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20 Jahre Berliner Hospizdienst Tauwerk
"Schwul, Aids, Nonnen, oh mein Gott"

Der Berliner Hospizdienst Tauwerk kümmert sich um sterbende Aids-Kranke. Gegründet haben ihn zwei Franziskanerinnen. Die beiden Ordensfrauen kämpfen dafür, dass ihre Kirche die Haltung zu Homosexualität ändert.

Von Benjamin Dierks | 31.03.2017
    Der damalige regierende Bürgermeister Klaus Wowereit verleiht am 1.10.2014 den Verdienstorden des Landes Berlin an Schwester Maria Hannelore Huesmann für ihr Engagement bei "Tauwerk".
    Der damalige regierende Bürgermeister Klaus Wowereit verleiht am 1.10.2014 den Verdienstorden des Landes Berlin an Schwester Maria Hannelore Huesmann für ihr Engagement bei "Tauwerk". (picture-alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    "Schwul, Aids, Nonnen, oh mein Gott!"
    Nur ein paar Worte braucht Marc Mattulat und schon wird deutlich, was vielen Betroffenen durch den Kopf geht, wenn sie das erste Mal mit dem Berliner Hospizdienst Tauwerk zu tun bekommen. Tauwerk begleitet schwer kranke und sterbende Menschen mit Aids - und Tauwerk ist katholisch.
    "Nein, diese Allianz war keine, die uns im Mindesten attraktiv vorkam."
    Marc Mattulat verlor vor acht Jahren seinen Mann Paul an die Immunschwächekrankheit. Er hatte sich zuvor nach Hilfe umgeschaut, als er die Pflege nicht mehr alleine stemmen konnte. Im Krankenhaus sagte man ihm, es gebe da diese Ordensschwestern, die sich um Aids-Kranke kümmerten. Doch er war skeptisch. Führende Vertreter der katholischen Kirche hatten Schwule damals als Sünder bezeichnet, die mit Aids die gerechte Strafe Gottes erführen.
    Verletzungen und Ausgrenzungen
    "Die Äußerungen aus Kirchenkreisen zu schwulen Menschen mit Aids waren oftmals sehr verletzend und ausgrenzend. Und nun sollten leibhaftige Nonnen in meiner Abwesenheit auf Paul losgelassen werden?"
    Schließlich rief Mattulat doch bei Tauwerk an. Und nun steht er Jahre später auf einer kleinen Bühne in Berlin-Charlottenburg, um die Frauen zu preisen, die ihm und seinem Mann Paul den Abschied und den Weg in den Tod damals etwas erträglicher gemacht haben: Schwester Hannelore und Schwester Juvenalis – oder Juvi, wie sie hier liebevoll genannt wird. Die beiden franziskanischen Nonnen haben Tauwerk vor 20 Jahren gegründet. Mattulat ist mittlerweile hier selbst Hospizhelfer geworden. Er ist auch in einen säkularen Franziskanerorden eingetreten und hat den Namen Antonius angenommen.
    Mit ihm arbeiten 30 weitere geschulte Ehrenamtliche für Tauwerk und begleiten Menschen in der letzten Zeit ihres Lebens. Auf Vorbehalte treffen sie jetzt viel seltener. Das ist eine Genugtuung für Schwester Juvenalis. Denn den Anstoß, Menschen mit HIV und Aids zu helfen, bekam sie, als sie Ende der 80er-Jahre merkte, wie ablehnend Aids-Kranke der Kirche gegenüberstanden. Sie leitete damals eine Männerstation im katholischen Franziskus-Krankenhaus in Münster. Schwester Juvenalis:
    "Und dann kam der erste Aids-Kranke zu uns. Und der hat mir gesagt, ich wäre nie in ein katholisches Krankenhaus gegangen, schon mal gar nicht mit so vielen Nonnen, wenn ich noch hätte zur Uniklinik können. Da habe ich auch erst geschluckt. Nach einer Woche wurde er nach Frankfurt zurückverlegt. Und als er ging, sagte er, Schwester, ich habe hier ein anderes Gesicht von Kirche kennengelernt - und Sie hören von mir. Sechs Wochen später kriegten wir seine Todesnachricht. Das hat mich nicht mehr losgelassen."
    Heute werden die Nonnen auf dem CSD gefeiert
    Gemeinsam mit Schwester Hannelore schrieb sie ihrer Ordensleitung und bat darum, nach Berlin gehen zu dürfen, um Menschen mit HIV und Aids zu helfen. Zwei Monate später hatten sie die Zusage, berichtet die heute 80-Jährige. Doch auch in Berlin war die Skepsis zunächst groß.
    "Am Anfang haben wir oft gehört, o Gott, eine Nonne, jetzt habe ich schon Aids und dann noch eine Nonne - und auch noch eine katholische. Das war im Anfang schon heftig. Und erst als die Leute gemerkt haben, dass wir nicht diesen moralisch erhobenen Zeigefinger haben, so, du schwuler Mann oder so, da wurde es langsam besser."
    Heute werden sie auf dem Christopher-Street-Day gefeiert. Der bekannte Chansonier Tim Fischer treibt auf seinen Konzerten eigenhändig Spenden für Tauwerk ein. Und obwohl er sonst große Hallen füllt, singt er bei der kleinen Jubiläumsfeier von Tauwerk.
    Langsam weicht auch in der Amtskirche manch harte Haltung auf. Lange hatten die Nonnen es schwer, wie Schwester Hannelore berichtet:
    "Ich habe erlebt, dass mir ein Bischof nicht die Hand gab, als er mitbekam, dass ich im Aidsbereich tätig bin. Der drehte sich auf dem Absatz um und ging."
    Heute sendet der Berliner Erzbischof seine Grüße zum Jubiläum. Ulrike Kostka ist Direktorin der Caritas im Erzbistum Berlin. Sie sagt:
    "Ich denke, das Lehramt hat in den letzten Jahren auch erkannt, dass es so wichtig ist, Menschen mit HIV und Aids, überhaupt Menschen, die homosexuell leben, mehr Akzeptanz zu zeigen. Man kann das auch sehen in der lehramtlichen Entwicklung, dass sich da doch vieles getan hat."
    Behutsame Kämpferinnen
    Das sei unter anderem Papst Franziskus geschuldet. Der hatte im letzten Sommer unter anderem gesagt, dass die katholische Kirche sich bei Homosexuellen für die Ausgrenzung entschuldigen solle. Aber auch heute noch würden Schwule und Menschen mit HIV und Aids diskriminiert, warnt Kostka:
    "Es gibt immer noch den Punkt zu sagen: Ihr seid uns willkommen, so wie ihr lebt. Auch in euren Beziehungen und dass es so ist, dass Menschen mit gleichgeschlechtlichen Beziehungen vielleicht nicht eine Ehe leben, wie sich die katholische Kirche das vorstellt, aber sie leben Beziehung in Verantwortung."
    Schwester Juvenalis und Schwester Hannelore tragen behutsam ihren Teil dazu bei, dass sich die Sichtweise der Kirchenoberen ändert. Sie widmen sich nämlich nicht nur den Kranken und Sterbenden, sondern laden auch immer mal wieder Würdenträger in ihre Pankower Mietwohnung ein und berichten ihnen am Abendbrottisch von ihren Erfahrungen.
    "Unsere Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft im heilenden Dienst. Und wenn ich versuche, heil zu machen, das ist es doch eigentlich. Vielleicht kommen unsere Bischöfe ja noch mal nach."