70 Jahre Bombardierung Dresdens

In England kein Thema?

Dresdner Bürger stellen am 13. Februar 1993 brennende Kerzen an die Ruine der Frauenkirche auf dem Neumarkt.
Umkämpfte Erinnerung: Dresdner Bürger gedenken am 13. Februar 1993 der Opfer der Bombardierung der Stadt 1945 © picture-alliance / dpa / Thomas Lehmann
Martin Roth im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 13.02.2015
Vor 70 Jahren bombardierten die Alliierten Dresden. Seitdem wird darüber gestritten, ob und wie man dieses Ereignisses gedenken soll. In Englands Erinnerungskultur spielt Dresden dagegen keine besondere Rolle, sagt der Kulturwissenschaftler Martin Roth.
25.000 Menschen starben, als alliierte Flugzeuge am 13. Februar 1945 Dresden bombardierten. Bis heute wird in Deutschland darüber gestritten, in welcher Form man diesem Ereignis gedenken soll. In Englands Erinnerungskultur dagegen spiele dieses Datum wohl keine besondere Rolle, meint der Kulturwissenschaftler Martin Roth, der das Victoria and Albert Museum in London leitet.
"Natürlich ist das Erinnern in England ein anderes als bei uns, und zwar schon einfach deshalb, weil man quasi den Krieg gewonnen hat und weil man auch schon deshalb daran erinnern muss, welches Leid das mit sich gebracht hat und welche Sorgen für einzelne Familien."
Roth erinnerte an die deutschen Angriffe auf Coventry und London und warnte gleichzeitig davor, Grausamkeiten beider Seiten gegeneinander aufzurechnen:
"Ich habe auch gelernt, ohne dass man da viel darüber redet, dass der Blitzkrieg in London furchtbar viele Todesopfer gekostet hat. Dieses gegenseitige Aufrechnen von Erinnern und Leid ist ein schwieriges Thema."

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Es war der schwerste Angriff auf eine Stadt im Zweiten Weltkrieg: der Bombenangriff auf Dresden – und an dem scheiden sich bis heute die Geister. Am 13. Februar 1945 warfen 773 britische Bomber zuerst Sprengbomben ab, die Dächer und Fenster der Häuser barsten, und die Wirkung der danach abgeworfenen hunderttausenden Brandbomben war noch verheerender. Jeder, der das erlebt hat, oder auch die Nachgeborenen, die nur Fotos sehen, Zeichnungen oder Erinnerungen hören und lesen, können sich vorstellen, was das für ein Inferno gewesen sein muss. Um die Deutungshoheit über diesen Angriff auf Dresden am 13. Februar 1945 kämpften in diesen 70 Jahren Neonazis und Kommunisten, deutsche Historiker untereinander, die Bundesrepublik und die DDR, und Deutschland und Großbritannien.
Und wir wollen einen Mann danach fragen, der beide Länder, Deutschland und Großbritannien, kennt, und zwar Martin Roth. Er war von 2001 bis 2011 Generaldirektor der Dresdener Kunstsammlungen und leitet seit 2011 in London das Victoria and Albert Museum, das weltgrößte Museum für Kunst und Design. Herr Roth, ich grüße Sie!
Martin Roth: Hallo, Frau Billerbeck!
Gegenseitiges Aufrechnen von Grausamkeiten "mehr als heikles Thema"
von Billerbeck: Wie haben Sie in Ihren zehn Dresdener Jahren diesen Tag, das Gedenken an den 13. Februar 1945 erlebt?
Roth: Das ist eine schwierige Frage, Frau von Billerbeck, das ist, glaube ich, immer ein mehr als heikles Thema, wenn es darum geht, wer sozusagen Leid interpretieren darf und wer Leid besitzt und wer Grausamkeiten gegeneinander aufrechnen möchte. Natürlich gab es noch viele, als ich nach Dresden kam 1989, die sich sehr gut daran erinnern konnten. Und ich hatte einen Kollegen, ich glaube aus Cleveland, der eigentlich aus Siebenbürgen war und der zu Besuch kam nach Dresden und der nach zwei Tagen wieder abreiste, weil er es nicht ertragen hat, weil er als Kind in einem Waggon war außerhalb von Dresden und diesen Brand sah. Also, aber das gilt, glaube ich, für jede Stadt. Ich kenne mittlerweile Coventry relativ gut, und ich habe auch gelernt, ohne dass man da viel darüber redet, dass der Blitzkrieg in London furchtbar viele Todesopfer gekostet hat. Dieses gegenseitige Aufrechnen von Erinnern und Leid ist ein schwieriges Thema.
von Billerbeck: Nun leben Sie seit vier Jahren in London. Ich habe gelesen, jedes britische Kind wisse, was eine "Spitfire" ist, und es werden in Großbritannien ja auch immer Zweite-Weltkriegs-Computerspiele gespielt. Wie wichtig ist dieser Tag im britischen Erinnern bis heute?
Roth: Ich muss jetzt aufpassen, dass ich das richtig sage. Also es geht nicht um diesen einen Tag, es geht jetzt nicht um diesen 13. Februar. Wenn Sie mich danach fragen, dann würde ich sagen: Der wird wahrscheinlich sowohl in Frankreich als auch in England keine große Bedeutung haben. Also ich habe auch ein paar Jahre in Paris gearbeitet, und damals spielte das Erinnern eine riesengroße Rolle. Caen, das militärhistorische Museum, das D-Day-Museum sozusagen ist damals eröffnet worden und es ging durch die ganze Nation.
Die Sieger erinnern anders
Also ich bin sicherlich ein absoluter Kriegsgegner, Kriegsfeind, war ein Wehrdienstverweigerer und bin das bis heute durch und durch, bin Pazifist, und zwar ein sehr überzeugter. Und dennoch bin ich oder gerade deshalb bin ich der Meinung, dass wir das Erinnern ganz besonders intensivieren sollten. Ich erinnere immer wieder gerne daran, auch in Gesprächen in England, was Joschka Fischer in der Knesset sagte vor vielen Jahren: „Es ist nicht unsere Generation, die schuldig ist, aber es ist unsere Generation, die das Erinnern bewahren muss". Und da bin ich absolut einer Meinung.
von Billerbeck: Sie sind, als Sie in London Ihre Arbeit anfingen im Victoria and Albert Museum, als Verkörperung des neuen Deutschen bezeichnet worden. Heißt das, dass da immer noch das Bild des hässlichen Deutschen da war, und jetzt kam da jemand, der leitete so ein Museum in London und war ein Deutscher und man schöpfte Hoffnung?
Roth: Ach, das ist so eine Frage, Frau von Billerbeck. Ich gebe Ihnen wirklich auf alles eine Antwort, aber das ist wirklich deshalb schwer zu beantworten, weil ich mir sozusagen selbst nie die Frage stellen würde. Also, erstens mal sehe ich mich nicht als den anderen Deutschen oder den neuen Deutschen oder den besseren Deutschen, aber natürlich ist das Erinnern in England ein anderes als bei uns, und zwar schon einfach deshalb, weil man quasi den Krieg gewonnen hat und weil man auch schon deshalb dran erinnern muss, welches Leid das mit sich gebracht hat, welche Sorgen für einzelne Familien. Und wir dürfen auch einfach nicht vergessen: Bis heute würden noch viele leben, die im Krieg gefallen sind und im Krieg gestorben sind. Also insofern: Natürlich ist das in England wahrscheinlich noch aktiver gewesen.
"Was habt ihr im Krieg getan?"
Dazu kommt, und auch darüber habe ich vorgestern mit einem Freund geredet, der eigentlich aus Dresden kommt – also die Familie kommt aus Dresden und aus Magdeburg, kommt aus der Arnold-Familie, die vertrieben worden sind –, und der sagte zu mir: Du wirst nicht mehr mit den Leuten verglichen, auf die man früher mit Argwohn geblickt hat. Ich bin mir da nicht so sicher. Also natürlich, als Deutscher spielt man eine gewisse Rolle und hat eine gewisse Geschichte, aber ich gehe sehr offen mit der Geschichte um.
Ich gehe zum Beispiel sehr offen mit der Geschichte um, dass ich immer bereit bin, Antwort zu geben, wenn ich danach gefragt werde, was wir, sozusagen die Nachkriegsgeneration – also ich bin 1955 geboren –, was wir in den 60er- und 70er-Jahren gemacht haben, wenn wir die Fragen gestellt haben an unsere Eltern, was habt ihr gewusst, was habt ihr getan, wart ihr involviert, und das waren wirklich heftige Jahre, Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre, als wir versucht haben, von unseren Lehrern uns nur unterrichten zu lassen, wenn sie uns zuerst sagen, was sie im Krieg getan haben. Das war tough, und darüber rede ich, bin ich jederzeit bereit, zu reden.
Also das heißt, es geht nicht darum, dass ich ankomme und sage, so, jetzt hier, ich bin der neue Deutsche – ganz gewiss nicht. Aber ich rede wahrscheinlich mit einer anderen Offenheit und ich lebe da und ich bin vor allen Dingen der Begleiter eines ganz öffentlichen Amtes, nämlich der Direktor eines britischen Nationalmuseums.
von Billerbeck: Martin Roth war das, Direktor des Londoner Victoria and Albert Museum, über das Gedenken an den Bombenangriff auf Dresden am 13. Februar 1945. Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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