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Aufs falsche Pferd gesetzt

Medizin. - Mehr als 90 Millionen Euro hat die Bundesregierung in die Einlagerung von antiviralen Medikamenten gegen eine drohende Grippepandemie investiert. Dabei hat sie - genau wie die meisten anderen Staaten – möglicherweise eine falsche Strategie angewandt. Denn für einen Großteil des Geldes wurde das Medikament Tamiflu geordert und das könnte bei einer Pandemie schon bald nicht mehr wirken. Das belegen jedenfalls Studien britischer Forscher, die heute online von der Fachzeitschrift ´"Nature" veröffentlicht wurden.

Von Kristin Raabe | 15.05.2008
    Damit ein Grippevirus nach einer Infektion seinen zerstörerischen Weg durch den Körper fortsetzen kann, muss es aus seiner Wirtszelle wieder herauskommen. Den Weg schneidet ihm ein Enzym frei, das das Virus im Gepäck hat, die sogenannte Neuraminidase. Das funktioniert nur, wenn es nicht durch sogenannte Neuraminidase-Blocker aufgehalten wird. Dazu zählen auch die Grippemedikamente Tamiflu mit dem Wirkstoff Oseltamivir und Relenza mit dem Wirkstoff Zanamivir. Allerdings sind in letzter Zeit immer wieder Resistenzen gegen Oseltamivir aufgetreten. Schuld daran sind mutierte Neuraminidase-Formen. Wie die eine Resistenz gegen diesen Grippewirkstoff entstehen lassen, hat Steven Gamblin in seinem Labor am Nationalen Institut für Medizinische Forschung in London untersucht.

    "”Wir bestimmten die Position aller Atome in diesem Molekül durch eine Röntgenstrukturanalyse. Wir haben das auch für die Komplexe getan, die die Neuraminidase mit den Wirkstoffen Oseltamivir und Zanamivir bildet. Diese Resultate haben wir dann mit den Ergebnissen verglichen, die wir zuvor mit der unveränderten Form dieses Enzyms gewonnen hatten. Das hat uns gezeigt, dass Oseltamivir anders an die mutierte Neuraminidase bindet. Dagegen bindet Zanamivir in derselben Weise an das mutierte Enzym wie an die unmutierte Variante.""

    Nur wenn die Bindung von Oseltamivir an die Neuraminidase stark ist, kann der Wirkstoff die Aktivität des Enzyms blockieren und damit die Ausbreitung der Grippeviren im menschlichen Körper verhindern. Gamblin:

    "”Die Unterschiede in der Bindung korrelierten sehr gut mit anderen Studienergebnissen, die gezeigt hatten, dass die Bindung von Oseltamivir an die mutierte Neuraminidase 100 Mal schwächer war, als an die ursprüngliche Form dieses Enzyms. Dadurch ist die Wirkung von Oseltamivir erheblich eingeschränkt. Das Virus kann sich also munter in der Gegenwart dieses Wirkstoffs ausbreiten.""

    Dass eine Mutation in dem Virusgen für das Enzym Neuraminidase zu einer Resistenz gegen Oseltamivir führt, ist keineswegs ein seltenes Ereignis. Im Gegenteil: Grippeviren sind Weltmeister im Mutieren und Ausbilden von neuen Resistenzen. Gamblin:

    "”Etwa die Hälfte aller Influenzaviren verfügt über eine Gruppe-1-Neuraminidase. Bei jedem dieser Viren ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die Mutation, die zur Resistenz führt, recht schnell bilden würde. Selbst bei den wenigen Patienten, die bislang durch das Vogelgrippe-Virus H5N1 infiziert wurden, hat man in Virusproben diese Mutation schon finden können. Bemerkenswert ist auch, dass erst kürzlich bei der saisonalen Grippe, deren erste Ausläufer Europa gerade erst erreicht haben, in dem H1N1-Grippevirus dieselbe Mutation entdeckt worden ist.""

    Die einzige Möglichkeit die Bildung von Resistenzen bei Grippeviren zu verhindern besteht in einer Kombinationstherapie aus mehreren Wirkstoffen. Eine ähnliche Strategie war auch bei HIV erfolgreich. Und schließlich haben die Experimente von Steven Gamblin gezeigt, dass das Medikament Relenza mit seinem Wirkstoff Zanamivir auch an die mutierte Neuraminidase gut binden und damit das Virus effizient in Schach halten kann. Gamblin:

    "”Im Falle einer Pandemie mit einem N1-Grippevirus würde sich eine Resistenz gegen Oseltamivir schnell ausbreiten. Es müssten also beide Wirkstoffe Oseltamivir und Zanamivir in ausreichenden Mengen eingelagert werden, um auf eine drohende Pandemie vorbereitet zu sein.""

    Immerhin knapp zwei Millionen Einheiten Zanamivir hat die Bundesregierung eingelagert. Die Menge an dem im Ernstfall bald unwirksamen Oseltamivir mit dem Produktnamen Tamiflu ist dagegen mehr als dreimal so hoch. Sollte es tatsächlich zu einer Grippe-Pandemie kommen, dann ist eine Sache schon jetzt sicher: Es könnten allenfalls fünf Prozent der Deutschen mit antiviralen Medikamenten versorgt werden.