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Reiche Tradition

Vor 60 Jahren wurde in Erfurt der erste Synagogenneubau nach dem Holocaust eröffnet. Ungeachtet der Schrecken der Nazizeit fand sich dort wieder eine jüdische Gemeinde zusammen. Ihre Ursprünge reichen bis ins Mittelalter zurück. Mit seinem jüdischen Erbe bewirbt sich Erfurt um die Aufnahme ins UNESCO-Weltkulturerbe.

Von Wolfram Nagel | 26.09.2012
    Vor 60 Jahren wurde in der ostdeutschen Großstadt der erste Synagogenneubau nach dem Holocaust eröffnet. Ungeachtet der Schrecken der Nazizeit fand sich dort wieder eine jüdische Gemeinde zusammen. Ihre Ursprünge reichen bis ins Mittelalter zurück.

    "Wir stehen hier in der Neuen Synagoge von Erfurt, die seit 1952 existiert. Der genaue Standpunkt ist hier vor dem Pult der Tora-Lesung, die Bima, dahinter sehen wir den Vorhang vor dem Tora-Schrein. Und das ist eigentlich das Wichtigste in einer Synagoge, dass es eine Tora gibt. Die Tora sind die fünf Bücher Moses. Nur die fünf Bücher."

    Bevor die neue Erfurter Synagoge vor 60 Jahren nunmehr geweiht wurde, schienen fast alle jüdischen Spuren in Erfurt ausgelöscht gewesen zu sein. Mit der Zerstörung der Hauptsynagoge im November 1938 und der Deportation der jüdischen Bevölkerung in die Vernichtungslager hatten die Nazis unter Gauleiter Fritz Sauckel ganze Arbeit geleistet. Dabei hatte es bis zur Schoa nicht nur in Erfurt eine große Gemeinde gegeben, sondern auch in Städten wie Weimar, Eisenach, Nordhausen oder Jena. Außerdem gab es besonders in Südthüringen zahlreiche jüdische Landgemeinden. Gerade einmal 15 Erfurter Juden kehrten nach Kriegsende zurück. Zusammen mit Flüchtlingen aus Osteuropa bauten sie eine neue Gemeinde auf. Unter ihnen waren auch die aus Breslau stammenden Eltern von Wolfgang Nossen, dem heutigen Gemeindevorsitzenden. Eine neue Synagoge auf dem Grund der zerstörten Synagoge zu bauen sei damals nicht so einfach gewesen, sagt er. Da brauchte es gute Fürsprecher.

    "Das Grundstück ist Eigentum der Gemeinde gewesen, schon seit dem 19. Jahrhundert. Und durch den Einsatz von Otto Nuschke ist das dann alles in die Gleise gekommen, wo es musste."

    Otto Nuschke, 1952 der stellvertretende Ministerpräsident der DDR und Vorsitzender der CDU-Ost, warb bei der Thüringer Landesregierung für den schlichten Neubau am heutigen Juri-Gagarin-Ring etwas außerhalb des Stadtzentrums. Es war der erste Nachkriegsneubau in Deutschland überhaupt, einmal abgesehen von der 1949 auf den Mauern einer Kriegsruine errichteten Synagoge in Dresden. Die Erfurter Gemeinde war zwar klein, aber sie konnte sich auf eine reiche Tradition berufen, eine Tradition, die bis ins Mittelalter zurückreiche, so Konstantin Pal, Rabbiner der Thüringer Landesgemeinde.

    "Es ist auch den Leuten bewusst, dass Erfurt eine reiche jüdische Geschichte hat, auch präsent nicht nur in Worten also die Synagoge steht...man kann darauf aufbauen. Es ist nicht nur darauf aufzubauen. Es gab auch ne Vorkriegsgemeinde, auf der man aufbauen kann, es gab auch ne Nachkriegsgemeinde...wir leben das fort, was hier entstanden ist nach dem Krieg. Es ist Teil von unserer Gemeinde auch dieses historische Erbe sowohl mittelalterliche aber auch in den letzten 150, 200 Jahren."

    Als Wolfgang Nossen im Jahre 1989 aus Israel kommend Erfurt besuchte, bestand die gesamte Thüringer jüdische Gemeinde gerade noch aus 26 Mitgliedern. Nur selten wurde Shabat-Gottesdienst gefeiert. Die Synagoge war hinter einem Neubaublock und hochgewachsenen Bäumen fast verschwunden.

    So waren jüdisches Leben und jüdische Geschichte am Ende der DDR weitestgehend aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verschwunden. Kaum jemand ahnte damals, dass gerade die jüdische Vergangenheit Erfurt bereits wenige Jahre später weltweit bekannt machen sollte.

    "Wir stehen an der Kreuzgasse mitten in der Erfurter Altstadt hinter der Krämerbrücke an unserem kleinen Flüsschen Gera vor der mittelalterlichen Mikwe. Vom Typus her ist die Erfurter Mikwe eine Grundwassermikwe. Aber der größte Teil des Wassers ist Uferfiltrat."

    Erzählt die Erfurter Museologin Ines Beese in unmittelbarer Nahe der mit alten Fachwerkhäusern bebauten Krämerbrücke. Das seit einem Jahr für Besichtigungen frei gegebene jüdische Ritualbad ist eines der Objekte, mit denen sich Erfurt um die Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste beworben hat.

    Doch es allein erfüllt noch nicht das Alleinstellungsmerkmal, das die UNESCO für die Aufnahme ins Weltkulturerbe fordert. Gut erhaltene Mikwen gibt es auch in anderen deutschen Städten wie Speyer. Einzigartig ist jedoch die wiederentdeckte mittelalterliche Synagoge.

    "Wir stehen jetzt in der Alten Synagoge im Erdgeschoss. Wir stehen hier in dem Raum, der vom späten 11. Jahrhundert bis zum 21. März 1349 als Betsaal diente.
    Es ist die älteste bis zum Dach erhaltene Synagoge in Mitteleuropa oder im aschkenasischen Kulturraum."

    Hier befindet sich heute ein Museum. Nicht nur die Baugeschichte der Synagoge wird gezeigt, sondern auch ein umfangreiches Konvolut hebräischer Handschriften aus dem Mittelalter und der sog. Erfurter Judenschatz, entdeckt bei Straßenbauarbeiten in der Innenstadt. Wertvollstes Stück ist ein goldener Hochzeitsring.

    "Der Erfurter Schatz, der hier im Keller präsentiert wird, zeugt natürlich von Wohlstand. Aber man muss auch wissen, dass Wohlstand in Erfurt im 13. und 14. und 15. Jahrhundert keine singuläre Tatsache der Juden war, sondern dass Erfurt ne sehr reiche Stadt war. Es gab reiche Juden, es gab reiche Christen, es gab arme Juden, es gab arme Christen. Und der Schatzfund, der damals bei den Plünderungen übersehen wurde, 650 Jahre unter der Erde lag, 1998 gehoben wurde, zeugt davon, dass es hier auch wohlhabende Juden gab."

    Die Tür an Tür mit den christlichen Kaufleuten und Handwerksfamilien lebten. Anders als in Städten wie Speyer oder Worms gab es in Erfurt kein Getto. Die Juden standen unter dem Schutz des Mainzer Erzbischofs, gehörte doch die Stadt an der Via Regia zum Erzbistum Mainz.

    Allerdings war es Juden nicht erlaubt, ein Handwerk auszuüben. Und so bauten Steinmetze und Mauerer der Erfurter Dombauhütte auch die Synagoge.

    "Die erste jüdische Gemeinde erlebte ein jähes Ende. Am 21. März 1349 durch einen Pogrom, der die Gemeinde völlig auslöschte. Und die zweite jüdische Gemeinde musste dann im Jahr 1453 abwandern, weil der Judenschutz aufgekündigt wurde durch den Erfurter Rat und somit die Abwanderung erzwungen wurde."

    Die nun als Lagerhaus genutzte Synagoge geriet in Vergessenheit, wie auch die verfüllte Mikwe am Ufer der Gera.

    Erst im 19. Jahrhundert gründete sich eine neue jüdische Gemeinde in der alten Universitätsstadt. Deren sogenannte Kleine Synagoge im klassizistischen Stil ist heute Teil des Museumsverbundes Alte Synagoge Erfurt.

    Gemeindevorsitzender Wolfgang Nossen hält es für richtig, dass sich Erfurt mit seinen Zeugnissen jüdischer Geschichte um den Welterbetitel bemüht. Doch er bedauert, dass sich die Stadt nicht im Verbund mit Speyer, Worms und Mainz beworben hat, obwohl es historische Verbindungen zwischen den alten jüdischen Ansiedlungen im Westen Deutschlands und Erfurt gibt.

    Und dann mahnt der 80-Jährige, nicht zu vergessen dass es in Erfurt auch eine lebendige jüdische Gemeine gib, mit immerhin 500 Mitgliedern. Auch wenn Thüringen die kleinste deutsche Landesgemeinde sei, - mit all den Problemen die eine jüdische Gemeinde heute hat, deren Mitglieder vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion zugewandert sind. Die Gemeinde selbst ist eine Einheitsgemeinde. Für Rabbiner Konstantin Pal ein Schatz, der eher zum immateriellen Welterbe der deutschen Nachkriegszeit gehört:

    "Wir sind weder liberal noch orthodox, also wir haben keine Ausrichtung, wir sind nicht gebunden an irgendeine Richtung. Ich bin mir sehr bewusst, dass dieses deutsche Model der Einheitsgemeinde gepflegt, weiter gegeben und vor allem geschützt werden muss, weil es ein einmaliges Modell ist, was so weltweit nicht existiert."