"Elijah, der Prophet von Minsk"

Gelesen von Olaf Ölstrom · 14.09.2012
Ein Chassid, ein frommer Anhänger des Baal schem tov aus Medzibusch ging zu ihm und sagte: "Rebbe, ich will den Propheten Elijah sehen." "Das ist einfach", antwortete der Baal Schem. "Ich werde dir sagen, wie."
Nimm zwei Kisten, fülle die eine mit Lebensmitteln und die andere mit Kinderkleidung. Kurz vor Rosch Haschanah fährst du damit nach Minsk. Am Stadtrand, gerade dort, wo der Wald beginnt, steht eine ärmliche Hütte. Finde sie, aber klopfe nicht sofort an, sondern bleibe davor stehen und lausche, was drinnen gesprochen wird. Wenige Minuten, bevor es Zeit ist, die Feiertagslichter zu segnen, klopfst Du an die Tür und bittest um Gastfreundschaft."

Der Chassid ging nach Hause, eröffnete seiner Frau, dass er zu den Hohen Feiertagen nicht zu Hause sein werde. Die wurde böse: " Wie kannst du deine Familie im Stich lassen? Deine Kinder brauchen den Vater, der mit ihnen zur Synagoge geht!" "Aber ich habe die einmalige Chance, dem Propheten Elijah zu begegnen und die möchte ich keinesfalls verpassen".

Das sah seine Frau ein und ließ ihn ziehen. Er packte also die beiden Kisten, fuhr nach Minsk und erreichte kurz vor Einbruch der Dunkelheit das windschiefe Hüttchen am Stadtrand. Er klopfte noch nicht, sondern lauschte. Drinnen hörte er das Weinen und Jammern der Kinder: "Mame, wir sind so hungrig und Mame, wir haben nichts für den Feiertag anzuziehen. Alle unsere Kleider sind zerschlissen und geflickt" Und er hörte die Mutter antworten: " Kinder, vertraut auf G´tt. Er wird uns den Propheten Elijah schicken und der bringt alles, was ihr braucht."

Da klopfte der Chassid an die Tür. Als die Frau öffnete, fragte er, ob er die Feiertage über bei ihnen bleiben könne. "Wie", so entgegnete diese," kann ich euch willkommen heißen, wenn ich nicht ein Stückl Brot im Hause habe und selbst meine Kinder nicht satt bekomme!" "Keine Sorge, ich habe genug für uns alle". Er trat ein, öffnete die Kiste mit den Lebensmitteln und gab allen davon zu essen. Dann öffnete er die zweite Kiste und die Kinder konnten sich neue Kleider für den Feiertag heraus nehmen: ein Hemd, eine Bluse, eine Jacke, ein Hut, ein Rock, eine Hose. Der Chassid blieb die ganzen Feiertage über und wartete nun seinerseits auf den Propheten. Er traute sich noch nicht einmal, zu schlafen, um ihn ja nicht zu verpassen. Aber er sah niemanden!

So kehrte er sehr enttäuscht zurück, suchte den Baal schem Tov auf und klagte:" Rebbe, ich habe den Propheten Elijah dort nicht gesehen." "Hast du alles gemacht, was ich dir aufgetragen habe?" "Natürlich!" "Aber du hast ihn dennoch nicht gesehen?" "Nein, Rebbe". "Dann musst du noch einmal nach Minsk fahren, wieder mit einer Kiste voller Nahrungsmittel. Sei vor Einbruch der Dunkelheit dort, klopfe nicht sofort an und höre, was man drinnen spricht."

Und wieder stand er vor der Tür der schäbigen Hütte, nur diesmal etwas zeitiger und lauschte. Drinnen jammerten die Kinder: "Mame, wir haben den ganzen Tag noch nichts gegessen, wir sind so schrecklich hungrig, Wie sollen wir da zu Jom Kippur fasten?" "Kinder," sagte da die Mutter beruhigend, erinnert ihr euch, zu Rosch Haschanah hatten wir auch nichts zu essen und keine neuen Kleider für euch. Und ich sagte euch, vertraut auf G’tt, er wird den Propheten Elijah schicken, der euch alles bringen wird, was ihr braucht. Und? Ist er nicht gekommen? Er brachte euch Essen und Kleidung und ist zwei Tage lang bei uns geblieben. Nun jammert ihr wieder und ich verspreche euch, auch diesmal wird Elijah kommen und euch zu essen bringen!"

Da verstand der fromme Chassid, was der Baal Schem Tov gemeint hatte, als er sagte, er werde den Propheten sehen – und klopfte an die Tür.