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"Das wird für Nordkorea jetzt eng"

Der Druck auf Nordkorea im Zuge der Atombombentests wächst, meint der ehemalige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer (FDP). Nicht zuletzt, weil auch Russland und China gemeinsam mit den übrigen Mitgliedern im Sicherheitsrat an einem Strang ziehen könnten.

Werner Hoyer im Gespräch mit Christoph Heinemann | 26.05.2009
    Christoph Heinemann: Das Säbelrasseln geht weiter. Einen Tag nach seinem unterirdischen Atomwaffentest hat Nordkorea nach Informationen aus Seoul zwei Kurzstreckenraketen getestet. Wie die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap berichtete, feuerte Nordkorea eine Boden-Luft-Rakete sowie eine Boden-Schiff-Rakete ab, die nahe der Stadt Han Hung an der Ostküste ins Meer fielen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat den Test einstimmig verurteilt und berät über Sanktionen. Am Telefon ist Werner Hoyer, der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, vormals Staatsminister im Auswärtigen Amt. Guten Tag!

    Werner Hoyer: Guten Tag!

    Heinemann: Herr Hoyer, Nordkorea dreht den Nachbarn und der internationalen Gemeinschaft eine lange Nase. Wie bringt man das Regime in Nordkorea zur Räson?

    Hoyer: Durch Besonnenheit, Entschlossenheit und Geschlossenheit, und ich habe die Hoffnung, ich glaube die begründete Hoffnung, dass alle drei Begriffe auch tatsächlich beachtet werden. Der Weltsicherheitsrat ist erfreulich geschlossen, er scheint auch entschlossen zu sein, tatsächlich zu handeln, und er tut es besonnen, weil man natürlich hier einen Drahtseilakt vollzieht, denn einerseits darf der Weltsicherheitsrat sich diese Provokationen nicht gefallen lassen, sie sind auch sehr gefährlich in der Sache. Andererseits ist das Ziel die Rückkehr zu Verhandlungen, und das ist in der Tat ein sehr schwieriger Drahtseilakt.

    Heinemann: Inwiefern wirkte denn eine neue UN-Resolution nachhaltiger als die Nummer 1718, an die sich Nord-Korea auch nicht hält?

    Hoyer: Ich glaube, man muss nicht nur gucken, was in Resolutionen drinsteht, wie sie zu Stande gekommen sind, sondern wer sie konkret und entschlossen mitträgt. Ich habe eben ja noch mal in Ihrem Bericht das Statement des russischen Botschafters gehört.

    Heinemann: Churkin!

    Hoyer: Ja. Den hat man in dieser Deutlichkeit in früheren Zeiten auch nicht so gehört. Vor allen Dingen scheint die Volksrepublik China jetzt entschlossen zu sein, geschlossen mit den anderen vier ständigen Sicherheitsratsmitgliedern zusammenzuarbeiten, und das ist ein qualitativer Sprung nach vorne. Deswegen geht es jetzt auch nicht nur um irgendwelche Erklärungen des Präsidenten des Weltsicherheitsrates, sondern um eine sehr substanzielle Resolution. Das wird für Nordkorea jetzt eng, denn bisher ist es so, dass China die Hand über das Regime gehalten hat, denn China ist an einem Regimewechsel in Nordkorea offensichtlich bisher nicht interessiert.

    Heinemann: Aber ist das ein Politikwechsel in Peking?

    Hoyer: Das kann man noch nicht absehen, aber ich glaube, das ist jetzt der Zeitpunkt, wo man die Belastbarkeit unserer China-Politik testen kann und muss, weil es muss darum gehen, China stärker in die Verantwortung für weltpolitische Fragen einzubeziehen. Dabei muss man natürlich auch die Interessen Chinas berücksichtigen. Die Chinesen haben eine gewisse Sorge davor, dass sie noch mehr, wenn man so will, eingekreist werden, für den Fall, dass das Regime in Nordkorea fällt. Auf der anderen Seite haben die Südkoreaner auch ein merkwürdiges Verhältnis zum Thema Wiedervereinigung. Also da ist einiges in Bewegung. Jetzt geht es darum, die Chinesen dazu zu bewegen, ihre schützende Hand über dieses Steinzeitregime in Pjöngjang sofort wegzuziehen.

    Heinemann: Was meinen Sie genau mit einem merkwürdigen Verhältnis zur Wiedervereinigung?

    Hoyer: Die Südkoreaner haben auch in gewisser Weise Angst vor der Wiedervereinigung, weil sie sich das offensichtlich nicht zutrauen, diese große Herausforderung der koreanischen Wiedervereinigung zu Stande zu bringen. Deswegen sind sie in gewisser Weise auch halbherzig dabei.

    Heinemann: Sie haben eben gesagt, die Chinesen seien an einer Stabilisierung des Regimes interessiert. Den Nordkoreanern wünschte man natürlich, das Regime würde möglichst schnell implodieren. Ziehen denn alle Kritiker politisch am gleichen Strick, oder sind da nicht doch ganz unterschiedliche Interessen zusammen?

    Hoyer: Bisher haben wir keine Interessenharmonie zwischen den drei beziehungsweise vier Mitgliedern des Sicherheitsrates, also Großbritannien, Frankreich, den USA, dann Russland dazu auf der einen Seite, und China auf der anderen Seite, aber ich glaube, das verändert sich jetzt, weil es wird jetzt auch für China langsam sehr ungemütlich, was in Pjöngjang passiert, denn die Vorstellung der Chinesen, dass sie letztendlich das beeinflussen können, was in Nordkorea passiert, die erweist sich zunehmend auch als Illusion. Damit wird es auch für China gefährlich.

    Heinemann: Herr Hoyer, wie sollte die internationale Gemeinschaft reagieren, wenn Nordkorea jetzt eine Zone vor der Küste sperrt?

    Hoyer: Das ist eine schwierige Frage. Die kann ich nicht so mal eben aus dem Ärmel, tausende Meilen entfernt beantworten. Jedenfalls ist wichtig, dass da keine Unterschiede in den Positionierungen der Weltsicherheitsratsmitglieder plus Südkorea und Japan entstehen, denn die Situation vor Ort ist jederzeit außerordentlich brisant.

    Heinemann: Rechnen Sie damit, dass die Japaner aufrüsten werden?

    Hoyer: Das ist eine der ganz großen Gefahren für Japan, dass der Startschuss ist für eine große Aufrüstung und dass sich auch die ganze Frage der nuklearen Dimension in dieser Region neu stellt. Es wäre im Hinblick auf eine wirkliche Renaissance der Abrüstungspolitik, die weltweit ja jetzt ermöglicht wird, auch durch den Politikwechsel in den Vereinigten Staaten, ein erheblicher Rückschlag.

    Heinemann: Wenn man sich mal für einen Augenblick in die Denkweise in Pjöngjang hineinversetzt, dann wäre doch eine Lehre aus der Militäroperation in Iran oder in Afghanistan diejenige, dass wer ernst genommen werden will sich Atomwaffen verschaffen muss. Das gilt auch für den Iran, das gilt für Pakistan, das gilt unter anderen Vorzeichen auch für Israel.

    Hoyer: In der Tat gilt das als der große entscheidende Punkt für die Abrüstungs- und Weiterverbreitungspolitik. Wenn man den Nordkoreanern diese Sache durchgehen lässt, dann wird das Rückwirkungen zum Beispiel auf die Iran-Politik haben und damit einen Flächenbrand auslösen, der innerhalb weniger Jahre oder Jahrzehnte eine höhere zweistellige Anzahl von Nuklearmächten zur Folge haben würde, und damit wären die Proliferationsrisiken immer größer, auch im Hinblick auf nichtstaatliche Akteure und letztlich Terroristen. Das heißt also, es ist schon ein entscheidender Punkt auch für die Weiterverbreitungspolitik von Nukleartechnologie hier gegeben.

    Heinemann: Was bewirken Sanktionen, oder anders gefragt: sind sie mehr als diplomatische Pflichtübungen? Treffen sie das Regime?

    Hoyer: Sie treffen nur dann, wenn die Regierung selber Destabilisierung im eigenen Land befürchten muss, und das macht die Sache ja so kritisch. Dieses Regime ist absolut ruchlos und rücksichtslos und lässt das eigene Volk regelrecht aushungern. Das darf man nicht verkleistern. Es ist eine katastrophale menschenrechtliche Situation in Nordkorea und deswegen ist es schon wichtig, dass die Chinesen ihre Unterstützung, ihre direkte oder indirekte Unterstützung des Regimes auch über die Sicherstellung der Ernährung in Frage stellen, denn nur dann wird sich in Nordkorea tatsächlich etwas verändern. Das ist aber eine humanitär ausgesprochen schwierige Situation.

    Heinemann: Herr Hoyer, Sie haben eben positiv gewürdigt, dass die Russen im Sicherheitsrat mit im Boot sind. Lässt das hoffen für das artverwandte Problem Iran?

    Hoyer: Ich glaube ja. Es gibt da durchaus einige Interessenkongruenzen mit den westlichen Staaten und es gibt durchaus ein Interesse daran, möglicherweise die Frage der Wiederaufarbeitung auch gemeinsam zu lösen. Da gibt es ja Vorschläge auch von deutscher Seite und es wäre erfreulich, wenn man bei diesen Themen, insbesondere im Dialog zwischen den Vereinigten Staaten und Russland, weiter käme.

    Heinemann: Werner Hoyer, der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, vormals Staatsminister im Auswärtigen Amt. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Hoyer: Vielen Dank, Herr Heinemann. Tschüß!