Masha Qrella spielt Thomas-Brasch-Songs

"Der David Bowie der deutschen Lyrik"

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Projektionen spiegeln sich auf der Oberfläche eines Gesichtes. In "Woanders" vertont Masha Qrella Texte von Thomas Brasch.
In "Woanders" vertont Masha Qrella Texte von Thomas Brasch. © Claudia Rorarius
Masha Qrella im Gespräch mit Susanne Burkhardt · 30.11.2019
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Die Musikerin Masha Qrella vertont Gedichte von Thomas Brasch. Im Berliner Hebbel am Ufer inszeniert sie ein Konzert, das zugleich Perfomance und Installation ist. Im Interview spricht Qrella darüber, welche Parallele sie zu David Bowie sieht.
Susanne Burkhardt: Masha Qrella hat Gedichte von Thomas Brasch in Songs verwandelt. Und diese Songs, die gibt es in der kommenden Woche unter dem Titel "Woanders" in Berlin zu erleben. Ein Abend an der Grenze zwischen Konzert, Perfomance und Installation, eine Auseinandersetzung mit Texten von Thomas Brasch – so ist es jedenfalls angekündigt. Und wie es zu dieser Auseinandersetzung gekommen ist, das kann ich jetzt die Musikerin Masha Qrella selbst fragen.
Sie sind 1975 geboren, in Ost-Berlin aufgewachsen. Sie haben Ende der 90er-Jahre in Bands gespielt mit Namen Contriva, Mina und NM Farmer, und seit 2002 haben Sie dann zunehmend solo gearbeitet, sind unter anderem um die Welt getourt mit dem erfolgreichen Album "Keys". Und in diesem Jahr, da haben Sie erstmals deutsch gesungen, und zwar auf dem Album "Day after Day", da finden sich vertonte Gedichte von Heiner Müller und Einar Schleef. Ich hab mich gefragt, wie kam es denn zum Einbruch des Deutschen in Ihre Songs?
Qrella: Es kam von außen. Ich hatte eine Anfrage vom HAU, Hebbel am Ufer, einen Beitrag zu machen für das Heiner-Müller-Festival, 2016 war das. Dann hab ich mir Texte mitgenommen von Heiner Müller. Ich war in der Türkei über Silvester, und hab dann Heiner Müller gelesen und dachte, verdammt, was mach ich denn mit diesen Texten und Musik, und bin da über einen David-Bowie-Text gestolpert, den Heiner Müller zitiert, das war "All The Madmen", und antwortet darauf dann, vielleicht werde ich alles überleben, was ich geliebt habe und nicht geliebt, Frauen, Freunde, Gedanken. Das sind sozusagen die Zeilen von Heiner Müller, und davor ist David Bowie mit "Day after day, they send my friends away".
Also ich hab ihn dann echt vor mir gesehen, wie er in einer Lichtenberger Wohnung da im Hochhaus sitzt und David Bowie auflegt und auf ihn antwortet – so habe ich mir das vorgestellt. Das war halt mein Einstieg, weil es mir genauso ging, ich hab auch David Bowie gehört. Ich hatte so ein bisschen Probleme am Anfang und hatte dann aber irgendwie über diesen Twist so einen Einstieg in die Welt eben auch von Heiner Müller. Die Auseinandersetzung mit Einar Schleef kam auch übers HAU, und parallel dazu hab ich damals einen Soundtrack gemacht für einen Fernsehbeitrag und Musik gemacht zu "Mein Berlin – 28 Jahre mit und ohne Mauer". Und dann kam von allen Seiten Auseinandersetzung auf mich zugeprasselt, und dann war ich mittendrin.

Von Marion Brasch zum Bruder Thomas

Burkhardt: Wann kam es dann zur ersten Begegnung mit Texten von Thomas Brasch?
Qrella: Ich hab von einer Freundin das Buch von Marion Brasch bekommen, "Ab jetzt ist Ruhe", in der die Familiengeschichte erzählt wird, und war total fasziniert davon, weil ich diese Perspektive auch sehr mochte, also diese Perspektive der kleinen Schwester und diese Naivität, aber auch liebevolle Beschreibung sozusagen einer Zeit, die ich auch als Kind eben kannte. Deshalb war die mir irgendwie so ein bisschen vertraut, und ich hab auch einen großen Bruder.
Deswegen hab ich mir dann Texte von Thomas Brasch vorgenommen, ich hab dann einfach angefangen, die Gedichte zu lesen und dann auch einfach tatsächlich gar nicht gezielt. Ich hatte nie vor, einen Abend zu machen mit Thomas-Brasch-Texten, aber die sind halt bei mir hängen geblieben – so sehr, dass ich dann angefangen hab, die zu singen. Dann hab ich Grußbotschaften an Freunde geschickt, ein paar Texte auf einer Gitarre gesungen und die abgeschickt und bin darüber eben auch in Diskussion gekommen mit meinen Freunden, was Thomas Brasch für die bedeutete. Ich kannte ihn tatsächlich nicht.
Burkhardt: Ihre Freunde kannten ihn aber schon?
Qrella: Ja, viele. Es stellte sich dann raus, dass er für die echt eine große Bedeutung hatte.
Burkhardt: Die Lyrik?
Qrella: Ich glaube, die Lyrik, ja, und auch die Texte, bei denen ich hängen geblieben bin, die mich wahrscheinlich einfach als Musikerin am meisten berühren oder so. Genau, und dann hab ich das eigentlich eher nur aus einem inneren Bedürfnis heraus, die Texte für mich so zu verstehen – und ich bin nun mal Musikerin, das mach ich dann oft über Musik –, und dann hab ich da die ersten Skizzen so entworfen.

Zurückgebeamt in die 90er

Burkhardt: Wir haben ja gerade schon den Song "Geister" gehört, da hat man so eine ungefähre Idee, wie das dann von Ihnen umgesetzt klingt. Wie lange dauerte es dann, bis daraus so ein richtiger Song wurde?
Qrella: Das ist sehr unterschiedlich von Song zu Song. In dem Fall war es so, dass der Text mich sozusagen zurückgebeamt hat in eine Zeit, in die 90er-Jahre, wo ich sehr viel auch so im elektronischen Musikbereich unterwegs war, aber eigentlich immer eher als Zuschauer, und hatte da mit meinen Instrumentalbands irgendwie eine ganz andere Parallelbaustelle, die eben zwar auch auf eine Art sprachlos war, ähnlich wie so elektronische Musik, aber irgendwie auch aus einer anderen Ecke kam.
Und ich hab diese House- und Elektronikszene irgendwie immer aus der Beobachterperspektive gesehen, und das war eigentlich das erste Bild, was kam. Und darüber hinaus entwickeln sich natürlich dann nächste Verständnisebenen und dann andere Bilder, die das vielleicht auch noch mal genereller beschreiben oder so. Aber das war echt das erste Bild, was ich gesehen hab vor Augen, diese Technoclubs. Die Welt geht in diese Richtung und ich steh da und guck zu und denk, wow, wo bin ich, was ist das – und auch eine Faszination dafür, aber auch gleichzeitig irgendwie eine Einsamkeit oder nicht Teil dessen sein.
Burkhardt: Sie haben ja relativ lange diese Ostidentität versucht wegzuschieben und haben den Namen geändert und so weiter. Was war der Grund dafür, und hat sozusagen die Beschäftigung mit den Texten von Heiner Müller und dann eben auch Thomas Brasch dazu geführt, zu sagen, hey, das ist ein Teil meiner Geschichte, die kann ich eigentlich nicht ausblenden oder will ich nicht weiter ausblenden?
Qrella: Ganz genau so war es. Ich glaube, der Grund, warum ich das in den ersten Jahren nach der Wende – ich war 14, als die Wende war – ausgeblendet habe, war einfach auch ein Respekt vor dem, wo man gelandet ist, das man nicht kannte, und auch eine Sprachlosigkeit, die sich erst mal bei mir eingestellt hat in dem Beschreiben dessen, was da war. Und dann hab ich halt Musik gemacht. Ich vorher gar nicht Musikerin. Das war für mich meine Fahrkarte in den Westen, weil ich dann auch international touren konnte, und das war so eine Möglichkeit rauszukommen aus einem Land, das ich nicht als meins empfunden hab.
Und dann kam aber tatsächlich in den letzten drei, vier Jahren einfach von außen so mehrere Elemente auf mich zu, die dazu geführt haben, dass ich angefangen hab auch zu begreifen, was da eigentlich passiert ist, warum ich eigentlich Instrumentalmusik gemacht hab. Ich habe, weil es einfach das größere, umfangreichere Projekt ist, über die Texte von Thomas Brasch wieder eine Perspektive für mich gefunden, mit der man eine Haltung haben kann zu seiner Vergangenheit und gleichzeitig auch akzeptieren kann, dass man die Welt vielleicht ein bisschen anders sieht, wenn man nicht nur aus diesem westlichen Diskurs draufschaut.

Formulierungen zwischen den Welten

Burkhardt: Können Sie das benennen, was das Besondere an den Texten von Thomas Brasch ist?
Qrella: Ja, für mich tatsächlich, dass er eben zwischen diesen Welten Sachen versucht zu formulieren, die die Gesellschaft beschreiben, die so treffend sind für mich, die aber heute eigentlich fehlt, diese Perspektive, weil es gibt eigentlich nur die westdeutsche Geschichtsschreibung, aus der heraus man einfach alltägliche Sachen beschreibt. Und in seinen Texten hab ich eine Perspektive wiedergefunden, die ich echt nur gefühlt hab, aber nicht benennen konnte, und das hat mir echt geholfen, für mich selber einfach Sachen zu begreifen, warum ich die anders sehe, eine Sprache dafür auch zu finden.
Burkhardt: Vielleicht ist "Geister" ja eigentlich fast schon symptomatisch dafür, weil es da eben diese Textzeile gibt: "Wie soll ich dir das beschreiben? Ich kann nicht tanzen. Ich warte nur. In einem Saal aus Stille. Hier treiben Geister ihren Tanz gegen die Uhr."
Qrella: Genau, das ist das große Bild dahinter.
Burkhardt: Eignen sich Thomas Braschs Gedichte eigentlich gut für Songs?
Qrella: Ja, super. Es ist echt der David Bowie der deutschen Lyrik.

"Das ist auch ein Wagnis für mich"

Burkhardt: Jetzt wird das Ganze auf die Bühne gebracht, aber eben nicht als Konzert, was ja naheliegend wäre, sondern als ein Abend, der sich eben nennt "Konzert, Performance und Installation". Jetzt haben Sie ja schon öfter mit der Bühne Berührung gehabt, Sie haben Musik geschrieben für den Regisseur Stefan Pucher, Sie haben für das deutsch-britische Performance-Kollektiv Gob Squad schon mehrfach gearbeitet. War das auch der Auslöser dafür, dass Sie gesagt haben, das wird jetzt mehr als ein Konzert, oder wie kam es dazu, dass Sie gesagt haben, das wird jetzt ein Bühnenabend, der über ein Konzert hinausreicht?
Qrella: Weil meine Auseinandersetzung mit den Texten mit Leuten stattgefunden hat, die eben nicht nur Musiker sind. Ich hab das Buch von Christina Runge bekommen, "Ab jetzt ist Ruhe" von Marion Brasch, und hab mit ihr und auch mit Diana Näcke, die jetzt die Videokonzeption macht für den Abend, sehr viel darüber geredet. Und dann gab es ein Interesse auch vom HAU, diese Art von Auseinandersetzung da zu präsentieren, und dann dachte ich, das ist auch eine Möglichkeit, Räume noch mal anders zu öffnen als nur mit Musik, also Räume für die Texte hinzustellen, die ich alleine nur begrenzt hinstellen kann. Und das war der Auslöser dafür, das mal so zu probieren.
Das ist auch ein Wagnis für mich, es ist das erste Mal, dass ich so eine Produktion selber mache, aber ich fühle mich da auch in einem echt tollen Team gut aufgehoben. Ich bin zwar aufgeregt, aber ich hab ein gutes Gefühl, aber ich kann’s natürlich überhaupt nicht garantieren, weil ich es noch nie gemacht habe.
Burkhardt: Was war denn jetzt die größte Herausforderung bei den Proben oder ist noch?
Qrella: Die ist eigentlich absolut akut da noch, dass wir keinen Raum hatten, in dem die beiden Ebenen wirklich zusammenkommen würden. Es gibt eine musikalische Probeebene, die hab ich mit Chris Imler und Andreas Bonkowski, meiner Band, mit der ich das dann an diesem Abend da hinstelle, und den Gastmusikerin, das hab ich sozusagen in meinem Proberaum gemacht. Und dann gibt es parallel dazu diese visuelle Ebene, die erarbeitet wird, und eine Idee davon, wie das zusammenkommt.
Aber das tatsächlich zu sehen, das ist eben erst tatsächlich im HAU 2 möglich dann – mit Bühnenbild und Licht und Video und so, und dann die Musik dazu. Es gibt diesen Raum nicht, in dem man es hätte ausprobieren können. Wir haben ein Modell gehabt, ein echt total tolles Modell, aber es ist eben klein, aus Pappe, und da kann man Figuren reinstellen und mit kleinen Beamern irgendwas zeigen, aber es ist dann doch was anderes in einer anderen Größe, und das kommt jetzt zusammen in diesen Tagen. Von daher ist es echt auch für mich eine echte Überraschung, was da kommt.
Burkhardt: Und auch sportlich, weil wir sind vier Tage vor der Premiere, oder?
Qrella: Tja, so ist das anscheinend im Theaterbetrieb. Ist sportlich, aber ich glaube, es ist cool. Die anderen sind ja auch erfahren, also ist es okay.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Masha Qrella: "Woanders". Mit Texten von Thomas Brasch
Premiere am 4.12.2019, 20 Uhr (weitere Vorstellungen: 5./6./6.12.)
Hebbel am Ufer, Berlin

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