Jane McGonigal "Bereit für die Zukunft"

Spielend Ungewissheit bewältigen

07:09 Minuten
Das Cover des Buches "Bereit für die Zukunft", im Englischen: "Imaginable", also "vorstellbar". Auf dunklem Untergrund stehen farbig changierende Buchstaben.
© Penguin Verlag

Jane McGonigal

Aus dem amerikanischen Englisch von Jürgen Neubauer

Bereit für die ZukunftPenguin Verlag, München 2022

464 Seiten

24,00 Euro

Von Paul Stänner · 26.11.2022
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Zukunftsangst scheint verständlich: Wir haben einen Krieg vor der Haustür, uns fehlt Energie zum Heizen. Andererseits heizen wir die Erdatmosphäre auf. Jane McGonigal hat dazu ein optimistisches Buch geschrieben und bietet spielerische Lösungen an.
Der homo ist ja nicht nur sapiens, also weise, er ist auch ein homo ludens, ein Mensch, der spielt. Genau das könnte nun seine Zukunftschancen verbessern. Wie wir uns mit Spielen für die Zukunft bereit machen, erklärt uns Jane McGonigal.
Sie ist Spieleentwicklerin und Zukunftsforscherin am „Institute of the future“ in Palo Alto in den USA. Ihr Job ist es, Spiele oder Simulationen zu entwickeln, mit denen man sich auf die Zukunft einstellen kann. Oder: könnte. Je nach der Bereitschaft, seine gewohnten Denkweisen aufzugeben. Da beginnt das Problem:
"Wenn wir Informationen erhalten, die unseren Überzeugungen widersprechen, dann machen wir in der Regel dicht. Unser Gehirn hat verschiedene Schutzmechanismen, es achtete weniger gut auf Informationen, die nicht in sein Weltbild passen, und wenn es sie trotzdem aufnimmt, vergisst es sie schneller wieder."

Unser Hirn mag keine Weltbild-Erschütterungen

Dieser Mechanismus schützt recht sinnvoll das Gehirn vor Überlastung, damit es nicht bei jeder neuen Information alle erprobten Modelle überprüfen muss. Andererseits stellt sich gelegentlich heraus, dass die Modelle nicht passen. Dann geht es schief. Wie lange haben unsere Politiker gedacht, bei Wladimir Putin würde sich ein Wandel vollziehen, wenn man nur genug Handel mit ihm treibe? Falsch! Oder das Tempolimit – gut für fast alle anderen, aber das deutsche Hirn macht bei diesem Vorschlag sofort dicht.

Da heißt es: spielen! Altes Denken verlassen.

Es fängt einfach an. Die meisten versuchen morgens nach dem Aufwachen, sich ihren Tag vorzustellen. Jetzt mal anders, schlägt Jane McDonigal vor: "Stellen Sie sich nun bitte vor, wie Sie in zehn Jahren aufwachen. Wo sind Sie heute in zehn Jahren? Was befindet sich in Ihrer Umgebung? Was sehen, hören, riechen und fühlen Sie? Was haben Sie an diesem Tag vor? Denken Sie an diesen Moment in zehn Jahren, bis Sie so viele Details wie möglich gesammelt haben."

Was sind eigentlich die wirksamen Kräfte in der Zukunft?

Der Sinn des Spiels besteht darin, Dinge, die in der Zukunft auf uns treffen können, vorauszuspielen. Der Begriff dahinter lautet „episodisches Zukunftsdenken“, kurz EZD, und meint die Fähigkeit, ein zukünftiges Ereignis vorzuerleben: "Egal, wie kreativ Sie sein mögen – wenn Sie EZD üben, können Sie davon ausgehen, dass auch Sie kreativer werden."

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Als erstes werden wir aufgefordert, die so genannten „Zukunftskräfte“ zu identifizieren, die das Kommende beeinflussen werden. Sagen wir: Klimakrise, weltweite Migration, hemmungslose Autokraten. Einerseits. Andererseits suchen wir auch die Kräfte, die einen positiven Einfluss haben könnten: Automatisierung am Arbeitsplatz, Recht auf lebenslanges Lernen, regenerative Kreislaufwirtschaft.
Dann können die Spiele beginnen. In naher Zukunft sitzen wir im weihnachtlichen Familienkreis. Die Wohnung ist auf gemütliche 16 Grad hochgeheizt. Jetzt sind wir beim geselligen Teil. Eine Diskussionsrunde wäre hilfreich, da kann man wild gestikulieren und der ganzen Familie wird warm. Wir wählen ein beliebiges Thema, auf das sich alle gut einigen können. Sagen wir: "Wladimir Putin fällt tot um."

Jedes Szenario sollte detailliert ausgemalt werden

Nach den Regeln von Jane McDonigal muss die Runde sich konkret ausmalen, was dieses Momentum in Bewegung setzen könnte: Wahrscheinlich Machtkämpfe der Putin-Nachfolger. Blutige Fraktionskämpfe in Russland. Neue Flüchtlingswellen. Die russische Energiewirtschaft versinkt im Chaos, Gas wird noch knapper.
All dies könnte die Familienrunde zusammen durchspielen und sehen, wie die Individuen reagieren würden: Wer wird mehr Pullover kaufen? Wer wird sich einer Hilfsorganisation anschließen, die Flüchtlinge versorgt – wer einer ausländerfeindlichen Partei?
Wer wird einen Vorrat aus Schusswaffen und Ravioli anlegen? All diese Szenarien müssen sehr detailgenau ausgedacht sein – Ravioli einfach oder besser die scharfen? Und immer verbunden mit der Frage: Wie fühle ich mich dabei? Habe ich Angst? Bin ich optimistisch?
Eine weitere Anregung der Autorin wäre eine sehr persönliche Variante des Gedankenspiels auf die Zukunft. Hier Auszüge: "Wie lebendig können Sie sich vorstellen, wie Sie in zehn Jahren sein werden? 1) gar nicht oder 4) recht gut oder 6) perfekt? Wie ähnlich sind sie heute dem, wie Sie in zehn Jahren sein werden? 1) vollkommen anders oder 4) ähnlich oder 6) identisch?"

Gute Idee – aber der Tonfall nervt

Wegen der möglicherweise giftigen Kommentare aus der Verwandtschaft wäre das vermutlich kein Thema für Weihnachten. Mögliche Szenarien gibt es ohne Ende. McGonigals Buch liefert auf der Grundlage ihrer jahrelangen Forschungsarbeit Spielregeln, wie die Spiele abzulaufen haben: "In diesem Buch geht es nicht darum, die Zukunft möglichst korrekt vorherzusehen. Es geht darum, eine Zukunft zu schaffen, die Sie sich wünschen: zufriedener, gesünder, sicherer, gerechter, nachhaltiger und schöner."
Man wäre nicht der bodenständige, superskeptische Deutsche, wenn einem dieser Tonfall einer Erweckungsreligion nicht auf die Nerven fallen würde. Man muss als Leserin oder Leser tolerant sein gegenüber einigen forciert amerikanischen Beimischungen. Das beständige Selbstmarketing der Autorin ist lästig. Auch das Bejubeln von eigener Leistung, dazu die oft banalen Zitate von unbekannten Personen, die eingestreut werden, um breite Zustimmung zu simulieren.
Vor allem der gnadenlose Optimismus, mit dem der Erfolg der Methode und infolgedessen die leuchtende Zukunft für alle beschworen wird – so, als gäbe es die guten alten, zutiefst menschlichen Eigenschaften wie Neid, Missgunst, Gier, Geiz und Mordlust oder schlichtweg Dummheit nicht. Aber wenn man das Buch in die Hand nimmt, wie man es soll – nämlich als ein Spiel, nicht als Handbuch –, macht es einen unterhaltsamen und sogar fruchtbringenden Eindruck.
Also – Kekse und Spiele! Weihnachten kann kommen, die Zukunft kann kommen.

Jane McGonigal "Bereit für die Zukunft"
Das Unvorstellbare denken und kommende Krisen besser meistern
Aus dem amerikanischen Englisch von Jürgen Neubauer
Penguin Verlag, München 2022
464 Seiten, 24 Euro

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