Würstchen in Nadelstreifen

Rezensiert von Joachim Scholl · 02.05.2005
Jeder, der das Privileg genießt, Business Class zu fliegen, kennt das erhebende Gefühl, plötzlich zur Elite dieser Welt zu gehören. Champagner wird gereicht, wir stöpseln unseren Laptop ein, hinten in der Economy seufzt der eingepferchte Pöbel, tjaja, man ist schon ungleich wichtiger da vorne.
Wie aber mag es da einem Top-Manager ergehen, der aus Kostengründen Touristenklasse gebucht hat und jetzt feststellt, dass er mit diesem auch noch freiwilligen sozialen Abstieg überhaupt nicht klarkommt? Eine solche Situation hat Martin Suter in seinem ersten 2000 veröffentlichten Band und Bestseller "Business Class. Geschichten aus der Welt des Managements" beschrieben, die alle einer regelmäßigen Kolumne in der Zürchen "Weltwoche", inzwischen des "Tagesanzeigers", entstammen.

Viele neue Texte sind seither zusammengekommen, mit "Huber spannt aus" erscheint nunmehr das dritte Buch voller eleganter Notizen über Männer in Nadelstreifen, deren perfekter Sitz ein ums andere Mal nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass sich doch nur ein armseliges Würstchen darin tarnt.

Zum Beispiel der Executive Zuppinger. Der steht eines Tages vor dem Badezimmerspiegel und hält Ausschau nach seinem Charisma. Das müsse man nämlich haben, um richtig Karriere zu machen: "In die oberste Liga steige man nur auf, heißt es, wenn man Charisma vorweisen könne." Blöd ist nur, dass Zuppinger nicht genau weiß, was man darunter versteht. Und jemanden fragen, geht natürlich nicht. Zuppinger probiert’s mit edler Garderobe. Am Ende verrät eine mutig ausgewählte knallgelbe Krawatte mit leuchtendroten Zacken den ganzen Jammer einer heillos uncharismatischen Existenz.

Der mittlerweile 57-jährige Schweizer Martin Suter hat wohl entsprechende Erfahrungen in seiner eigenen Wirtschaftskarriere gemacht. Schon mit 27 Jahren war er in einer Werbe-Agentur der erste Mann, später gründete er seine eigene. Und quer durch die Hierarchien müssen sie Suter begegnet sein: die Hubers, Zuppingers, Heilmanns oder Ganters, wie Suter seine Geschäftsleute so nennt, die er dann mit Wonne und stilgerecht zerlegt. Personen und Gelegenheiten sind selbstverständlich fiktiv, aber eben auf jene Weise des Belletristen ersonnen, dessen Erfindungen den Kern der Wahrheit besser treffen als jede Dokumentation oder Reportage aus der Arbeitswelt. Die Psychologie der Chefs, der Umgang mit Kollegen, wer spricht mit wem auf der Weihnachtsfeier, Karriereplanung durch cleveres Arschkriechen - Suter kennt die Codes und Rituale, die feinen Abstufungen sozialer Rangfolgen und das lächerliche, oft so durchsichtige Gestrampel, das daraus resultiert. Es geht um Macht, Einfluss und Geld auf hohem Niveau, doch durch die Bank entpuppen sich die hohen Herren als genauso kleinlich-dämliche Durchschnittsmenschen wie jene aus der unteren Einkommensklasse.

Suters Betrachtungen erschöpfen sich jedoch nicht nur in glänzender Satire. Er ist ein Alltags-Soziologe ersten Ranges, weil er - hierin einem Siegfried Kracauer oder Adorno durchaus verwandt - über das spezifische Klassendetail hinaus den gesamten gesellschaftlichen Kontext einfängt, der die verschiedenen Schrulligkeiten fördert oder überhaupt erst erzeugt. Die ganze Welt leidet demnach unter einem Dachschaden, den sie als solchen gar nicht registriert; die Sphäre des Business dient als Metapher fürs falsche Leben, das unter den herrschenden Bedingungen sich kaum zum richtigen verändern kann.

Suter ist jedoch alles andere als ein verbitterter Prediger der "befreiten" Gesellschaft. Er beobachtet nur, erspürt punktgenau die große Komik, die aus den emotionalen Verdruckstheiten der Manager-Kultur erwächst. Manche von Suters Geschichten erinnern an die besten Szenen von Loriot: präzise, sprachlich brillant und getragen von einem leisen, aber unnachgiebigen Humor, der leider, leider nicht davon absehen kann, dass Menschen sich wie Idioten benehmen. Passen Sie also auf, wenn Sie sich das nächste Mal mit großer Geste in Ihren Business-Class-Sitz fallen lassen und vor der Stewardess den tollen Gockel markieren, bloß weil Ihr Bonus mal wieder sechsstellig war. Hinter Ihnen sitzt vielleicht ein Typ, der maliziös lächelt und seinen Palm III anwirft. Und nächste Woche liest Ihnen das Ihre Frau aus der Zeitung vor.

Martin Suter: Huber spannt aus. Und andere Geschichten aus der Business Class
Diogenes Verlag
182 Seiten
18,90 Euro