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Azubis aus dem Nachbarland

Viele Unternehmen suchen händeringend nach Auszubildenden. Der Sanitär-Großhändler IGEFA in Dresden, der auch in Tschechien eine Filiale hat, hatte sich von der Arbeitnehmer-Freizügigkeit mehr Bewerbungen aus den östlichen Nachbarländern versprochen. Doch zu seiner tschechischen Auszubildenden ist er eher durch Zufall gekommen.

Von Hanno Grieß | 21.10.2011
    Die Firma IGEFA ist ein Großhandel für Sanitärprodukte und liefert in einem Umkreis von etwa 100 Kilometern im Prinzip alles, was mit Sauberkeit zu tun hat, von Badezusätzen bis hin zu Klorollen. Große weiße Hallen stehen in der Sonne im Dresdner Süden, gleich gegenüber einer großen Backwarenfabrik. Es wird gerade angebaut, IGEFA braucht dringend mehr Lagerfläche.

    Im Bürotrakt steht Geschäftsführer Robert Wölflein und macht ein etwas hilfloses Gesicht. Denn die Firma hat eine Filiale im nahen tschechischen Grenzgebiet, 60 Kilometer weiter in Usti nad Labem. Schon länger hatte er sich um zweisprachigen Nachwuchs bemüht:

    "Ich denke, es war ein Zufallstreffer. Wir haben es versucht übers Arbeitsamt, haben es versucht über die IHK, es sind verschiedene Dinge angeschoben worden, aber da ist im Prinzip nichts herausgekommen. Parallel dazu haben wir ja auch für unseren normalen deutschen Bedarf Azubis gesucht, und da hat sich zufällig eine Bewerbung eingestellt, bei der anhand des Lebenslaufs schon zu sehen war, dass die Bewerberin Deutsch als auch Tschechisch spricht, und dann kam sie natürlich gleich in die engere Wahl."

    Mit der Bewerberin ist Klara Drozdova gemeint. Die junge Tschechin trägt ein schickes schwarz-weiß gestreiftes Kleid und schaut fröhlich durch ihre modische Brille. Sie ist seit Mai im Betrieb, lernt Groß- und Außenhandelskauffrau - und zuvor hat sie sich mehrere Jahre durchgekämpft, sprich Deutsch gelernt in der Schule im bayerischen Weiden. Sie ist bereits jetzt ein richtiger Mehrwert für ihren Arbeitgeber:

    "Also ich mach jetzt gerade die Übersetzung für den tschechischen Katalog. Als ich von Tschechien nach Deutschland gekommen bin, war es sehr schwer für mich, weil ich ja kein Deutsch gesprochen habe, und vor der Abschlussprüfung habe ich mich entschieden, dass ich anfange mit Bewerbungsschreiben. Es war Zufall, dass ich die IGEFA gefunden hab."

    Reiner Zufall also, obwohl es dringenden Bedarf gibt. IGEFA würde gerne ihre Aktivitäten über die Grenze hinweg ausdehnen. Aber mit welchem Personal? Die Zahlen sind ernüchternd. Seit dem 1. Mai gilt die Arbeitnehmer-Freizügigkeit auch für die östlichen Nachbarländer, und seitdem sind im Bezirk Dresden 5000 Ausbildungsstellen besetzt worden. Davon kommen ganze fünf Azubis aus Tschechien und drei aus Polen.

    Warum kaum jemand kommen mag, kann sich Geschäftsführer Robert Wölflein so richtig nicht erklären:

    "Ich denke mal, die Ausbildungsvergütung, die ein Azubi hier bekommt, ist fast so hoch wie ein tschechisches Durchschnittsgehalt, allerdings sind auch die Lebenshaltungskosten hier höher. Also wenn man nur das Einkommen vergleicht, ist es schon interessant, ich kann mir auch vorstellen, dass im grenznahen Bereich jemand, der auf der tschechischen Seite wohnt und auf der deutschen Seite die Ausbildung macht, finanziell überhaupt keine Probleme hat."

    Erklärungen gibt es dafür von der Industrie- und Handelskammer. Lars Fiehler ist für den Bezirk Dresden zuständig und hatte eigentlich mit deutlich mehr Bewerbungen aus Tschechien und Polen für dieses Ausbildungsjahr gerechnet. Zwei Hauptgründe sieht er nun für das bisherige Scheitern der Nachwuchsgewinnung. An erster Stelle steht für ihn die Sprachbarriere:

    "Die junge Generation, die heute in diesen Ländern nachwächst, beherrscht lange nicht mehr so gut die deutsche Sprache, wie es vielleicht noch ihre Eltern und ihre Großeltern konnten. Vom ersten Tag an muss so jemand ja im Betrieb, aber auch in der Schule, mitkommen. Hinzu kommt noch, die demografischen Probleme sind in Polen und Tschechien nicht viel anders. Das heißt also, auch die polnischen und tschechischen Betriebe sind sehr interessiert, möglichst keinen Schulabgänger aus ihrer Heimatregion in andere Gegenden zu verlieren und versuchen die Konditionen, so gut es geht anzupassen, um die jungen Leute dort zu halten."

    Und damit hatte man in den Betrieben hierzulande in dieser Schärfe einfach nicht gerechnet. Auch nicht im Lager von IGEFA in Dresden. Zwischen den fünfgeschossigen Regal-Straßen fahren Arbeiter mit Gabelstaplern hin und her. Täglich werden hier unzählige Lieferungen für die Kunden konfektioniert, wie es heißt. Die Firma wird ihre Ausbildungsvergütung im nächsten Jahr erneut drastisch anheben, um attraktiver für potenzielle Azubis zu werden. Statt 565 gibt dann bereits im ersten Jahr 640 Euro pro Monat.

    Klara Drozdova meint, ein paar wenige ihrer tschechischen Freunde hätten schon grundsätzlich Interesse, sich in Deutschland zu bewerben. Aber das gesamte System, die duale Ausbildung in Deutschland, sei in Tschechien unbekannt:

    "Bei uns ist es anders gestaltet, hier hat man eine bessere Möglichkeit, durch die Schule und durch die Arbeit in der Firma kriegt man Theorie und Praxis besser zusammen. Das ist auf jeden Fall besser, was man lernt, sieht man gleich im Büro."

    In ihrer Heimat gingen die Jugendlichen entweder erst auf die Hochschule oder gleich in einen Betrieb, in dem sie angelernt würden - ohne das strukturierte Nebeneinander von Schule und Praxis. IGEFA-Geschäftsführer Robert Wölflein wünscht sich von der tschechischen Seite mehr langfristige Initiative,

    "um dort auch die deutsche Sprache mehr in den Vordergrund zu stellen. Einfach das Bildungsangebot zu verbessern. Wenn ich mir anschaue, wie das bei den Kollegenbetrieben im Saarland aussieht mit der Grenze zu Frankreich, da ist wesentlich mehr Austausch in beide Richtungen da. Die kommen wesentlich besser miteinander klar, sicherlich auch deshalb, weil es viel mehr Deutsche gibt, die Französisch sprechen und viel mehr Franzosen, die Deutsch können."

    Und genau an dieser Flanke werde man jetzt arbeiten. Etwas schüchtern schaut Klara Drozdova zu ihrem Geschäftsführer. Der nickt, und sie erzählt:

    "Es ist so, ich werde die unterrichten, ich bin jetzt die Tschechisch-Lehrerin. Ich freu mich total, denn wir hatten viele Fälle, wo man die Leute hier nicht verstanden hat. Und mit Usti war man auch nicht zum Punkt gekommen. Erstmal die Hauptwörter, Hallo zu sagen und so."

    Sie ist kaum da, die 19-Jährige, doch sie ist im Prinzip jetzt schon eine potenzielle Führungskraft für das Unternehmen. Weiterbilden will sie sich auch nach ihrer Ausbildung, sagt Klara Drozdova, damit sie "hoch" kommt. Und sie will immer mal ein bisschen Werbung machen für die Karrierechancen in Deutschland. Bei ihren Freunden, in Tschechien.