Herta Däubler-Gmelin über den Fall "Assange"

"Es wird Zeit, dass die UN sich damit beschäftigen"

08:46 Minuten
Plakat mit einem Porträt von Julian Assange mit der amerikanischen Fahne als Knebel über seinem Mund. Protestschild vor der ecuadoranischen Botschaft in London von April 2019.
Plakat in London als Unterstützung für die Freilassung von Julian Assange © Getty / Jack Taylor
Moderation: Liane von Billerbeck · 24.02.2020
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"Schutz anbieten, wenn es sein muss, auch Asyl", fordert Herta Däubler-Gmelin, SPD-Politikerin und Justizexpertin, im Fall "Julian Assange". Die Bundesregierung müsse mehr tun für Whistleblower und ihren Schutz und dies auch rechtlich festlegen.
Liane von Billerbeck: Heute beginnt in London das Auslieferungsverfahren zur Frage, ob der Wikileaks-Gründer Julian Assange an die USA überstellt wird. Der hatte ja Bilder und Beweise von Kriegsverbrechen in Irak und in Afghanistan via Wikileaks ins Internet gestellt. Herta Däubler-Gmelin, SPD, Juristin und ehemalige Bundesjustizministerin, hat gemeinsam mit Günter Wallraff, Sigmar Gabriel, Navid Kermani, Gerhart Baum, Sevim Dagdelen und anderen Anfang Februar ein Appell zur Freilassung von Julian Assange aus britischer Auslieferungshaft initiiert. Mit ihr will ich jetzt darüber sprechen, was die Bundesregierung für Assange, Snowden und Whistleblower wie die beiden tun kann beziehungsweise tun sollte.
Jenseits der Frage, ob das Auslieferungsverfahren an sich gerechtfertigt ist oder nicht, erwarten Sie, dass der Prozess da in London gerecht ablaufen wird?
Herta Däubler-Gmelin: Das ist natürlich zu hoffen. Die britische Justiz hat eigentlich einen guten Ruf. Also es handelt sich nicht um andere Länder, wo man von vornherein Sorgen haben muss, aber es ist schon erstaunlich, dass man jemanden, dessen Gesundheit – jetzt fange ich mal damit an – so angeschlagen ist, dass eine Gruppe von britischen Medizinern die Sorge hat, er könne wirklich ernsthaften Schaden haben, oder sie sprechen sogar davon, im Gefängnis sterben, dass der nicht aus der Haft entlassen wird, um so einen Auslieferungsprozess durchzuführen. Das ist erstaunlich.

Man hätte Snowden nicht in Russland lassen dürfen

Billerbeck: Haben Sie auch deshalb schon vor Beginn an die Zuständigen appelliert, Assange freizulassen?
Däubler-Gmelin: Natürlich, denn es gibt ja die beiden Seiten dieses Prozesses, die man sehen muss. Das ist zum einen die persönliche Seite, also die Frage der physischen und psychischen Gesundheit, und dann ist es zum anderen die Frage: Wie geht man eigentlich mit jemandem um, der Whistleblowern eine Plattform bietet, über das, was Mächtige nicht tun dürften, aber tun, und was an die Öffentlichkeit muss, weil es sonst nicht kontrolliert werden kann?
Porträt von Heribert Prantl
Der Journalist Heribert Prantl setzt sich dafür ein, dass die Bundesrepublik Whistleblowern - und also auch Snowden - Asyl gewährt.© imago/Sven Simon
Billerbeck: Der Journalist Heribert Prantl, der hatte dazu im Deutschlandfunk ganz klar Folgendes gesagt:
Heribert Prantl: Notfalls, denke ich, müsste die Bundesregierung, wenn Sie nach der deutschen Politik fragen, das machen, was sie sich schon bei Edward Snowden nicht getraut hat, nämlich so verdienten Whistleblowern, so verdienten Aufklärern, Asyl anzubieten.
Billerbeck: Also Asyl anbieten, Frau Däubler-Gmelin, ist das auch Ihre Forderung?
Däubler-Gmelin: Richtig. Schutz anbieten, wenn es sein muss, auch Asyl. Ich stimme Heribert Prantl vollständig zu, habe das übrigens auch getan, als es aktuell war, und das für richtig gehalten. Man hätte Snowden nicht in Russland lassen müssen oder dürfen, sondern es wäre richtig gewesen, hier in unserem Land, das stolz ist auf seine Werte, seine Demokratie und seine Rechtsstaatlichkeit, Schutz und Asyl anzubieten.
Billerbeck: Dafür gibt es ja immer noch Chancen. Wir haben immerhin eine SPD-Bundesjustizministerin, und wir haben einen Außenminister von der SPD, die können das ja anregen.
Däubler-Gmelin: Richtig.
Billerbeck: Klare Ansage.
Däubler-Gmelin: Wissen Sie, das ist natürlich so, dass sie das könnten, und das sagt man ihnen auch gelegentlich. Sie brauchen aber natürlich dazu die Bundeskanzlerin – die dürfen sie nicht ganz außen vor lassen –, und sie brauchen eine Öffentlichkeit, die informiert ist über warum Wikileaks wichtig ist, warum Edward Snowden und Julian Assange wichtig sind. Diese Öffentlichkeit kann dann entsprechend auch Einfluss nehmen. Ich glaube, darum geht es, weil das wirklich eine Frage ist, wie unsere Demokratie weiterhin bestehen wird.

In den USA löst sich vieles - unvereinbar mit unseren Werten

Billerbeck: Der schon erwähnte und zu Wort gekommene Sonderberichterstatter für Folter der UNO, Nils Melzer, der hält ja sogar die Vorwürfe gegen Assange für konstruiert. Assange hatte ja der US-Whistleblowerin Chelsea Manning, damals noch Bradley Manning, geholfen, geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und Afghanistan zu veröffentlichen. Sind Assange und Wikileaks da zu weit gegangen?
Däubler-Gmelin: Also ich finde nicht, und zwar aus folgenden Gründen: Der UNO-Sonderbeobachter und Berichterstatter Melzer ist ja kein Heißkopf. Wenn der in der Tat der Auffassung ist, da könnte sehr viel durch Geheimdienste fabriziert sein, dann wird es Zeit, dass die Vereinten Nationen also insgesamt sich damit beschäftigen, auch die Vollversammlung, und sagt: So geht das auf keinen Fall, so kann man auf keinen Fall vorgehen. Aber jetzt zu dem Einzelfall: Schauen Sie, wir wissen, dass wir auf der einen Seite klar die Bindung auch von Politik an Recht haben, bei uns mehr noch als in den USA. Wir sehen aber, dass in den USA sich da sehr vieles löst, was mit Werten überhaupt nicht in Einklang zu bringen ist.
Jetzt ist die Frage: Wie kann man sowas korrigieren? Natürlich haben Mächtige das Interesse, dass sowas nicht rauskommt, dass ihre Bürgerinnen und Bürger das nicht mitkriegen, weil das könnte ja Machtverlust bedeuten. Auf der anderen Seite braucht es diese Whistleblower, die sagen: Eure Machthaber, die machen was ganz anderes, was sie euch erzählen. Und es braucht die Plattformen dazu, dass sie die Möglichkeit haben, das zu veröffentlichen, weil sonst bleiben allein, wie zum Beispiel beim Recherchenetzwerk, das wir ja dankenswerterweise haben, Verlage, die das veröffentlichen, und die sind leichter unter Druck zu setzen als eine Plattform, die ganz klar sagt, wir bringen das alles an die Öffentlichkeit, nicht nur solche Fälle, die Sie gerade genannt haben, sondern zum Beispiel auch die Panama-Papers, Korruptionsfälle und ähnliches mehr.
Das macht die so wertvoll, und deswegen muss man sagen: Sowohl Whistleblower wie auch solche Plattformen und deren Gründer brauchen Schutz.
Porträtfoto der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) am 08.08.2016 an der 333. Montagsdemo gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 auf dem Schlossplatz in Stuttgart 
Die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) © dpa / Christoph Schmidt
Billerbeck: Da gibt es sicher Unterschiede, die können wir jetzt nicht mehr diskutieren, zwischen Snowden und Assange. Der eine hat das Material Journalisten gegeben, und die haben es dann ausgewertet, gewichtet, der andere hat es einfach nur ins Internet gestellt. Aber wir wollen noch mal darüber reden, Sie haben ja als Anwältin auch anderen Whistleblowern geholfen, indem Sie dafür gesorgt haben, in bestimmten Unternehmen Betriebsvereinbarungen zum Whistleblowing durchzusetzen. Wie sieht sowas konkret aus, also jenseits der Politik auch in der Wirtschaft?

Schaffung von Prozeduren zur Fehlerkorrektur

Däubler-Gmelin: Schauen Sie, Unterschiede gibt es immer. Lassen Sie mich sagen, Frau von Billerbeck, es ist natürlich so, dass einem der eine sympathischer sein kann als der andere.
Billerbeck: Nein, nein, das hat jetzt nichts mit Sympathie zu tun.
Däubler-Gmelin: Nein, aber ich will das nur erwähnen, weil man das ja auch relativ häufig hört, das ist auch völlig in Ordnung, aber darum geht es gar nicht, sondern es geht darum, dass man sich zugestehen muss: Man hat eine Verfassung oder in Betrieben, dann hat man eine klare Richtlinie, wie man sich zu verhalten hat, und dann gibt es Fehler. Und diese Fehler bedeuten, dass man sich nicht diesen Werten entsprechend verhält, dass man zum Beispiel Macht vor Recht stellt – das geht nicht – oder dass man Richtlinien nicht einhält. Jetzt kommt die Frage ins Spiel: Kann es vernünftige Prozeduren der Fehlerkorrektur geben? Die Frage "Whistleblower" - gerade auch in Unternehmen - gehört genau in diesen Bereich.
Manchmal kann man Fehler erkennen zu einem Zeitpunkt, wo sie leicht korrigierbar sind. Nur wir wissen, wenn man etwas derartiges bemerkt und man wendet sich dann an den Vorgesetzten, dann sind die möglicherweise zum Teil involviert oder nicht stark genug oder nicht willens genug, weil sie sagen, wenn wir dann das da nach oben bringen, dann kriegen wir, na ja, keine Fleißkärtchen, sondern einen schlechten Stand, dann muss man ein Verfahren haben zu einer vernünftigen Stelle, die beurteilen kann: Ist es Denunziation, die wir nicht wollen, oder ist es eine vernünftige, sagen wir mal, Anregung zur Fehlerkorrektur, die sich dann darum kümmert, dass das auch passiert, ohne dass der Whistleblower jedes Mal, wenn er das nicht will, namentlich genannt wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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