Ukraine

Unklar und komplex

Wolf Iro im Gespräch mit Katrin Heise  · 17.03.2014
Mit öffentlichen Erklärungen haben sich russische Intellektuelle zur Politik Putins positioniert. Wolf Iro vom Goethe-Institut Moskau über Abhängigkeiten, Überraschungen und Fehlschlüssen bei solchen Erklärungen.
Katrin Heise: Das Referendum auf der Krim hat nicht nur Auswirkungen für die Krim und die Ukraine. Selbst in den Nachbarländern beispielsweise ist verstärkt von Sorge und Angst vor russischer Machtpolitik die Rede, und natürlich wird auch in Russland selber diskutiert. Es gab am Wochenende Demonstrationen für und gegen die Politik Putins, und schon in den letzten Tagen vor dem Referendum hatten sich auch Künstler und Kulturschaffende auf beiden Seiten sozusagen zu Wort gemeldet mit jeweils ziemlich klaren Positionen. Diese zunehmende Zerrissenheit der russischen Kulturszene und auch ihre Vereinnahmung von westlicher wie auch russischer Seite, die möchte ich mit Wolf Iro vom Goethe-Institut in Moskau besprechen. Er war dort fünf Jahre Programmleiter. Schönen guten Morgen, Herr Iro!
Wolf Iro: Guten Morgen!
Heise: Zu Anfang möchte ich gern wissen: Wie ist das Referendum oder ist das Referendum beziehungsweise der Ausgang – hier werden jetzt aktuell die Zahlen 96,6 Prozent Zustimmung zur Eingliederung verbreitet –, sind die schon irgendwie kommentiert worden von Intellektuellen?
Iro: Dafür ist es noch ein bisschen früh, das zu beurteilen, zumindest was die Reaktionen der Kulturschaffenden betrifft. Das Referendum ist ja erst gestern Abend abgeschlossen worden, und ich kann da jetzt noch keine ersten öffentlichen Statements sehen.
Heise: Spontane Kundgebungen sozusagen auch dann gerade aus den Kreisen gab es nicht. Kommen wir mal zu den Positionierungen im Vorfeld. Bis nach München schwappte da ja die Welle. Valery Gergiev, der Chefdirigent der Münchner Philharmoniker werden soll, hatte sich für Putins Machtpolitik ausgesprochen. Das war keine Überraschung, das hatte er früher auch schon häufiger getan. Es gibt in Russland eine Pro-Putin-Liste, die nach meiner letzten Information 500 Namen trägt oder mehr als 500 Namen trägt. Wer versammelt sich darauf?
Iro: Das ist so ein öffentlicher Brief beziehungsweise so eine Erklärung, eine öffentliche Erklärung, die sich auf der Seite des Föderalen Kulturministeriums befindet. Da haben sich in der Tat bis zur Schließung dieser Erklärung – das heißt, irgendwann sagte man dann, dass man keine Namen mehr heraufnehmen wolle –, hatten sich in der Tat mehr als 500 Leute aus ganz Russland, muss man dazu sagen, eingetragen, 500 Kulturschaffende. Auf dieser Liste finden sich einerseits die üblichen Namen, und Gergiev, Sie sagten es ja schon einleitend, gehört dazu. Ein anderer wäre beispielsweise Juri Baschmet, der Bratschist, oder auch Oleg Tabakov aus dem Moskauer Künstlertheater, der ja auch ein sogenannter Vertrauensmann Putins gewesen war im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen. Es gibt diese Einrichtung sozusagen der Vertrauensleute. Die können aus ganz verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen kommen und verpflichten sich, beim Präsidentschaftswahlkampf für den Kandidaten einzutreten.
Abhängig vom staatlichen Geldgeber
Das heißt, solche Namen, die fanden sich da auf der Liste, und das war auch keine große Überraschung. Aber das Gros der Liste machten Vertreter staatlicher Kultureinrichtungen aus dem ganzen Land aus. Das heißt: Museumsdirektoren, Direktoren oder Leitungen von Theaterschulen, von musikalischen Einrichtungen etc., die offenbar gezielt angesprochen wurden darauf. Darunter findet man dann wiederum auch Namen, die überraschen, die man vorher nicht im Zusammenhang mit so etwas erwartet hatte, wie beispielsweise der Theatermacher Mogutschi, der Literaturwissenschaftler Bak, der auch gleichzeitig ein Literaturmuseum leitet. Es finden sich aber auch einzelne Regisseure, freie Regisseure darauf. Auch von denen hatte man es nicht in jedem Fall erwartet. Alexej Utschitel (Name unverständlich) war immer für seine Staatsnähe bekannt. Aber jemand wie Pawel Lungin beispielsweise, der ja in den frühen 90er-Jahren für "Taxi Blues" in Cannes gewonnen hatte, den hat man da nicht gesehen.
Heise: Nur um das mal klarzustellen: Die Unterstützer sind jetzt nicht alle durch Abhängigkeit an Putin oder an die staatlichen Kulturorganisationen und an Geldflüsse gebunden?
Iro: Wie Sie es nehmen! Ein Direktor eines staatlichen Museums ist natürlich an den Zuwendungsgeber gebunden, und das ist der Staat. Andere – wie im Falle von Lungin oder von Utschitel (Name unverständlich) – sind da erst mal direkt nicht dran gebunden.
Heise: Welche Begründung geben die Unterstützer für ihre Stimme, für die Pro-Putin-Politik?
Iro: Im Wesentlichen klingt das dann so, dass man sagt, die Ukraine und Russland, die waren schon immer, die gehören zusammen. Wir sind gegen eine Feindschaft der beiden Völker. So etwas beispielsweise, wobei sich das jetzt aus der Erklärung selbst nicht ergibt. Die Erklärung – vielleicht ist das auch noch erwähnenswert – ist eine Erklärung der Unterstützung der Politik Putins. Aber die Politik war zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Schreibens zumindest noch nicht völlig klar, und das ist sie auch jetzt noch nicht. Einerseits hat man die russische Präsenz auf der Krim, andererseits hat sich Putin dann auch noch nicht öffentlich für einen Anschluss der Krim an Russland ausgesprochen. Das heißt, die Erklärung gibt eine Klarheit vor, die eigentlich noch gar nicht existiert. Und das muss einen natürlich etwas skeptisch werden lassen, was wird denn da eigentlich unterstützt: Ist das sozusagen eine Generalunterstützung, oder was hatten die einzelnen Leute denn da im Sinn?
Heise: Das kann man da also offenbar nicht so richtig rauslesen. Was denken Sie, wie weit würde denn eine Eskalation mitgetragen werden bei so schwammigen Formulierungen?
Iro: Ganz schwer zu sagen. Das Ganze ist so unklar und gleichzeitig so komplex. Was eine unmittelbare Auswirkung von solchen öffentlichen Positionierungen ist: Die finden jetzt aus meiner Beobachtung heraus verstärkter statt, als beispielsweise bei anderen Themen. Es ist natürlich, dass man in so ein binäres System reingerät, wo dann häufig für Differenzierungen gar kein Platz mehr ist. Das heißt, es geht nur noch darum: Ist jemand auf der Liste, ist jemand nicht auf der Liste, auf welcher Liste ist er, auf der dafür, auf der dagegen. Aber möglicherweise ein dritter Weg, eine dritte Position, wie man eben der einen wie der anderen Seite Rechnung schuldet. Die kann man in solchen Systemen und Situationen dann nur noch ganz schwer wahrnehmen oder ganz schwer finden auch.
Heise: Das heißt, eine wirkliche Diskussion und Auseinandersetzung von Argumenten scheint weniger stattzufinden. Sie haben schon, Wolf Iro vom Goethe-Institut in Moskau, erwähnt, dass es auch eine andere Liste gibt. Hier in Deutschland beispielsweise kursiert eine Liste, von 34 Intellektuellen aus Russland und der Ukraine stammend, gemeinsam verfasst, die sich an Putin gewandt haben, um ihre Missbilligung auszudrücken. Solche Bekundungen gibt es in Russland auch, nicht wahr, quasi die Gegenliste?
Iro: Zweifelsohne. Das ist jetzt vermutlich der Brief, der auf der Site der Nowaja Gaseta publiziert wurde, auf den Sie anspielen. In der Tat: Solche gibt es natürlich auch, und solche Leute, die so denken, gibt es auch in großer Zahl. Wir haben ja am Wochenende noch mal eine Kundgebung gesehen, die zum Frieden aufruft hier in Moskau, die ungefähr 50.000 Leute mobilisieren konnte. Zu dem Brief zurückkommend, was da interessant ist aus meiner Sicht ist, dass sie sich in dem Brief dezidiert nicht als Kulturschaffende bezeichneten, sondern als Intellektuelle.
Rückgriff auf die Vergangenheit
Heise: Was steckt da dahinter Ihrer Meinung nach?
Iro: In der Vergangenheit – und ich spreche jetzt von der sowjetischen Vergangenheit – definierte sich der Intellektuelle in seiner Haltung zum Staat beziehungsweise zur Herrschaft hin. Das heißt unabhängig von seiner jeweiligen beruflichen Tätigkeit. Ein Intellektueller konnte ein Kabelleger sein, es ging um eine geistige Haltung. Ich habe den Eindruck, dass die Verfasser dieses Briefes auch ein bisschen darauf Bezug nehmen, genauso wie man natürlich sagen muss, dass solche Erklärungen, wie wir sie jetzt sehen, Erklärungen, Gegenerklärungen und so was, das hat natürlich auch eine sowjetische Tradition – in dem Fall die Tradition natürlich nur der Erklärungen. Die Gegenerklärungen fanden häufig nicht statt aus naheliegenden Gründen. Aber das heißt, die öffentliche Positionierung von Kulturschaffenden auf einer Liste, das ist etwas, was man auch aus der Zeit kennt.
Heise: Das heißt, ein Rückgriff auf die Vergangenheit, vielleicht auch, um da an etwas zu erinnern, weil ja auch andere Seiten immer wieder in die Vergangenheit greifen, und wahrgenommen von der Öffentlichkeit wird diese Meinungsäußerung aber auch?
Iro: Ja, natürlich wird sie auch. Wir hatten auch in der Nowaja Gaseta beispielsweise die Statements von drei Rockgrößen, muss man sagen. Von Juri Schewtschuk, der auch dann den Nowaja-Gaseta-Brief unterschrieben hatte, dazu noch Boris Grebenschtschikow, der Sänger einer der berühmtesten Bands in Russland überhaupt. Juri Schewtschuk, "DDT", extrem berühmt, Boris Grebenschtschikow, "Aquarium", quasi genauso berühmt, und zwar interessanterweise schon aus den 90er-Jahren kommend. Das sind Bands, die in den 90er-Jahren oder Ende der 80er-Jahre sogar angefangen haben. Die drei haben sich auch geäußert und haben sich geäußert, haben zum Frieden aufgerufen, zur Versöhnung, und haben ihrer Besorgnis auf die Art und Weise Ausdruck verliehen.
Heise: Wolf Iro vom Goethe-Institut in Moskau über die Positionierung der Intellektuellen angesichts der russischen Krim-Politik. Herr Iro, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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