"Nun bin ich ein Friedensstifter"

Von Christina Küfner · 12.07.2013
Noel Large von "Interaction Belfast" kämpft seit zehn Jahren dafür, dass die Gewalt in seinem Land aufhört. In seiner Jugend hat er als militanter Protestant selbst einen Mord begangen und saß deshalb lange in Haft - vor diesem Schicksal will er die nächste Generation bewahren.
Wenn man Noel Large in seinem kleinen Büro am Computer sitzen sieht, könnte man ihm ohne weiteres auch eine Beamtenlaufbahn abkaufen: Bügelfaltenhose, blauer Pulli mit Hemdkragen, blank geputzte Lederschuhe. Nur die Tätowierungen auf seinen Armen passen nicht ins Bild. Vor allem nicht die mit den Buchstaben UVF.

"Ich war ungefähr anderthalb Jahre lang aktives Mitglied bei der Protestanten-Miliz Ulster Volunteer Force. Man hat mich mehrfach verhaftet - wegen schwerer Verbrechen inklusive Mord."

1982 wird Noel zu lebenslanger Haft verurteilt. Denn der kleine, dünne Mann mit der Glatze war an der Ermordung von vier Menschen beteiligt. Wie genau, lässt er offen. Alle Opfer waren Katholiken.

"Mein Denken war damals durch und durch von konfessionellem Hass bestimmt. Ich dachte, dass alle Katholiken den bewaffneten Kampf der IRA unterstützten und jede Art von Widerstand gerechtfertigt ist. Heute weiß ich, dass das eine sehr einfache Weltsicht ist - aber nur so konnte ich tun, was ich damals getan habe."

Dass er heute frei ist, verdankt Noel Large dem Karfreitagsabkommen von 1998: Häftlinge, die wegen politischer Gewalt einsaßen, erhielten damals unter bestimmten Auflagen eine Amnestie. Noel wird nach 16 Jahren Haft entlassen - in denen er viel Zeit zum Nachdenken hatte.

"Im Gefängnis habe ich eingesehen, dass Gewalt nichts bringt. Dass ich damit nur noch mehr Elend und Leid heraufbeschwöre. Und ich habe begriffen, dass ich junge Leute vor meinen Fehlern warnen kann."

Deshalb arbeitet Noel nun bei Interaction Belfast, einer NGO, die sich gegen Gewalt und Ausgrenzung engagiert. Das Büro teilt er, der für die Ermordung von Katholiken ins Gefängnis musste, bereits seit vielen Jahren mit Roisin McGlone, einer Katholikin.

"Hätte mir jemand prophezeit, dass ich mal mit einer Katholikin zusammenarbeiten werde, hätte ich das nicht geglaubt. Heute ist meine Einstellung: Lass uns hinsetzen und miteinander reden."

Für Roisin, eine blonde, mütterliche Frau um 50, ist Noels Vergangenheit kein Thema. Die Details will sie gar nicht wissen, sagt sie. Denn jetzt geht es um die Zukunft.

"Wir machen das hier, damit sich sowohl für Katholiken als auch für Protestanten etwas verbessert. Wenn wir zusammen arbeiten, dann werden unsere Kinder in einer besseren Gesellschaft aufwachsen."

Noch immer religiöse Spannungen
Denn die nordirische Gesellschaft ist bis heute tief gespalten. Auch wenn die heiße Phase des Konflikts vorbei ist - Spannungen zwischen Protestanten und Katholiken gibt es nach wie vor.

Noel Large hat sein Büro verlassen und geht die Springfield Road entlang, eine breite Straße im Westen von Belfast, die auf gut 400 Metern von einer haushohen Wand aus Beton, Metall und Draht gesäumt wird. "Peace Wall" nennen die Menschen solche Absperrungen hier: Friedensmauer - ein Schutzwall zwischen den Wohngebieten von Katholiken und Protestanten.

"Vor dem Nordirlandkonflikt gab es diese Mauer nicht. Als die Gewalt dann aber eskalierte, haben sich die Menschen verschanzt, erst hinter Barrikaden - und dann hinter dieser Mauer."

Auch Noel Large kommt aus einem Viertel mit so einer Trennwand. Deshalb weiß er auch, wie tief sie sich ins persönliche Bewusstsein eingraben kann.

"Für viele Leute sind diese Mauern ein Teil ihres täglichen Lebens - sie sind wie eine zweite Natur. Das Problem ist, dass die Menschen Angst vor Veränderungen haben und deshalb daran festhalten."

Kurze Zeit später steht der 53-Jährige im Saal eines großen, hellen Gemeindezentrums und holt aus einer Kiste einen Stapel mit Faltblättern. "Beyond the wall" ist darauf zu lesen, "Jenseits der Mauer". Seine NGO hat eine Ausstellung organisiert - etwa zwei Dutzend Stellwände mit bunten und Schwarz-Weiß-Fotografien.

Bewusstsein, was Gewalt anrichtet
Die Bilder zeigen, wie es in dem Stadtviertel vor dem Nordirland-Konflikt ausgesehen hat - und wie es heute dort aussieht: verödete Straßen, vergitterte Fenster. Weiter hinten steht Noels Kollegin Roisin und spricht mit einigen Besuchern. Die Ausstellung soll ein Bewusstsein dafür schaffen, was die Gewalt angerichtet hat, sagt sie.

"Bei allen Konflikten, die es auf dieser Welt gibt, wird der Schmerz über Generationen weiter geben. Aber irgendwann muss man diesen Kreis durchbrechen und sagen: genug. Genau das machen wir."

Eine kleine Mädchengruppe betritt das Foyer, angeführt von einem Betreuer. Noel Large übernimmt die Kinder und führt sie von Stellwand zu Stellwand. Vor einer bleibt er stehen und zeigt auf ein Schwarz-Weiß-Bild mit lachenden Frauen in einem Tanzcafé - ein altes Foto aus den besseren Tagen des Viertels.

"Ist das hier?", fragt ein Mädchen mit langen Zöpfen ungläubig. Ja, damals gab es das hier, antwortet der einstige Mörder Noel und auch er scheint immer noch zu staunen: darüber, dass es hier früher einmal friedlicher zuging - und ein Stück weit wohl auch über sich selbst:

"Wenn mir jemand vor 30 Jahren gesagt hätte, dass ich meine Einstellung so ändern würde - ich hätte es nicht geglaubt. Tief in mir weiß ich, dass ich jetzt etwas besser machen will und ja: nun bin ich ein Friedensstifter."
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