. Für einige bedeutet das auch, das Kopftuch abzulegen.

Von Claudia van Laak | 12.02.2019
    Nina Reithmeier (als Fatima) hält während der Fotoprobe zu Dschabber im Grips Theater am Hansaplatz in Berlin ein blaues Kopftuch. Premiere war am 8. November 2018.
    Die Frigur Fatima, verkörpert von Schaupielerin Nina Reithmeier, legt im Stück "Dschabber" im Grips Theater in Berlin ihr Kopftuch ab (imago stock&people / Martin Müller)
    Jeden Dienstag treffen sie sich im Frauenbildungszentrum "Raupe und Schmetterling". Im Samowar blubbert der schwarze Tee, daneben steht ein silberner Topf mit Linsensuppe. In der Frauengruppe "Pol" – persisch für Brücke – geht es an diesem Nachmittag um die Liebe in einer freien Gesellschaft. Und um die Frage: Wie gehen Männer und Frauen miteinander um – in Deutschland, im Iran, in Afghanistan?
    "Das ist ein ganz großer Unterschied. Unsere Beziehungen, unser Verhalten wird in unseren Heimatländern ganz genau beobachtet. Ob ich mit jemandem eine Beziehung habe oder nicht und warum ich eine Beziehung zu einem Mann habe. Hier ist es kein Thema, einen Mann einfach als Freund zu haben, das ginge gar nicht im Iran oder in Afghanistan", erzählt Nastaran Mousavi.
    Die Afghanin trägt kleine Perlenohrringe, die schwarzen Haare hat sie zu einem schlichten Zopf zurückgebunden. Das Kopftuch hat Mousavi in Deutschland abgelegt. Die Frauen hier in der Gruppe haben mich dabei unterstützt, sagt sie und lächelt in die Runde.
    "Die Gesetze vermitteln den Frauen ein Gefühl von Sicherheit"
    "Im Iran und in Afghanistan kann man vieles nicht tun. Als Frau kann ich hier jede Menge Sachen machen. Hier hat man nicht das Gefühl, dass der Mann der bessere ist. Ich selber fühle mich als die Bessere."
    Elahe Mirzamohamadi nickt. Die Juristin ist mit ihrem Mann und den zwei Kindern nach Berlin gekommen, träumt davon, in Deutschland Richterin zu werden. Im Iran werden Frauen systematisch diskriminiert, erzählt sie. Ein Ehemann darf seine Frau schlagen und vergewaltigen. Er kann sich jederzeit von ihr scheiden lassen, umgekehrt gilt dieses Recht nicht. Will die Ehefrau verreisen, braucht sie eine schriftliche Erlaubnis des Ehemanns.
    "Der Punkt ist, dass man hier eine gesetzliche Unterstützung hat. Das führt dazu, dass sich hier ein Selbstbewusstsein entwickelt. Und was auch noch wichtig ist: Die Gesetze vermitteln den Frauen ein Gefühl von Sicherheit."
    All die Frauen, die schon früher in ihrer Ehe Probleme hatten, sie stellen jetzt fest, dass sie hier mehr Rechte haben, und sie stellen fest, dass die Gesetze sie unterstützen. Sie können diese Rechte hier wirklich in Anspruch nehmen. Und dann fangen die Probleme natürlich an.
    Im Iran haben die Männer die Verantwortung getragen und die Probleme gelöst. Hier sind sie plötzlich nicht mehr alleine zuständig. Diese Rolle wird ihnen abgesprochen. Sie möchten gerne weiter bestimmen, aber plötzlich haben sie keine Macht mehr.
    Die deutsche Freizügigkeit - am Anfang gewöhnungsbedürftig
    Ortswechsel – eine helle Altbauwohnung im Berliner Ortsteil Schöneweide. Hier wohnt Fatima Almehio aus Aleppo mit ihren vier Kindern. Sima, Hala, Hasna und Bashir haben sich in einem Halbkreis hinter ihrer Mutter aufgebaut, die am Küchentisch sitzt und erzählt – so als wollten sie sie beschützen.
    Almehio wusste gar nichts über deutsche Kultur, als sie vor drei Jahren nach Berlin kam. Der Anblick küssender Paare auf der Straße, das war für die Muslima gewöhnungsbedürftig. Und das Verhältnis von Männern und Frauen?
    "Das war auch eine Überraschung. Das ist viel, viel besser als in unserer Kultur. Sie haben den Kopf frei, nicht wie bei uns."
    Fatima Almehio streicht die langen glatten schwarzen Haare nach hinten. Auch sie hat jetzt den Kopf frei, ihren Hijab hat sie noch im Flüchtlingsheim abgelegt.
    "Ja, ich bin Muslima, ich akzeptiere das, aber ich bin auch frei."
    Einige Kopftücher hat sie weggeworfen, andere behält sie – als Erinnerung. Die 33-Jährige geht ins Schlafzimmer, steigt auf einen Stuhl. Beige, knallrot, petrolblau. Geblümt, gestreift, gepunktet.
    "Die sind versteckt, da oben."
    Syrische Freunde nur noch heimlich treffen
    Jetzt kann sie darüber lachen, doch der Weg zum freien Kopf war nicht leicht. Am Anfang legte sie das Kopftuch nur im Flüchtlingsheim ab, später auch auf der Straße. Viele muslimische Männer haben sie angefeindet, erzählt Roya Vahedi, Mitarbeiterin im Flüchtlingsheim, und legt den Arm beschützend um die Schulter ihrer Freundin Fatima.
    "Fatima kam auch einmal mittags zu uns ins Büro mit Kopftuch und sie hat geweint. Erinnerst Du Dich? Sie erzählte, ich wurde heute in der Schule gemobbt, die Jungs haben mich sehr schlecht behandelt. Das einzige, was ich ihr sagen konnte, war, bleib stark, es ist Dein Leben, es geht niemanden etwas an."
    "Also, hinter mir haben sie viel geredet. Die Frau ist nicht sauber, die Frau ist nicht gut, weil sie hat keinen Mann, guck mal, sie macht, was sie will, sie ist unnormal. Sie haben viel geredet, aber das interessiert mich nicht."
    Fatima Almehio kann ihre beste syrische Freundin nur noch heimlich treffen, deren Ehemann verbietet ihr den Umgang. "Bei mir ist es ähnlich", erzählt die 14-jährige Hasna, "ich darf meine muslimische Freundin nicht mehr treffen, weil ich kein Kopftuch trage. Und weil ich boxe."
    "Ich wollte immer mal Boxerin werden, und das bin ich jetzt auch. Meine Mutter hat es mir früher nicht erlaubt, jetzt hat sie gesagt: Darfst du machen. Seit zwei Jahren boxe ich und bin richtig gut. Und eigentlich hat sich meine Mutter positiv verändert und ich find´s richtig gut. Also wir haben uns richtig verändert."
    Fatima Almehio hat sich viel vorgenommen. Die vierfache Mutter als Aleppo will ihre Deutschkurse erfolgreich beenden, danach eine Erzieherausbildung starten. Die Scheidung von ihrem syrischen Ehemann hat sie bereits eingereicht.