Satirischer Blick auf eine hemdsärmelige Gesellschaft

06.02.2007
In seinem satirischen Roman über den polnischen Alltag fünfzehn Jahre nach der Wende spielt Adam Zielinski mit zwei Dutzend mehr oder weniger ebenbürtigen Figuren. Wie auf einem Schachbrett lässt er die Figuren laufen, angreifen, straucheln und stolpern. Kleinteilig, doch mit klaren Linien und Kontrasten konstruiert Zielinski so ein Mosaik der polnischen Gegenwartsgesellschaft.
Das Volk hat dem Kommunismus den Laufpass gegeben, erklärt der langjährige Kommunist und frisch gebackene Industrielle Andrzej Ziemianin seinem Geschäftsfreund Czeslaw Krzemien, also müssen wir ihm den Kapitalismus beibringen. Ohne Kohle wirst du untergehen, aber wenn du gut blechst, wirst du sogar die Krakauer Marienkirche kaufen können, sagt Ziemianin. Dieser ebenso korrupte wie ideologisch biegsame Mann war einmal Sekretär der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei. Heute ist er Besitzer von fünf Sägewerken und zwei Möbelfabriken - und einer der Helden in Adam Zielinskis Roman "An der Weichsel”, der jetzt im Wieser Verlag erschienen ist.

Es sind zwei Dutzend mehr oder weniger ebenbürtige Figuren, mit denen Zielinski in seinem satirischen Roman über den polnischen Alltag fünfzehn Jahre nach der Wende spielt. Wie auf einem Schachbrett lässt er die Figuren laufen, angreifen, straucheln und stolpern. Eine Romanhandlung im klassischen Sinne sucht man vergeblich und findet stattdessen eine Abfolge von achtundzwanzig Szenen, vorweg einen ironisch gebrochenen Lobgesang auf die Weichsel als Heimat aller Polen.

An der Weichsel steigt Kazimierz Borowka, ein überaus gewalttätiger, nur rudimentär gebildeter Bauer, zum Abgeordneten des polnischen Sejms auf. Die selbstbewusste Studentin Ewa Lokietko plant mit Büroarbeiten nebst Sexualdienstleistungen für den Industriellen Andrzej Ziemianin ihren Einstieg in die große Karriere. Der Posaunist Karol Mirski – privat und beruflich seit langem aus dem Gleis geworfen - philosophiert auf den Parkbänken der Krakauer Innenstadt und genießt dort die Sonne, während seine Ex-Frau versucht, der allgemeinen Misere durch eine Auswanderung nach Kanada zu entkommen. Mikolaj Kwiecinski, ein engagierter Arzt, Leiter einer Entbindungsstation, bereit, jedem zu helfen, wird durch seine Erfolge zum bloßen Ärgernis für die Mitmenschen.

Kleinteilig, doch mit klaren Linien und Kontrasten konstruiert Zielinski ein Mosaik der polnischen Gegenwartsgesellschaft, die nur so strotzt vor Neid und Missgunst, vor Hemdsärmlichkeit und Geschmacklosigkeit. Dennoch ist nicht alles nur finster. Bei aller Boshaftigkeit und Konkurrenz verkehrt man auch freundlich, hilfsbereit und manchmal sogar ausgesprochen liebevoll miteinander. Hinter dieser Polensatire scheint die tiefe Heimatliebe des Autors auf.

Adam Zielinski wurde 1929 im galizischen Drohobytsch geboren, das zwischen den Kriegen zu Polen gehörte und heute in der Ukraine liegt. Zielinskis Eltern wurden im Zweiten Weltkrieg von den Nazis ermordet. Er ging nach Krakau, studierte Journalismus und emigrierte 1957 nach Wien, wo er Karriere als Geschäftsmann machte.

Seit 1988 entstand sein publizistisch-literarisches Oeuvre, das der Klagenfurter Wieser Verlag nun mit einer zehnbändigen Werkausgabe würdigt. "An der Weichsel" ist ein ebenso scharfzüngiger wie tiefsinniger Roman über die Nachwendezeit – und eine amüsante Lektüre allemal.

Rezensiert von Martin Sander


Adam Zielinski: An der Weichsel
Aus dem Polnischen übersetzt von Krzysztof Lipinski
Wieser Verlag, Klagenfurt 2006
240 Seiten, 18,80 Euro