Dienstag, 30. April 2024

Archiv

Tierforschung
Bienen verstehen, was "Null" bedeutet

Bienen sind offenbar in der Lage, das abstrakte Konzept einer leeren Menge zu verstehen - das ist das Ergebnis einer experimentellen Studie. "Bienen sind außerordentlich kluge Tiere", sagte Tierforscher Andreas Nieder dazu im Dlf. Das sei erstaunlich, da sie weniger als eine Million Nervenzellen in ihrem Gehirn hätten.

Andreas Nieder im Gespräch mit Christiane Knoll | 08.06.2018
    Bienen kehren zu ihrem Stock auf dem Lohrberg im Nordosten von Frankfurt am Main zurück.
    Die leere Menge als "evolutionär altes Wissen": Bienen sind offenbar schlauer, als bislang angenommen (dpa / Frank Rumpenhorst)
    Christiane Knoll: Null ist weniger als eins. Klare Sache, denken Sie jetzt vielleicht, aber die Menschheit hat lange gebraucht, bis sie das Nichts als Quantität erfasst hatte, und auch jeder einzelne von uns musste als Kind erst lernen, wie sich das Nichts in unseren Zahlenraum einfügt.
    Das Konzept hinter der Null ist anspruchsvoll. Umso erstaunlicher, dass Bienen es verstehen. Das nämlich haben Forscher um die Australierin Scarlett Howard jetzt herausgefunden.
    Ihre Studie ist heute im Fachmagazin Science erschienen, eingeordnet hat sie in derselben Ausgabe der Hirn- und Intelligenzforscher Andreas Nieder von der Universität Tübingen, und mit ihm bin ich jetzt am Telefon verbunden.
    Schönen guten Tag, Herr Nieder.
    "Das ist schon erstaunlich"
    Andreas Nieder: Ja, es hat mich schon ein bisschen überrascht, denn Bienen sind ja nur sehr entfernt mit uns Menschen verwandt. Der letzte gemeinsame Vorfahre hat vor mehr als 600 Millionen Jahren gelebt, entsprechend haben die Bienen auch eine ganz andere Hirnorganisation. Und es ist schon erstaunlich zu sehen, dass sie dieses abstrakte Konzept einer leeren Menge spontan und sofort verstehen.
    Knoll: Es geht nicht um die Ziffer Null, sondern darum zu erkennen, dass nichts weniger ist als eins und deutlich weniger als zwei oder drei. Können Sie ganz kurz zusammenfassen, wie das Bienenexperiment aussah?
    Nieder: Ja, das Bienenexperiment sah so aus, dass Wild-, freifliegende Bienen markiert wurden und an bestimmte Testorte gelockt wurden, auf denen man ihnen beigebracht hat, Bilder, die verschiedene Punktemengen zeigen, nach einer Größer-als- oder nach einer Kleiner-als-Regel zu ordnen. Das heißt, eine Gruppe der Bienen musste immer eine kleinere Menge an gezeigten Punkten anfliegen, um eine Zuckerbelohnung zu bekommen, und eine andere Gruppe von Bienen musste immer das Bild anfliegen, das mehr Punkte zeigte als eine Vergleichsmenge.
    Knoll: Ich nehme an, die bekamen dann eine Belohnung?
    Nieder: Genau, die Belohnung bestand in Zuckerwasser, das mögen Bienen ja sehr gern, so ähnlich wie Nektar.
    Belohnung mit Zuckerwasser
    Knoll: Das war also jetzt die Vorbereitung. Und wie ging es dann weiter Richtung Null?
    Nieder: Das erste große Ergebnis war, dass die Bienen tatsächlich diese Kleiner-als- und Größer-als-Regel verstanden. Sie konnten also Anzahlen nach dieser Regel ordnen. Und nachdem die Bienen das gelernt hatten, führten die Forscher plötzlich leere Mengen ein, also sie hatten Bilder, auf denen keine Elemente mehr zu sehen waren. Und das Erstaunliche war, dass die Bienen, die auf die Kleiner-als-Regel trainiert waren, sofort verstanden, dass die Abwesenheit von Elementen, also die leere Menge kleiner ist als ein Punkt oder zwei Punkte oder drei Punkte, und also dann immer diese leere Menge, dieses leere Bild anflogen.
    Andreas Nieder vom Institut für Neurobiologie an der Universität Tübingen
    Andreas Nieder arbeitet am Institut für Neurobiologie an der Universität Tübingen (© Andreas Nieder)
    Knoll: Kann es nicht sein, dass das gar nichts mit dem Konzept der Null zu tun hatte, sondern dass die Bienen Muster erkannt haben?
    Nieder: Das haben die Autoren sehr genau kontrolliert. Man kann ausschließen, dass die Bienen hier Muster unterschieden, sondern dass sie wirklich die Anzahl der Elemente unterschieden haben.
    "Jetzt werden wahrscheinlich die Dämme brechen"
    Knoll: Bienen haben wesentlich weniger Hirnzellen als wir Menschen. Wie machen die das? Verstehen Sie es? Bienen gelten ja auch sonst als sehr klug.
    Nieder: Genau, Bienen sind außerordentlich kluge Tiere, erstaunlich klug, stellt man immer fest. Das Erstaunliche ist, dass sie weniger als eine Million Nervenzellen in ihrem Gehirn haben. Wenn man das vergleicht mit 86 Milliarden Hirnzellen in unserem Gehirn, dann ist das schon sehr erstaunlich. Man weiß leider heute noch nicht, wie das genau im Hirn verarbeitet wird von den Bienen, da es solche Experimente noch nicht gibt.
    Knoll: Delfine, Affen, Menschenaffen und ein Papagei, für diese Arten wurde bereits nachgewiesen, dass sie die Null richtig einordnen können. Was schätzen Sie, kommt da jetzt nur die Biene dazu oder gibt es noch weitere Kandidaten, die diesen Intelligenztest nur noch nicht machen durften?
    Nieder: Ich würde vermuten, dass da jetzt wahrscheinlich die Dämme brechen werden und man wird bei ganz vielen verschiedenen Tierarten nachschauen, ob sie nicht doch ein Konzept der leeren Menge verstehen. Und meine Vorhersage wäre, dass wahrscheinlich viele Tiere auf ganz verschiedenen Zweigen des Lebensbaums mit diesem Konzept umgehen können. Es scheint tatsächlich ein sehr evolutionär altes Wissen oder Konzept zu sein, das viele Tiere verstehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.