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Nutztierhaltung
"Agrarpolitik gibt viel Geld für Unsinn aus"

Zu wenig Platz, kaum Abwechslung und eintönige Ställe: In der Nutztierhaltung besteht nach einer Studie des Wissenschaftlichen Beirats der Agrarpolitik dringender Verbesserungsbedarf. Oft würden zu hohe Kosten als Gegenargument genannt, doch dieses Argument sei falsch, erklärt der Mitherausgeber der Studie, Harald Grethe.

Harald Grethe im Gespräch mit Susanne Kuhlmann | 26.03.2015
    Schweinemast in Deutschland: Dieses Tier leidet unter seinem eigenen Körpergewicht und kann sich nur mit Mühe aufrichten.
    Der Wissenschaftliche Beirat der Agrarwirtschaft fordert die Verbesserung der Nutztierhaltung. (dpa)
    Susanne Kuhlmann: Katzen und Hunde leben wie im Paradies, oft als geliebte Lebenspartner ihrer Besitzer. Ganz anders die Haltung vieler Menschen zu den Tieren, die ihnen nur als fertig verpacktes Bratenstück im Supermarkt begegnen.
    Seit gestern haben auch Puten und Schweine eine Lobby, denn der Wissenschaftliche Beirat Agrarpolitik, der dem Bundesernährungsministerium zugeordnet ist, stellte eine Studie brisanten Inhalts vor. "Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung" heißt sie und sie fordert nichts weniger als eine Trendwende in den Mastställen.
    Am Telefon ist Professor Harald Grethe von der Universität Hohenheim, der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats Agrarpolitik. Was, Herr Grethe, im Einzelnen ist am derzeitigen Alltag in den Nutztierställen denn nicht zukunftsfähig, wie Sie es nennen?
    Harald Grethe: Schönen guten Tag, Frau Kuhlmann. Es ist so, dass vor allen Dingen die Haltungsbedingungen den Tieren relativ wenig Raum bieten für das Ausleben ihres natürlichen Verhaltens. Das heißt, sie haben zu wenig Platz und die Tiere haben zu wenig Beschäftigungsmaterialien. Es gibt häufig viel zu wenig abwechslungsreiche Klimabedingungen, das heißt wir haben geschlossene Ställe mit reguliertem Klima. Und wir haben häufig sehr einseitige Bodenbeläge, zum Beispiel ausschließlich Holzspaltenböden.
    Das ist sehr unterschiedlich pro Tierart. Das ist bei Milchkühen deutlich besser, dort ist der Handlungsbedarf eher gering. Aber gerade in der intensiven Schweinemast, in der intensiven Rindermast, in der intensiven Geflügelmast besteht unserer Ansicht nach hier erheblicher Handlungsbedarf, was die Verbesserung der Haltungsbedingungen angeht.
    "Anreize schaffen für mehr Tierwohl"
    Kuhlmann: Konsumenten wünschen sich mehr Tier- und Umweltschutz in den Ställen, haben Sie ausgemacht, auch zum eigenen Schutz, wenn Sie an das Problem der Antibiotika-Resistenzen denken. Aber Landwirte müssen ja von Tierhaltung leben. Was schlagen Sie denn vor, um den Konflikt zu lösen?
    Grethe: Genau. Das ist der zugrunde liegende Konflikt, dass immer dann, wenn man sagt, wir brauchen mehr Tierschutz, natürlich sofort im Raum steht, das ist aber ganz schwierig, weil das ja viel kostet, und deswegen kann man das nicht tun, denn wenn man es täte, dann sei man nicht mehr wettbewerbsfähig und dann wird nicht mehr im Inland produziert, sondern die Tierproduktion hier verschwindet und die Ware kommt aus dem Ausland herein.
    Das ist als Mechanismus richtig, und dort machen wir als Wissenschaftlicher Beirat eine ganze Reihe von Vorschlägen, wie man das verhindern kann. Zum Beispiel ist das der starke Ausbau sogenannter Tierschutzprämien in der Agrarpolitik. Wir haben viel Geld in der europäischen Agrarpolitik, das im Großen und Ganzen, sage ich mal, für Unsinn ausgegeben wird, sehr pauschal ausgegeben wird. Dort könnten wir ganz spezifische Anreize schaffen mit dem Geld für mehr Tierwohl.
    Wir haben ein Tierschutz-Label des Deutschen Tierschutzbundes.
    Wir plädieren dafür, dass dies in ein staatliches Label umgewandelt wird, ähnlich wie das Biosiegel, und sich die Bundesregierung hinter dieses Siegel stellt und es auch intensiv bewirbt. Damit könnte man sehr viel mehr Verbraucherakzeptanz erreichen und damit auch mehr Zahlungsbereitschaft an der Ladentheke.
    Wir sehen auch Handlungsbedarf in der Privatwirtschaft. Es gibt die sogenannte Brancheninitiative Tierwohl, da wird Geld im Lebensmittel-Einzelhandel eingesammelt, um es Landwirten zur Verfügung zu stellen. Das soll noch ausgebaut werden. Ebenfalls muss nachgedacht werden über Auslistungsentscheidungen, dass Ware, die bestimmten Tierwohlkriterien nicht entspricht, gar nicht mehr angeboten wird.
    Kuhlmann: Schweineglück - der Wissenschaftliche Beirat Agrarpolitik legt in einer Studie dar, wie die Haltungsbedingungen von Nutztieren verbessert werden können. Danke an den Beiratsvorsitzenden Professor Harald Grethe.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.