Pulverfass Nairobi

Wo junge Männer wie Hunde sterben

Ein Demonstrant steht in Nairobi neben einer brennenden Barrikade und hält ein Schild mit der Aufschrift: "Kein Raila, kein Frieden".
Ein Demonstrant in einem Slum in Nairobi hält ein Schild mit der Aufschrift: "Kein Raila, kein Frieden". © AFP / Tony Karumba
Von Linda Staude · 02.10.2017
Raub, Einbrüche und Plünderungen sichern Gang-Mitgliedern in Nairobi das Überleben. Doch viele der jungen, zornigen Männer sterben durch Polizeikugeln. Ohne Job, ohne Hoffnung auf ein legales Einkommen scheint der Kampf gegen das Verbrechen in den Slums aussichtslos.
Schwer bewaffnete Polizisten patrouillieren durch die Straßen von Nairobis Slums. Sie setzen Tränengas gegen wütende Demonstranten ein – und auch scharfe Munition.
An den Straßenrändern brennen die Überreste kleiner Marktstände – wie der von Händlerin Mani Waituera.
"Sie haben meinen Gemüsestand angezündet, weil Hooligans die Wahl ausnutzen wollen. Sie haben den Stand als Barrikade benutzt, damit die Polizei uns nicht gegen Plünderer helfen konnte."
Es ist der 11. August – die Nacht nach der Bekanntgabe des inzwischen annullierten Wahlergebnisses in Kenia. Die Proteste von Oppositionsanhängern kosten mindestens zwölf Menschen das Leben – und sind genau das, worauf Jafa Domingo gehofft hat.
"Das ist eine gute Gelegenheit. Denn wenn Unruhen anfangen, dann können wir richtig plündern. Die Leute haben Geld im Haus für den Fall, dass sie schnell abhauen müssen. Wir wollen Gewalt, damit wir dieses Geld kriegen können."
Jafa Domingo ist in Kibera aufgewachsen, Nairobis größtem Slum. Heute ist er 27 und lebt seit 15 Jahren von Einbruch, Diebstahl und bewaffnetem Raub.
"Wir haben schon als Kinder mit dem Stehlen angefangen. Nicht später als Erwachsene, sondern mit zwölf oder zehn, manche mit sieben oder acht. Und wenn man erstmal zu einer Gang gehört, gibt es keinen Weg mehr zurück."
Inzwischen ist der junge Mann einer der Anführer seiner Gang Danger Zone – zu Deutsch Gefahrenzone.

"Ich war mein ganzes Leben ein Verbrecher"

Zum Treffen auf einem wenig benutzten Feldweg am Rand von Kibera kommt er in einer schwarzen Lederjacke – bis zum Hals geschlossen, um seine Waffe zu verbergen. Sein Kumpel Duncan Ochanda hält ständig Ausschau nach Polizisten.
"Wir sind gefährliche Jungs. Ich war mein ganzes Leben ein Verbrecher. Viele meiner Freunde sind gestorben, aber ich hatte Glück und bin noch am Leben."
Die Gang-Mitglieder leben gefährlich. Jafa trägt ein Tattoo auf dem Arm – zur Erinnerung an elf seiner Freunde, die von der Polizei erschossen wurden. Auch wenn die bei den meisten Verbrechen mit drinhängt, sagt er bitter.
"In der Zeit zwischen 2004 und 2007 haben wir oft Mordaufträge bekommen. Heutzutage macht das die Polizei. Sie hat uns unsere Arbeit weggenommen. Ein Auftragsmord hat mir locker 200.000 Shilling gebracht, die jetzt ein Polizist einsackt. Wenn ich heute in Kibera ein Verbrechen begehen will, dann muss ich vorher dem Beamten Bescheid geben, der die meisten jungen Männer erschossen hat, und ihm seinen Anteil zahlen."
Geld hat die Gang trotzdem noch genug – und die Gefahr schreckt den Nachwuchs nicht ab.
"Es gibt diesen Gruppendruck: Verbrechen ist wie eine Mode. Es ist ein cooles Leben. Wenn Du zu Deinen Freunden gehst, haben die Adidas-Turnschuhe und Sahara-Stiefel. Die sind in und kosten 1800 Shilling. Und Du bist jung und siehst, dass Du zu Hause von weniger als einem Dollar leben musst."
Francis Mwangi Gabriel war früher selbst bei Danger Zone. Weil seine Freunde in der Gang waren und weil er verzweifelt einen Weg aus der Armut gesucht hat.
"Es tut so weh, wenn man hungrig ins Bett gehen muss. Oder wenn man Hilfe von der Regierung sucht und die nur sagt: Wir arbeiten dran. In Kibera, in allen Slums, ist es, als wäre man in einer anderen Welt."

Der Drop-the-Gun-Initiative fehlt das Geld

Nach einem schweren Verkehrsunfall und Monaten in Reha hat Mwangi die Gang verlassen. Heute versucht er, andere junge Männer dazu zu bringen, ihre Waffen niederzulegen. Seine Drop-the-Gun-Initiative hat im vergangenen Jahr 14 Schusswaffen eingesammelt. Auch Duncan Ochanda hat seine feierlich abgegeben – für eine Weile.
"Ich bin Busfahrer. Aber wenn ich zum Eigentümer eines Minibusses komme, hat er schon einen Verwandten vom Land eingestellt. Trotzdem braucht mein Sohn etwas zu essen und der Vermieter erwartet seine Miete."
Ohne Job, ohne Hoffnung auf ein legales Einkommen ist der Kampf gegen das Verbrechen in den Slums aussichtslos, sagt Mwangi. Tödliche Polizeischüsse lösen das Problem sicher nicht.
"Wir wollen nicht, dass die jungen Männer wie Hunde sterben. Ich glaube an die zweite Chance im Leben. Ich weiß, wieviel Zorn sie in sich haben. Und wir warten besser nicht, bis dieser Zorn sich Luft macht."
Die Drop-the-Gun-Initiative organisiert Ausbildungszentren, in denen ehemalige Gang-Mitglieder einen legalen Beruf lernen können. Aber das Projekt steht erst am Anfang und noch fehlt das Geld. Jafa Domingo hält die Idee ohnehin für aussichtlos – zumindest für langjährige Verbrecher wie er selbst einer ist.
"Ich habe keine andere Möglichkeit zu überleben. Niemand traut mir. Jeder kennt mich, weil ich schon so lange stehle. Wenn man jemanden ausgeraubt hat und dann irgendwann zurückkommt, um nach Arbeit zu fragen, wird er Dir kaum einen Job geben."

"Man lebt ohnehin nur zum Sterben"

Er stiehlt für seine Frau und seinen acht Monate alten Sohn, sagt er. Für seine Familie ist gesorgt, selbst wenn er durch Polizeikugeln sterben sollte wie seine elf Freunde vor ihm.
"Das Schlimmste, das sie uns antun können, ist uns umzubringen. Aber man lebt ohnehin nur zum Sterben. Also wenn mich jemand von meinem Leid erlöst, soll er doch. Ich habe keine Angst. Denn wenn es heißt: Er oder ich, würde ich ihn ganz sicher niederschießen."
Lebende Tote, so nennt Mwangi die Gang-Mitglieder. Er macht die Untätigkeit der Regierung für die oft blutigen Folgen des Elends in den Slums verantwortlich – und auch die vielen internationalen Hilfsorganisationen, die nur Projekte für Mädchen anbieten.
"Kleine Jungen werden überhaupt nicht beachtet. Jeder versucht das Leben von Mädchen zu verbessern. Das sind unsere Schwestern, aber wir brauchen Gleichberechtigung. Niemand wird eines Tages wach und will plötzlich alles zerstören. Wir wollen diese Gewalt nicht, aber die Lebensumstände hier erlauben nichts anderes."
Duncan Ochanda hofft, dass sich das zumindest für seinen Sohn ändern wird. Für ihn selbst kommt jede Hilfe zu spät, sagt er. Der 34-Jährige hat sich längst eine neue Waffe besorgt und lebt wieder von Raub und Einbruch. Aber sein Sohn soll nicht so werden wie er.
"Mein Ziel ist jetzt, hart zu arbeiten und mehr Leute zu erschießen. Aber mein Kind soll nicht wissen, woher mein Geld kommt. Ich will, dass mein Sohn zur Schule geht. Vielleicht kann er mich irgendwann retten – wenn ich nicht vorher durch eine Kugel sterbe."
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