Islamismus in Nordwestafrika

Scharia, Schmuggel und Staatsversagen

Von Stefan Ehlert · 19.01.2015
Angst ist ihr engster Verbündeter, Terror ihr Ziel - in Allahs Namen plündern und morden sie. Sie sind weltweit mit anderen Islamisten vernetzt und nennen sich Boko Haram oder Mujao: Terrorgruppen in Nordwestafrika.
Sie berufen sich auf den Islam. Und sie verbreiten Angst und Schrecken. An Terrorgruppen, die im Namen ihrer Religion operieren, herrscht in Nordwestafrika kein Mangel. Es sind zu viele, um sie alle hier aufzuzählen. Mit ihren Untaten - wie zuletzt Boko Haram in Nigeria - konkurrieren sie um weltweite Aufmerksamkeit.
Ihre Herrschaftsgebiete halten sie in der Regel säuberlich getrennt. Aber dort, wo es nötig erscheint, arbeiten sie auch zusammen - etwa in Mali, wo sich radikale Islamisten 2012 unter verschiedenen Namen den Norden des Landes aufgeteilt hatten mit dem Ziel, die Zentralregierung in der Hauptstadt auszuschalten. Sie nennen sich Ansar al Sharia, Ansar Dine oder Mujao - das beispielsweise bedeutet "Vereinigung der Muslime für den Heiligen Krieg in Westafrika" – und diese Gotteskrieger passen ihre politischen Ziele den militärischen Möglichkeiten an.
In jedes Vakuum stoßen sie vor - das ist eine ihrer Gemeinsamkeiten, und das haben sie neben dem ideologischen Kitt des radikalen Islamismus gemeinsam mit den Terrorgruppen in den zerfallenden arabischen Staaten. Geraten sie unter Druck - wie 2013 in Mali wegen der französischen Militärintervention - dann ziehen sie sich zurück. Und warten auf eine neue Gelegenheit, sich im Namen Allahs ganze Landstriche anzueignen.
Terror zu verbreiten ist in jedem Fall ihr Ziel - denn die Angst ihrer Untertanen ist ihr größter Verbündeter. Wo sie können, etablieren sie die Scharia als Rechtssystem und gehen ansonsten in Ruhe ihren kriminellen Geschäften nach: Schmuggel, Menschenhandel, Kidnapping, Wegelagerei. Scheint ein islamischer Staat in Reichweite zu sein, dann rufen sie ihn aus, wie die Terrorgruppe Boko Haram in Nordnigeria.
Unterwandert vom algerischen Geheimdienst
Gerichtsbarkeit, Religionsschulen, Steuern - solche Elemente eines Staates werden ansatzweise etabliert. Auf eine Anerkennung durch die Internationale Gemeinschaft warten diese Gruppen nicht. Sie operieren seit langem, wenn nicht schon immer, grenzüberschreitend, verfügen über ein Netzwerk weit über das unmittelbare Einflussgebiet hinaus.
So kommt es, dass Boko Haram im Tschad 7.000 Stück Vieh beschlagnahmt und in aller Heimlichkeit in Kamerun einen Großangriff vorbereiten kann. Vom Strand des Atlantiks bis zur Wüste Malis brauchen Geiselnehmer der Gruppe Al-Kaida im Islamischen Maghreb in Mauretanien keine 24 Stunden, mitsamt Geiseln. Das sind immerhin 1.000 Kilometer - und eine Autobahn gibt es da nicht.
Urknall des Terrors in Nordwestafrika war der Krieg des Militärs gegen die bei Wahlen siegreichen Islamisten in Algerien zu Beginn der 90er-Jahre. Unter dem Namen "Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf" verschlug es die radikalen Islamisten in die Nachbarländer - unterwandert vom algerischen Geheimdienst, dessen dubiose Anti-Terrorstrategie bis heute mindestens so sehr der inneren Sicherheit wie außenpolitischen Zielen dient. Heute heißt die Gruppe Al-Kaida im islamischen Maghreb.
Soziale Basis ist Armut
Ghaddafis Sturz und Libyens unkontrollierter Zerfall sorgte später für reichlich Nachschub an Waffen und Kämpfern, doch genießen Afrikas Terrorgruppen wohl auch die Unterstützung durch Geldwäscher in der Ersten und Financiers in der Arabischen Welt. An einer weltweiten Vernetzung der afrikanischen Gruppen kann kaum Zweifel bestehen, denn immer wieder heißt es, erfahrene Kämpfer aus Afghanistan oder Somalia befänden sich in ihren Reihen, und umgekehrt strömen Möchtegern-Dschihadisten aus Marokko oder Tunesien nach Syrien, um sich dem Islamischen Staat dort anzuschließen.
Es ist eine Hydra, deren Köpfe Mokhtar Belmokhtar oder Abubakar Shekau heißen - immer wieder mal totgesagt, um dann doch im nächsten Propagandavideo wieder quicklebendig vor Geiseln zu triumphieren, oder vor Panzern, die sie der nigerianischen Armee abgenommen haben, offenbar mitsamt Fahrern. Dass man diese Gruppen militärisch erfolgreich bekämpfen kann, haben Algerien, Mauretanien und zuletzt auch Kamerun bewiesen. Aber die soziale Basis bleibt: Armut, Unterentwicklung, Staatsversagen - das ist der Nährboden des Terrors .
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